Читать книгу Und ewig küsst mich Dornröschen wach - Wolfgang Haecker Paul - Страница 13

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Kapitel 3 – Büroalltag ohne Grenzen

Endlich konnte ich es nun ruhiger angehen lassen. Der Morgen hatte schließlich hektisch genug begonnen. Erst der fast leere Wagen, dann der vor guter Laune überschäumende Nachbar. Was sollte mir denn heute noch passieren?

Ich hoffte, dass sich mir kein weiteres Hindernis mehr in den Weg stellen würde, wenigstens bis zur Firma. Lautlos glitt mein Fahrzeug dahin. Ich lauschte dem Radiosender meiner Wahl, dessen Sprecherwitze um einiges besser waren als die meines Nachbarn, der sie vielleicht aus einer Stiftung für verwaiste Witze bezog. Oder aus einer Organisation für gestrandete Komiker. Meine Laune stieg zaghaft an, als ich ganz plötzlich abrupt bremsen musste. Was auf meiner Strecke vom Dorf bis zu meiner Arbeitsstelle eher unüblich war. Nicht mal eine einzige Ampel lag auf meinem Weg. Jetzt aber zeichnete sich irgendetwas schattenartig hinter dem frühmorgendlichen Nebel vor mir ab. Zuerst eine größere Gestalt – und mir fiel unwillkürlich Frank wieder ein. Mist! Der Kerl verfolgt mich sogar in meinen Gedanken. Dann aber sah ich mehrere kleinere Schatten. Nein, das konnten nicht seine Kinder sein. Frank und seine Familie hier im Wald?

Wie kam ich nur auf so einen Quatsch. Aber … was war das da vor mir denn dann? Vorsichtig fuhr ich näher heran und sah, dass es sich um eine Wildschweinfamilie handelte. Die Mutter lief voran, die kleinen Frischlinge alle hinterher. Wäre ich nur etwas schneller gefahren, hätte ich für einen Jahresvorrat an Wildschweinfleisch sorgen können. Den Jungen aber hätte ich dann die Mutter weggegessen. Und ihre Aufgabe, die der Aufzucht, wollte ich mir dann beim besten Willen doch nicht antun.

Die wenigen Kilometer bis zur Firma verliefen ansonsten frei von weiteren Ereignissen. Erwähnenswert wäre vielleicht noch, dass mir beinahe der ein oder andere Rentner vor das geräuschlose Auto gelaufen wäre. Und immer, wenn sie schon knapp vor meiner kurzen Motorhaube zu stehen kamen, erkannte ich, wie verzweifelt sie versuchten, an ihrer im Ohr eingebauten Hörakustik zu drehen, um die Lautstärke neu zu justieren. Sie dachten vermutlich, dass ihr Gerät wohl ausgefallen sei, was meine Laune nun deutlich verbesserte, mich aber gleichzeitig erschrak – wieso machte es mir Freude, unbescholtene Rentner mit meinem kleinen Elektroflitzer zu ärgern?

Als ich endlich in der Firma angekommen war, suchte ich mir einen Parkplatz. Wie immer war fast alles komplett zugeparkt und ich überlegte kurz, ob ich meinen Wagen nicht mit hochnehmen sollte, um ihn in meinem Büro abzustellen.

So klein wie er ist, dürfte es doch niemanden stören, dachte ich, als ich gerade noch eine Lücke entdecke, in die ich quer einfahren konnte. Was bestimmt einige meiner Kollegen sehr erfreuen müsste – so platzsparend, wie ich zu parken wusste. Wie jeden Morgen ging ich grüßend am Pförtner vorbei, stempelte mich ein und ging schnurstracks in mein Büro.

Hilde, meine freundliche und runde Kollegin, war noch nicht eingetroffen. Kurz überlegte ich, ob ihr Pflegeprogramm gemäß ihres Alters wohl aufwändiger sein musste als meines, während ich (noch frohgelaunt) meinen PC hochfuhr.

Windows meldete sich auf dem Bildschirm und forderte wie immer mein Passwort an. Ich startete schon mal die Kaffeemaschine, um gleich darauf die Enter-Taste zu drücken.

