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3. Spekulation als raum-zeitliches Differenzgeschäft

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Wenn die elektronische ›Bewaffnung‹ der untereinander konkurrierenden Spekulationsakteure Mikrosekunden zur Profitbedingung gemacht haben, so ist dies nur die hochtechnologisch basierte Form, in der ein Urgesetz des Spekulationsgeschehens sich geltend macht. Generell werden nach Marx an der Börse »Differenzgeschäfte« getätigt, worin Geld umläuft, ohne dass dieser Geldumlauf einen »wirklichen Warenumsatz« ausdrückt (24/344; vgl. hierzu und zum Folgenden KV II, 179ff). Eine Variante des Differenzgeschäfts ist das Arbitragegeschäft. Der Name drückt das Moment des Arbiträren aus, das dabei ins Spiel kommt. Dieser Geschäftstyp nützt die Preisdifferenz von Waren gleicher Art auf unterschiedlichen Märkten aus und hat – zumindest im Modell des idealen Marktes – den Effekt, diese Differenzen einzuebnen. Arbitragegeschäfte dieser Art nützen Unterschiede des Ortes aus. Dabei wird unterstellt, dass die auf den Märkten wirkenden übrigen Faktoren sich nicht während der spekulativen Operationszeit und unabhängig von ihr ändern. Die Operation selbst und jede gleichartige seitens der Konkurrenten ändert dagegen die Relationen. Da jeder spekulative Akteur die räumliche Differenz ausnutzen und damit die Grundlage der Spekulation durch den Ausgleichungseffekt seines Eingriffs ganz oder partiell aufzehren kann, bildet das zeitliche Differenzgeschäft das eigentliche Terrain der Spekulation. Verdichtung der Spekulationszeit wird zur Erfolgsbedingung. Die Zeit der Spekulation erstreckt sich innerhalb der Spanne des Verschwindens jener Differenz, auf der die Gewinnmöglichkeit beruht. Zur synchronen Marktkenntnis eines gegebenen Moments kommt bei ihr die diachrone Markterwartung dynamischer Prozesse hinzu.

Die Struktur des »Differenzgeschäfts« ist nicht auf die Börse beschränkt. Marx weist sie bereits in der einfachen Zirkulation auf: »Die Trennung des Tauschs in Kauf und Verkauf macht es möglich, dass ich bloß kaufe, ohne zu verkaufen (accaparement [wucherischer Aufkauf] von Waren), oder bloß verkaufe, ohne zu kaufen (Akkumulation von Geld). Sie macht die Spekulation möglich.« (42/130) Spekulation zielt immer auf eine für den Spekulanten vorteilhafte Preisdifferenz. So bereits in der vermutlich ältesten schriftlich festgehaltenen Spekulationsgeschichte, der von Thales von Milet, dem Gründer der ionischen Philosophie. Dieser soll »in Voraussicht einer reichen Olivenernte alle Ölpressen gemietet und dadurch ein enormes Vermögen gewonnen« haben (Diogenes Laertios, I.26). Auf Grundlage kapitalistischer Produktion schließlich kann das Handelskapital »wie die plötzlich emporschießenden Paroxysmen der Spekulation in gewissen Lieblingsartikeln zeigen, mit außerordentlicher Schnelligkeit Kapitalmassen aus einer Geschäftsbranche ziehn und sie ebenso plötzlich in eine andre werfen« (25/218).

Was zu Marx’ Zeiten außerordentliche Schnelligkeit war, ist von den elektronischen Geräten, mit denen das Finanzkapital arbeitet, inzwischen in neue Dimensionen katapultiert worden. Blitzartig lässt es sich mit ihrer Hilfe von einem Massengut aufs andere werfen, ohne dass sein Umlauf einen physisch »wirklichen Warenumsatz« ausdrückt. Die Inkubationszeit der Großen Krise des Hightech-Kapitalismus zeigte dies in Gestalt der extremen Preissprünge von Rohstoffen und Nahrungsmitteln (Erdöl, Getreide u.v.a.m.) aufs Doppelte, dann wieder auf einen Bruchteil in historisch kürzester Zeit. Die Differenzen, auf die bei solchen, nicht mit den physischen Stoffen, sondern Ansprüchen auf sie getätigten Geschäften spekuliert wird, sind erwartete Preisdifferenzen. Die Erwartung ist subjektiv, das Resultat des aus ihr folgenden Handelns objektiv. Die Spekulation richtet sich auf mögliche Kursveränderungen. Diese hängen vom Verhältnis von Angebot und Nachfrage ab. Die in Kauf- oder Verkaufsaufträge umgesetzte Erwartung verändert dieses Verhältnis unmittelbar. Die Aktion des spekulierenden Subjekts ›fällt ins Objekt‹. Der Vorgang zeigt das Muster einer sich selbst erfüllenden Prognose. Ist das Handelsvolumen gemessen am handelbaren Wert gering, hält sich der Effekt in den ­Differenzialgrenzen von etwas, das nur unmerklich größer als Null ist. Doch die Fonds und andere Großakteure des Börsengeschehens, die Milliarden US-Dollar bewegen können, lassen den Preis bereits in der erwarteten Richtung hochschnellen, zumal sie, eifersüchtig belauert von Ihresgleichen, alsbald Gesellschaft bekommen. Wer bei der Hausse nicht sofort und von Anfang an dabei ist, dem zerrinnt mit verrinnender Zeit der Differenzgewinn. Während »auf den Gütermärkten steigende Preise die Nachfrage [dämpfen] und fallende [sie] erhöhen«, gilt auf den Finanzmärkten »der umgekehrte Preismechanismus […], bei steigenden Preisen zu kaufen und bei fallenden zu verkaufen« (Wagenknecht 2008, 92). Wer bei Baisse nicht sofort verkauft – und sei es nur, um womöglich bei weiter gefallenen Kursen wieder einzusteigen –, verliert.

Hightech-Kapitalismus in der großen Krise

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