Читать книгу Und ewig küsst mich Dornröschen wach - Wolfgang Haecker Paul - Страница 11

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Kapitel 1 – Aller Anfang ist schwer

Ich habe es gewusst. Selbsterfüllende Prophezeiung oder soll ich einfach weniger poetisch sagen: so ne‘ Kacke. Der Wecker klingelt schon wieder. Das muss nun zum vierzehntausendsechshundertsten Mal sein. Und bevor jetzt jemand tatsächlich den Taschenrechner hervorkramt: Es sind genau vierzig Jahre.

Als wenn es mit jeder Wiederholung besser werden würde, das morgendliche Aufstehen. Man könnte glatt schreien vor Glückseligkeit. Nee. Eigentlich hasse ich diesen Wecker. Dieses ekelhafte digitale Ding. Ich hasse meinen Wecker dafür, dass er die Frechheit besitzt, sich nicht mal (digital wie er ist, mit all seinem Funktionsschnickschnack, das der Verkäufer mir so angepriesen hat) an meine Schlafbedürfnisse anzupassen. Nein, das teure Ding besitzt null Komma null Feingefühl. Nichts von dem, was moderne Technik heutzutage können sollte, Empathie übernehmen oder ähnliches. Meinem Wecker ist davon rein gar nichts in seine digitale Feinfühligkeitsplatine einprogrammiert worden.

Er ist einfach ein ganz unsensibles Ding. Tatsächlich überlege ich gerade, ihn einfach mal nicht mit neuer Energie aus dem Stromnetz zu betanken. Strafe muss sein. Basta!

Und während ich noch auf der Bettkante sitze und meine Socken suche, muss ich feststellen, dass die verstreut im dunklen Raum liegen. Alles deutet auf den missglückten Versuch hin, sie vor dem Zubettgehen ordentlich hinlegen zu wollen. Ich erinnere mich, übel auf dem Boden weggerutscht zu sein, die Socken in alle Richtungen fliegend …

Genau, so war es! Ich rutschte vor dem Bett aus und schlug mit dem Kopf auf den Boden, wurde kurz ohnmächtig und bin irgendwann auf dem eisigen Boden und vor Kälte zitternd zu mir gekommen – und daraufhin wohl halbbenommen ins Bett geklettert. Ich ziehe mir nun die Socken, endlich aus den verschiedenen Ecken des Zimmers zusammengeklaubt, gemächlich an. Einer lag hinter dem Wäscheständer, der andere unter dem Bett. Mein Blick fällt eher rein zufällig auf das Thermometer vor dem Fenster: 21° Celsius. Frühling.

Verdammt, vielleicht muss ich mir einfach nur mal merken, wohin ich meinem Kram lege. Dann kann ich mir die eigens so fein konstruierten abenteuerlichen Ausreden sparen. Und wie immer geht es als nächstes ins Bad. Zum üblichen Hygieneprogramm.

Allein das Wort macht einem schon Angst, denn es lässt jeden unbescholtenen Menschen wissen, dass nun ein größeres Pflegeprogramm folgt. Duschen? Check. Achselspray? Check. Ankleiden? Mist! Hose falschherum angezogen. Wieder ausziehen, umdrehen, neu anziehen. Check! Hemd anziehen … geht nicht. Es muss wohl eingelaufen sein, denn es passt auf einmal nicht mehr. Na, das wollen wir doch mal sehen.

Nach gut 7 Minuten und 35 Sekunden hat nicht nur das Hemd nachgegeben, sondern auch diverse Knöpfe. Egal, man trägt heute leger, denke ich. Check.

Zähne putzen, bis die Zahnbürste vibriert, um mir zu sagen, dass ich die Zeit eingehalten habe. Vielleicht könnte die meinem Wecker mal was beibringen. Und überhaupt, wenn sich hier schon so viele elektrische Geräte befinden, warum können die sich nicht mal zur Schwarmintelligenz zusammentun? Okay, weitermachen. Rasieren. Äh, der Rasierer ist leer. Akku auf null Prozent? Hatte ich den etwa auch schon für irgendein Vergehen bestraft und vom Strom getrennt? Gut, dann Akkurasierer laden, Nassrasierer raus. Analoges Rasieren geht schließlich auch.