Der Rechner fuhr hoch, um dann sofort wieder herunterzufahren. Nicht aber, ohne mir vorher anzuzeigen, dass er alle neuen Updates noch laden müsse und ein Neustart erforderlich wäre. Während des Updates hatte ich so aber genug Zeit, meinen Kaffee zu genießen und ein paar Papiere durchzusehen. Endlich bootete der Rechner hoch und verlangte erneut mein Passwort. Gerade als ich loslegen wollte, wies mich Windows darauf hin, dass ein weiteres Update für Office dringend notwendig wäre.

Das musste verschoben werden, denn ich hatte noch ein paar Mails zu bearbeiten. Schon leuchtete die dringliche Aufforderung auf, dass dringendst eine neue Version aufgespielt werden müsse. Das Programm fragte mich, ob ich die Aktualisierung ausführen wolle. In großen Buchstaben stand dort: ,,Y/N“. Ich drückte auf der Tastatur den Buchstaben ,,N“ – wie „Nein“ – und der Rechner fuhr sofort herunter, ohne das ich noch meine bisherigen Daten hätte sichern können. Ein zweiter Kaffee musste her, zur Beruhigung und Überbrückung der Zeit, denn das Booten dauerte einige kostbare Minuten an Bürozeit. Als der Rechner sich nach der nun dritten Tasse Kaffee zurückmeldete, trat auch Hilde in den Raum ein.

„Guhuhuten Mohohorgen“, säuselte sie und ich war mir nicht sicher, ob es noch ein Lied werden sollte. Freundlich antwortete ich mit einem „dihihirr ahuhuuch, liebe Hilde.“ ,,Na, da ist aber einer gar nicht gut drauf heute Morgen“, ließ sie mich wissen, ohne, dass ich mich noch rechtfertigen konnte. Denn schon ergoss sie ihr weiteres Wortstakkato über mich, sodass ich schnell den Faden des Gespräches verloren hatte. Ich trank gerade den ersten Schluck meiner vierten Tasse Kaffee, als der Rechner mir nun endlich die Chance gab, mich neu einzuloggen, um meine Arbeit zu beginnen.

Meine Kollegin fragte gerade nach, ob ich die Präsentation schon fertig hätte, die unser Chef heute noch benötigte. Ich ließ sie wissen, dass ich gerade dabei gewesen wäre, die letzten notwendigen Folien zu erstellen, als der Rechner mir wiederum eine Botschaft auf den Bildschirm zauberte. „Bitte drücken Sie die Windows Taste in Kombination mit R und geben Sie in die Kommandozeile Folgendes ein …“

Irgendetwas fehlte zur automatischen Ausführung des Programms. Ich folgte den Anweisungen und startete das Programm „Power Point“ neu. Nichts.

Stattdessen fuhr der Rechner wieder herunter und ließ mich wissen, dass die Programmausführung diesen Neustart benötigte. Als ich bei der sechsten Tasse Kaffee war, loggte ich mich erneut ein und konnte tatsächlich nun endlich mit dem gewünschten Programm arbeiten. Erleichtert atmete ich auf. Routiniert schrieb ich die letzten Daten gerade zusammen. Da stand auch schon mein Chef in der Türe. Er erinnerte mich in seinem Verhalten an einen früheren, sehr strengen Lehrer in meiner Schule. Der schrieb jede Menge Tests. Wie üblich, nach einer gewissen Zeit, schaute dieser Lehrer auf die Uhr und ließ uns alle mit strengem Blick wissen, dass wir unsere Arbeiten zu beenden hatten. „Abgabe!“, rief er laut in den Klassenraum.

„Alles hinlegen an Schreibzeugen, sonst gibt es eine Sechs,“ brüllte er uns nicht selten an. Als mich mein Lehrer, äh, mein Chef, nun ansah, rief er mir zu (fast mit derselben Stimme wie einst mein Lehrer):

„Abgabetermin, Herr Paul!“ Und einmal mehr fühlte ich mich an meine Schulzeit erinnert. Ich erwartete noch, dass er mich aufforderte, jegliche Aktivität einzustellen, sonst gäbe es eine schlechte Note. Dann war er auch schon wieder weg.

Dafür meldete sich meine liebenswürdige Kollegin mit ihrer ebenso liebenswürdigen Singsang-Art: „Uhuhund, sind wir denn fertig geworden?“

„Jahahahaha, dahahahs sihind wihihir,“ entgegnete ich.

