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Kapitel 2 – Immer wieder montags

Nach einer erschöpfenden Enthaarung, die mich wohl bestimmt gut über 400 kcal gekostet hatte, überlegte ich schon, ob ich heute Nachmittag überhaupt noch ins Sportstudio fahren sollte. Ich wollte mir noch etwas Zeit lassen mit meiner Entscheidung. Wichtiger war es, jetzt erst einmal zur Arbeit zu fahren. Schon, als ich in die Garage ging, beschlich mich ein unangenehmes Gefühl. Eine seltsame Vorahnung. Man muss an dieser Stelle erwähnen, dass ich ein elektrophiler Mensch bin, eine regelrecht von der Elektrik infizierte Person. Wie sich das äußert? Also erst einmal bin ich der Besitzer eines noch recht neuen Hauses, ausgestattet mit der maximalen Größe an Photovoltaikplatten, die auf das Dach in Südausrichtung noch gerade so gepasst haben. Südausrichtung für die maximale Ausbeute an Sonnenenergie, versteht sich von selbst. Nebst einer Speicherbatterie, die nicht nur immens viel Geld gekostet hat, sondern unseren Eigenverbrauch sogar noch deutlich steigern soll.

So zumindest das Konzept. Aber, wenn man schon einmal so „grün“ ausgestattet ist, ohne weitere fossile Versorgungsanschlüsse, also keine Gastherme und ohne Gasanschluss, was lag da näher, als sich auch noch ein Elektroauto zuzulegen?

Wenn also Sonnenlicht auf die Platten trifft, dann lässt sich doch mit eigens produzierter Energie auch ein E-Mobil völlig gratis betanken. Der Nachteil der Sache? Seitdem sind die Tankstellenbesitzer nicht mehr ganz so gut auf mich zu sprechen. Vielleicht sollte ich das Fenster schließen, wenn ich laut lachend an ihnen vorbeifahre.

Sofern also Sonne genügend vorhanden ist und diese auch geneigt ist, sich zu zeigen, funktioniert das Konzept hervorragend. Meine angeheiratete Energiemeisterin wäscht natürlich nur noch, wenn auch genügend Hausstrom vorhanden ist. Ebenso verhält es sich mit dem Wäschetrocknen oder dem Betreiben der Spülmaschine oder anderer elektronischer Verbraucher. Nur beim Kochen macht sie ab und zu Ausnahmen.

Also habe ich mir noch schnell vor ein paar Wochen einen Elektrowagen zugelegt. Große Autos wurden von meiner Buchhalterin, meiner Frau, die nebenbei ja auch meine persönliche Energieberaterin ist, kategorisch abgelehnt.

So blieb es einzig und allein bei einem kleinen vollelektrischen Smart EQ. Natürlich hatte ich mir vorher einige Referenzwagen angesehen und geriet förmlich ins Schwärmen, als ich den neuen Tesla Model 3 sah. Wie viele Videos und Kataloge hatte ich mir angesehen? Einfach toll dieser Wagen. Erst recht die Probefahrt. Als ich den Wagen beschleunigte, presste es mich und meine Energiemeisterin förmlich in die vorgewärmten Sitze. Aber eiin Blick von der strengen Geldverwalterin und ich schob den Tesla erst einmal auf meine virtuelle Wunschliste, wohl wissend, ihn mir eh niemals leisten zu können. Es sei denn, die Lottofee wählte mich aus. So aber musste es erstmal bei einem Smart bleiben. Der hatte zwar keine allzu große Reichweite, dafür aber auch keinen allzu hohen Verbrauch. Und als sogenanntes „City Car“, so musste ich zugeben, passte es genau zu meinem Fahrradius.

Ja, ich hörte schon Ole, einen meiner besten Freunde, stöhnen. Ich sehe ihn vor mir, wie er die Augen verdreht und sein Mund verräterisch anfängt zu zucken, bevor er nicht nur in Tränen ausbricht, sondern in schallendes, ohrenbetäubendes Lachen.

