Читать книгу Hightech-Kapitalismus in der großen Krise - Wolfgang Fritz Haug - Страница 35

2. Zirkulation ohne Zirkulationszeit

Оглавление

»Zirkulation ohne Zirkulationszeit ist die Tendenz des Kapitals«, notiert Marx in den Grundrissen (Gr, 572; vgl. 560). Im Hightech-Kapitalismus verfolgt das industrielle Kapital dieses Ziel durch die computergestützte Rationalisierung der Logistik und Lagerhaltung im Zeichen der Lieferung zum produktionslogisch genauen Zeitpunkt (»just in time« ). Das Transportwesen erfand sich neu als »Logistik«. Während die Produktivkräfte der räumlichen Sachkapi­talbewegung, sieht man von elektronischer Steuerung und Koordination ab, im Grundprinzip unverändert blieben, revolutionierte die Elektronisierung die Bewegung des spekulativen Finanzkapitals. Dieses näherte sich dem Ziel der zeitlosen Zirkulation bis an deren absolute physikalische Grenze. Damit schickte der Hightech-Kapitalismus sich an, das »automatische Subjekt« der Verwertung des Werts, von dem Marx spricht (K I, 169), aus seiner metaphorischen Existenz zu erlösen, indem er das lebendige Subjekt des Spekulationsarbeiters durch den Automaten ersetzte. Dieses Bestreben schlug sich nieder in der Ersetzung des Börsenmaklers durch »eine Maschine, die mit Maschinen kommuniziert« (Strobl 2010). So weit als möglich wurde die rastlose Bewegung des Wertverwertens in elektronische Netzwerke verlegt. Indem Computer vernetzt wurden und die entsprechenden elektronischen unstofflichen »Metamaschinen«, als die wir die Programme als prozessierende Schaltungskonfigurationen analysiert haben (HTK I, 112-15), miteinander wechselwirkten, schloss das Geräteensemble der Spekulation sich zu einem physikalischen System. Die Systembetreiber wurde »Hochfrequenz-Händler« getauft. Eines der Netzwerke nannte sich BATS. Zu seinen Eigentümern zählten u.a. die City Group, der Crédit Suisse, Morgan Stanley und die Deutsche Bank. Die Abkürzung BATS sollte an bats, »Fledermäuse«, denken lassen, da diese Tiere sich im Dunkeln mittels Echolot orientieren. Im elektronischen Handelssystem herrscht vom Standpunkt menschlichen Bewusstseins völliges Dunkel.

Als BATS 2006 gegründet wurde, wurden von der New Yorker Börse (NYSE) noch 70 Prozent der Geschäfte in gelisteten Kapitalgesellschaften abgewickelt; vier Jahre später waren es noch 20 Prozent. Im September 2010 gab BATS die Ausführungszeit für seine zweite Elektronische Börse »BATS Y-Exchange« (BYX) mit im Durchschnitt weniger als 250 Mikrosekunden und die Ergebnisanzeige mit 265 Mikrosekunden an, das sind 0,00025 bzw. 0,000265 Sekunden.53 Nun wurde die Lichtgeschwindigkeit profitrelevant. Menschlichem Vorstellungsvermögen erscheint sie als unendlich groß; die Zeit, in der das Licht irdische Strecken zurücklegt, dagegen unendlich klein. Doch über große Entfernungen zeigt sich beider Endlichkeit. Sie hat es erlaubt, kosmische Entfernungen in »Lichtjahren« zu messen. Für die Eliminierung bzw. Kompression der Zirkulationszeit des Finanzkapitals aufs absolute Minimum wurde angesichts der Konkurrenz die räumliche Entfernung der Handelscomputer vom Rechenzentrum der Netzbetreiber zur Schranke. Die Betreiber entdeckten in der Beseitigung des Hindernisses ein zusätzliches Geschäftsmodell. Sie boten den Händlern an, ihre Handelscomputer im Betreiberzentrum zu installieren. Die Kosten konnten sich nur die Großen leisten. »Kleinanleger […] sind in diesem Spiel die geborenen Verlierer.« (Strobl 2010)

53 <http://batstrading.com/byx/>.

Hightech-Kapitalismus in der großen Krise

Подняться наверх