Kaum angefangen mich mit der Klinge zu rasieren, sehe ich schon verdächtiges Rot unter dem weißen Schaum hervorblitzen. Es zeichnet sich in solch einem schönen Kontrast ab, dass man fast poetisch werden könnte. Es sei denn (und das ist die einzige Ausnahme), einem wird bei solchem Blutverlust schummrig vor Augen. In diesem Fall kann man die Farbenvielfalt leider überhaupt nicht mehr genießen.

Wenn ich jetzt ohnmächtig nach hinten auf die gekachelte Auslage falle, so denke ich noch gerade, habe ich wenigstens schon mal die Socken an. Aber es geht alles gut. Ich kann die Blutung stoppen.

Auch wenn sich kurzzeitig die Notrufnummer 112 glasklar auf meine Pupille gebrannt hatte, ich hätte sie bei dem Verlust meines Lebenssaftes wahrscheinlich nicht mehr wählen können. Ich stelle nun zudem erleichtert fest, dass kein Nähzeug für die große Wunde genommen werden musste. Jetzt wollte ich es erstmal, risikofreudig wie ich bin, mit einem simplen Pflaster versuchen. Denn nach einer „Näh-Nummer auf Rambo-Art“ war mir heute Morgen nun wirklich nicht. Ich hatte ja noch nicht mal gefrühstückt.

Da ich das Licht im Bad schon vorher eingeschaltet hatte, sah ich nun noch ein weiteres und überhaupt nicht einkalkuliertes Pflegeprogramm auf mich zukommen.

Als ich den Vergrößerungsspiegel meiner Schminkmeisterin in die Hand nehme, erschrecke ich erneut. Was wuchs denn da aus meiner Nase heraus? Das sah ja schlimmer aus als die Augenbrauen von Theo Weigel, den man in Fachkreisen „die Augenbraue“ nannte. Der Nasentrimmer, so stellte ich erleichtert fest, war geladen und nahm seine Aufgabe kreischend laut wahr, nachdem ich erstmal mit der Nagelschere die wallende Pracht zurechtgestutzt hatte. Kurz hatte ich noch überlegt, ob die Menge an Haaren für eine Echthaarspende ausreichen würde und wohin ich sie zu schicken hätte, aber die Zeit drängte nun derart, dass ich diesen Geschäftsgedanken dann doch wieder verwarf. Das Hygieneprogramm musste endlich zum Abschluss gebracht werden. Bis ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Problem urplötzlich auftauchte.

Auch wenn die Ohren seitlich etwas versteckt am Körper anliegen, war deutlich zu sehen, dass irgendwas aus ihnen heraushing. Schnell die Brille angezogen, erkannte ich erschrocken, dass selbst aus den Ohren nun dicke, unansehnliche Haarbüschel ragten.

Diese beträchtliche Menge an Haaren, die nun an all diesen Stellen so überdeutlich wuchsen – wo sie weder erwünscht, noch in irgendeiner Weise sinnvoll waren – stellten wohl die Summe jener Haare dar, die mir mittlerweile auf dem Kopf fehlten.

Als ich jetzt auf den Wecker sah, stellte ich schockiert fest, dass ich es vielleicht gerade noch zur Frühstückspause auf die Arbeit schaffte, würde ich mich jetzt wirklich beeilen.

Wenn das so weiterging mit diesem Hygieneprogramm und noch weitere, unerwartete Auswüchse dazukämen, benötigte ich wohl über kurz oder lang eine Haarentfernungshilfe. Die müsste dann extra eingestellt werden.

Und ewig küsst mich Dornröschen wach

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