„E-Smart? Ja, nee. Is klar. Auto. Hahaha. Auto! Das ist … (Tränen laufen ihm über das Gesicht) … das ist alles, aber doch kein Auto. Eher ein Elefantenrollschuh.

Meine Versuche, ihm klarzumachen, dass es sich um einen absolut hochwertigen Elefantenrollschuh, äh… um ein hochwertiges elektrisches Kleinstauto handelt, gingen leider im tränenreichen Gelächter erneut unter, das gleichzeitig wohl beide Hörkanäle verschloss. Einen weiteren Anlauf, ihm die Vorzüge des Wagens zu erklären, unterließ ich, da es keinen Sinn mehr hatte. Ole rollte sich mittlerweile lachend auf dem Boden herum und ich hatte Angst um unsere teuren italienischen, druckimprägnierten Fliesen. Ob die Oles Tränenmeer aushielten?

Er selbst fährt einen amerikanischen „Hummer.“ Der verbraucht ja nur absolut schlanke 35 Liter. Auf 50 Kilometern! Und über meinen Wagen lacht der sich kaputt?

Gut, ich rege mich wieder ab. Er fährt in Wirklichkeit einen Toyota. Ein Hybridfahrzeug. Und der Wagen liegt laut eigener Angaben unter 4 Liter Super. Ich komme nicht umhin zuzugeben, dass das wirklich nicht schlecht ist. Ich sah, dass er sich langsam wieder beruhigt hatte, denn die beängstigend rote Gesichtsfarbe nahm ganz langsam ab. Ich konnte also den Daumen von der Notrufnummer wieder lösen.

Nun setzte ich erneut – in gelerntem Expertenton – an, um ihm vielleicht dann doch noch den ein oder anderen Vorteil meines E-Autos schmackhaft zu machen. Sofort ging es wieder los, was eine weitere Lachsalve, eine von vielen, die mir so jäh entgegenschlugen (wie auch sein Knoblauch geschwängerter Atem) und die mir schmerzhaft klarmachten, dass ich mit meiner Elektroleidenschaft wohl ziemlich alleine auf weiter Flur stand.

Leider hat er sich bis heute vor Lachen nicht wieder vollständig eingekriegt, der liebe Ole. Seitdem mein zweitbester Freund übrigens. Rangordnung muss, neben meiner Leidenschaft für meine Hobbys, sein. Basta! So stand ich nun vor meinem Elefantenrollschuh, äh, vor meinem kleinen Elektroflitzer. Ich umarmte ihn leidenschaftlich, denn es sah ganz so aus, als ob er zutiefst beleidigt wäre über Oles Worte. So ein Elektroauto ist eben ein sensibles Gefährt.

Als ich sah, dass der Stromladestecker auf dem Boden lag, bekam ich irgendwie einen kleinen Anfall und fühlte mich dabei wie der Terminator auf Speed. Ich zählte gekonnt von zehn rückwärts auf null, wie ich es in irgendeiner der psychologischen Fachzeitschriften gelesen hatte. Es soll dabei helfen, sehr schnell zu entspannen. Und es half tatsächlich.

Zwar nicht gegen meinen kleinen unkontrollierten Wutanfall – aber immerhin konnte ich mich in der Zeit mit der neuen Situation ausreichend vertraut machen, die nun vorherrschte. Kein Ladestecker in der Steckdose bedeutete kein Strom in der Batterie. Kein Strom in der Batterie hieß nicht genügend Reichweite, um zur Firma fahren zu können.

Ein genauer Blick auf den Batteriestand gab mir ein wenig von der verlorenen Hoffnung zurück. Ich sah doch noch eine Möglichkeit, dass ich es geradeso hin und auch zurück schaffen könnte. Dass der Ladestecker nicht mehr in der Steckdose steckte, musste nicht groß über Scotland Yard oder Interpol recherchiert werden. Wer die Schuld dafür trug, war auch kein mysteriöser Fall: Die Lösung war offensichtlich. Es war schlicht und einfach meine „Lademeisterin“. Denn nur, wenn die Sonne sich mehr als deutlich am Himmel zeigte, erlaubte sie das Laden aller Geräte. Auch mein Auto musste wohl Opfer ihrer Ladestrategie geworden sein. Wenn also keine Sonne da war, zog sie unbarmherzig alles an energiehungrigen Quellen aus den Steckdosen heraus, was irgendwie auch nur annähernd Strom verbrauchen könnte.