Nach nun sieben Tassen Kaffee war nicht nur mein Blutdruck weit oberhalb messbarer Grenzen, auch mein Sarkasmus stieg wohl analog. Und er bliebt nicht ungehört.

„Ach, da ist aber einer heute wirklich schlecht drauf,“ wiederholte Hilde.

„Das hat man davon, wenn man mal nett nachfragt, ob der Herr Kollege zurechtkommt.“ Plötzlich sah ich etwas Feuchtes in ihrem Augenwinkel. Es kostete mich weitere 30 Minuten, Hilde einigermaßen zu trösten und ihr zu versichern, dass sie die Beste sei.

In der Zeit hatte ich allerdings noch zweimal meinen Rechner neu gebootet, weil natürlich noch weitere neue Updates erforderlich waren. Unkontrolliert hatte ich zwischenzeitlich auch zwei weitere Kaffee in mich hineingeschüttet, konnte nun mit einer Hand auf der Tastatur schreiben, gleichzeitig Hilde beim Posteingang helfen, in der Hoffnung, dass der Koffeinspiegel noch ein wenig anhalten möge.

Denn ich war durchaus bereit für eine dritte simultan zu erledigende Arbeit. Aber irgendwie schaffte ich es dann doch alles noch im erforderlichen Zeitrahmen. Gut, dass mittlerweile auch schon Zeit war, die wohlverdiente Pause anzutreten.

Aber ich konnte nicht einschlafen, obwohl ich mir immer wieder sagte, dass ich nun ein wenig gesunden Büroschlaf verdient hätte. Es quälte mich die Vorstellung, dass meine Energieberaterin schon die nächsten Konzepte plante. Hilde schien schon von ihrem nächsten Urlaub zu träumen, denn ich hörte sie leise „ohoho, wiehiehie, schöhöhön,“ murmeln, während ich immer noch im Halbschlaf mit einer Hand den Posteingang stapelte und gleichzeitig zwei weitere Foliensätze für die nächsten Präsentationen meines Chefs mit der anderen Hand schrieb.

Es erschreckte mich, was Koffein so alles bewirken konnte. Wahrscheinlich würde ich den ganzen Büroschnitt einer Woche zunichtemachen, denn unser Chef war eine pünktliche Abarbeitung von Aufgaben überhaupt nicht gewohnt.

Daher hatte ich darüber nachzudenken, wie man ihm das erklären könnte. Als Hilde nach über einer Stunde wohlverdienten Schlafes aufwachte, aber immerhin noch rechtzeitig vor dem Mittagessen, ließ sie mich ihren Unmut sofort spüren.

„Hast du etwa die komplette Pause durchgearbeitet?“

„Bist du denn wahnsinnig, jetzt müssen wir all die restliche Arbeit auf eine Woche verteilen, sonst machen wir noch unseren Schnitt kaputt.“

Ihre Tiraden gingen dann weiter, wie etwa „Was soll denn unser Chef von uns denken?“ „Rechtzeitig fertige Arbeit! Ts, ts, ts! Wo soll das denn noch alles hinführen,“ hörte ich sie noch leise herumdrucksen.

Das Mittagessen musste ich ausfallen lassen, schließlich hatte ich ja noch nicht mal in der Frühstückspause wegen meines hohen Kaffeekonsums richtig schlafen können. Und kaum war Hilde aus dem Raum, als ich auch schon friedlich in einen tiefen Schlaf fiel.

Ich träumte von einer gerechteren Bezahlung für meine harte Arbeit und von mehr Anerkennung für all das, was ich bisher für diese Firma geleistet hatte. Als ich plötzlich im tiefsten Traum eine entfernte Stimme hörte mit den Worten „Abgabetermin“ – zunehmend deutlicher und immer lauter werdend, dieses hässliche Wort. Es war Hilde, die mich, immer noch schluchzend, an ihre ausladende Brust drückte, um mir Trost zuzusprechen. Sie erzählte, dass ich wohl einen Alptraum gehabt haben musste und sie mich deshalb geweckt habe. Gerade noch rechtzeitig. Denn, als ich auf die Uhr schaute, sah ich, dass ich mich längst im Feierabend befand, als sich Windows mit einem neuen Update meldete, um den Rechner gleich darauf wieder runterzufahren.

Und ewig küsst mich Dornröschen wach

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