Eine neue Welle von Schauder überkam mich. Hatten sie nicht für heute Regen angesagt? Ohne Sonne kein Strom. Keine Energie heißt auch: Keinen Ofen betreiben, der ein leckeres Abendessen zusammenbrutzeln könnte. Na, toll. Sie würde vermutlich auch alle Lampen ausschalten, wenn nicht sogar ganz herausdrehen. Während ich über all das nachdachte, ergriff eine unsichtbare Hand meine Kehle und drückte erbarmungslos zu. Das Schlucken viel mir plötzlich schwerer. Hieß das etwa auch, dass ich heute Abend weder den Fernseher noch den Computer benutzen konnte? Nachdem sich schon ein deutlich sichtbarer Film von frischem Schweiß auf meiner Stirn gebildet hatte, fiel mir glücklicherweise ein, dass mein Computer wohl aufgeladen sein müsste. Also, auch wenn ich im Dunkeln sitzen würde, könnte ich zumindest noch einige wichtige Dinge am Computer erledigen. Zum Beispiel meinen Facebook Account checken oder ein Spiel weiterspielen, an dem ich schon so lange festhing. E-Mails lesen. Wie gesagt: die wichtigen Dinge.

Das Ganze zwar im kalten Zimmer bei eisigen Temperaturen (so um die 20°C), aber was soll‘s.

Sichtlich erleichtert atmete ich auf, stieg nun schon etwas frohgelaunter ein und startete den Wagen.

Der Motor war wie immer nicht zu hören, was für ein E-Auto ja nicht untypisch ist. Denn egal, was man am elektrisch betriebenen Gefährt einschaltet, ist nichts zu hören außer dem Abrollgeräusch der Reifen auf dem Asphalt. Gerade, als ich eilig losfahren will, hält mich mein Nachbar Frank an. Ein Hüne von einem Menschen. Bei ihm würde man sich gut vorstellen können, dass selbst seine eigenen Kinder Angst vor ihm haben. Dabei scheint er im Grunde genommen sogar sanftmütig, so hoffte ich zu mindestens. Richtig einzuschätzen vermochte ich diesen Kerl aber bis dato nicht. Und so versuchte ich stets, ihm lieber aus dem Weg zu gehen. Denn: Wenn ich eines nicht mochte, dann waren es seine endgelagerten Witze. Aber ich ahnte, dass mir an diesem Morgen kein Schrecken erspart bleiben würde, dachte ich noch, als er auch schon auf mich zukam, um einen seiner typischen arktisch gefrorenen Scherze zu reißen. Auf alle erdenklichen Arten hatte ich schon versucht, unbemerkt an ihm vorbeizukommen, ohne in ein Gespräch verwickelt zu werden. Nichts davon hatte funktioniert. Ob Tarnanzug oder sonstige Verkleidung. Auf dem Boden schleichend, sodass er mich nicht durch irgendein Fenster erspähen konnte. Sogar schon unter dem Haus entlang, über einen nahegelegenen Kanal, habe ich es versucht, ihm zu entwischen. Alles zwecklos.

Irgendwann werde ich es schaffen. Da bin ich mir sicher.

Der Kanal, von dem ich sprach, war übrigens leider dermaßen von Exkrementen verstopft, dass ich zu Umkehr gezwungen wurde. Drei ganze Tage benötigte ich danach, um den Gestank aus der Kleidung wieder herauszubekommen. Noch dazu wurde ich genau für diese Zeit in den Garten verbannt und schlief in einem Zelt, dass wir uns vor vielen Jahren angeschafft hatten. „Zum Auslüften“, wie meine Hausherrin sagte. Alles habe ich versucht, um den Gestank loszuwerden, aber nichts hat geholfen. An Frank vorbeizukommen schien wirklich unmöglich. Eine Vermutung dazu hatte ich allerdings: Er musste seismische Detektoren rund um das Haus in den Boden verbaut haben.

Bei der geringsten Erschütterung, die schon von einer Fliege ausgelöst werden könnte, stand er sofort auf der Straße und fing dann, wen auch immer, sofort ab, um ihm oder ihr den neuesten seiner Witze zu erzählen. Der eigentlich weder neu noch witzig war.

Naaaaaaa, Paul, brüllt er mir wie immer energiegeladen und dermaßen laut durch die Scheibe meines Autos entgegen, als wäre sie nicht vorhanden. Erst als ich genau hinsehe, entdecke ich: Sie war tatsächlich heruntergefahren. Na egal, jetzt war es sowieso zu spät. Verdammt, wie soll ich es noch pünktlich ins Büro schaffen?

Naaaaaa, Paul. Raùl Paul, wiederholt er und macht sich aus meinem Namen einen selbstgebauten Witz, der mir aber so lächerlich erscheint, dass ich leider nur mitleidsvoll grinsen kann. Denn er kennt meinen Vornamen nur zu gut. Aaaahhh, der Frank! Mein Bester, entgegne ich in meiner eloquenten Art, die heute Morgen jedoch weniger überzeugend erscheinen musste. Hast du wieder einen neuen Schwank zu erzählen? Mist, dachte ich, biss mir schon auf die Zunge, weil ich nun wusste, dass ich ihn auch noch dazu ermutigt hatte, mir seine endzeitgelagerten Witze zu erzählen. Und prompt setzte er an. Er ließ mich wissen, dass er den Witz auch schon seiner Frau Babsi erzählt hatte. Die Arme hatte aber auch was mitzumachen, mit ihrem Mann, dachte ich. Ich hoffte nur für Babsi, dass sie genauso witzeresistent ist wie ihre neue Garage mit der nun eingebauten Feuertüre gegen ausbrechende Feuerstürme jeglicher Art. Weiter dachte ich an seine armen Kinder, Jan-Nicklas und Jennifer-Loreen. Schon für die Namensgebung müsste sich Frank eines Tages bei seinen Kindern entschuldigen, von den Witzen mal ganz abgesehen, dachte ich.

Klar sagt er, und reißt mich schlussendlich aus meinen Gedanken. Einem netten Nachbarn muss man doch zu morgendlicher Stunde erheitern.

Bevor ich überhaupt eine Möglichkeit gehabt hätte, etwas zu sagen, setzt er unnötigerweise sogar noch nach: „Hast doch sonst keinen Spaß mehr im Leben, in deinem Alter, Mann.“

Noch bevor ich ihn darauf aufmerksam machen kann, dass ich erst 57 Jahre alt bin und sehr wohl noch viel Spaß am Leben habe – es sei denn, ein Nachbar möchte mich unnötigerweise erheitern – startet er schon einen seiner berüchtigten Witze, die genauso gefroren waren wie mein Gemüt. Als er fertig ist, quäle ich mir ein Lächeln ab. Er jedoch lacht sich über seinen eigenen Witz halb tot. Dabei nutze ich den günstigen Moment seiner Unaufmerksamkeit und entferne mich geräuschlos. Im Rückspiegel sehe ich, dass er sich immer noch vor Lachen auf die Schenkel klopft. Nachdenklich setze ich meine Fahrt fort und frage mich nun, ob ich wirklich keinen Spaß verstand oder warum Franks Witze bei mir nicht die mindeste Reaktion auslösten.

Bis auf eine: Denn, außer, dass ich nach diesen Witzattacken immer Pickel auf meiner Haut entdeckte, für die ich aber „Gott sei Dank“ eine durchaus wirkungsvolle Hautcreme hatte, passierte sonst wirklich gar nichts. Dabei schwor ich mir, doch mal in mich zu gehen und über das Thema erneut nachzudenken. Vielleicht würde ich doch noch irgendeine Spur Humor in mir entdecken.

Ich befürchtete allerdings, dass man da schweres Geschütz auffahren müsste. Gleich morgen würde ich mich mal nach einem Humortherapeuten erkundigen.

Und ewig küsst mich Dornröschen wach

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