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Die Mutter

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Gemäß der Tradition des bürgerlichen Trauerspiels nimmt die Mutter nur eine Nebenrolle ein; der zentrale Konflikt spielt sich zwischen dem Vater und seinen Kindern Karl und Klara ab. Nur einmal wird ihr Vorname, »Therese«, genannt, nämlich kurz nach ihrem Tod (I,7; S. 58). Somit ist sie nicht als Individuum gezeichnet, sondern eher als Typus der HausmutterTypisierung zu sehen: Sie besetzt die traditionelle Rolle als »Gute Hausmutter« (I,6; S. 55), wie ihr Mann sie nennt. Innerhalb der kleinbürgerlichen Familie hat sie eine dienende Funktion; klaglos übernimmt sie die Überzeugungen ihres Mannes bis in dessen Wortwahl hinein: »ich habe im Hause geschafft, was ich konnte […] und den sauren Schweiß eures Vaters zusammengehalten« (I,1; S. 36 mit Bezug auf I,6; S. 57). Ihre Aufgaben sind es, den Haushalt sparsam und reinlich zu führen sowie die Kinder sittsam zu erziehen.

Die Verwendung biblischen Vokabulars verweist auf ihre Lebensferne Gottesfurcht?Frömmigkeit und Tugendhaftigkeit. Soeben von einer schweren Krankheit genesen, geht sie zur Kirche, um Gott ihren Dank abzustatten (I,1; S. 36). Dazu trägt sie ihr weißes Hochzeitskleid als Symbol ihrer Reinheit; Gleiches versinnbildlichen die Myrten, die sie in einem Blumentopf pflegt (I,1; S. 35). Thereses Glaube bedeutet für sie die Verpflichtung, Gott zu dienen – eine Bringschuld, denn sie lebt »in der Furcht des Herrn« (I,1; S. 36).

Ihr Gottesverständnis mag aufrichtig sein, doch gegenüber der rauen Wirklichkeit bietet es keine rechte Hilfe. Ihre tröstenden Worte »Kind, ich will für dich beten« (I,3; S. 39) sind kaum dazu angetan, Klaras Verhältnis zu Leonhard zu kitten.

Das Miteinander der beiden Eheleute wirkt wenig gefühlsbetont. Zwar geht man in entspannten Momenten durchaus liebevoll miteinander um (I,6; S. 55), doch es lässt aufhorchen, wie gefasst, ja unterkühlt Anton den Tod seiner Frau registriert (I,7; S. 58). Ursache könnte die Verschiedenheit der beiden Charaktere sein: Starrheit gegenüber Nachsicht, Argwohn gegenüber Vertrauen, Prinzipienfestigkeit gegenüber Verständnis. Der entscheidende Streitpunkt ist aber in den unterschiedlichen Prinzipien der ErziehungErziehungsprinzipien fassbar: Während Anton seiner Frau vorwirft, sie verwöhne Karl (I,6; S. 57), beanstandet sie: »Gegen deinen Sohn […] bist du nur ein halber Vater« (I,6; S. 56) – allerdings, ihrer Rolle gemäß, nur zaghaft.

Tief im Grunde stimmt sie ihrem Ehemann sogar zu. Sie wirft sich vor, Karl von klein auf verzogen zu haben (I,3; S. 38); darin glaubt sie die Ursache für sein renitentes Verhalten zu erblicken. Seine beiläufige Bemerkung, er verfüge über dubiose Geldquellen (I,2; S. 37), hat sie mit Sorge registriert. Vielleicht hat der plötzliche Tod, der sie ereilt, hierin seine Ursache. Sie gibt ihrer Erziehung die Schuld an der Fehlentwicklung, die Karl augenscheinlich genommen hat.

Gegenüber ihrer Tochter Klara zeigt die Mutter, dass sie nicht zu den ehrgeizigen Ehefrauen gehört, die – wie etwa Claudia Galotti bei Lessing – nachdrücklich den sozialen Aufstieg ihrer Töchter verfolgen. Vielmehr rät sie Klara zur Heirat mit Leonhard; der sei »doch recht brav« (II,5; S. 75), und: »Ich mag ihn sonst wohl leiden, er ist so gesetzt! Wenn er nur erst etwas wäre!« (I,3; S. 39). Menschenkenntnis ist ihre Sache nicht; wichtig sind ihr persönliche Gediegenheit und eine gesicherte berufliche Existenz, letztere allerdings im vorgegebenen Die kleinbürgerliche Engekleinbürgerlichen Rahmen: »Halte dich zu deinesgleichen! Hochmut tut nimmer gut!« (II,5; S. 75). Sie vermag nicht aus ihrem sozialen Umfeld auszubrechen, will es auch gar nicht; Klaras Glück sieht sie nur in der beschränkten Enge ihrer eigenen kleinen Welt verwirklicht.

Liegt hierin die Ursache, dass Klara sie über ihre prekäre Lage nicht ins Vertrauen zieht? Ist es das Gefühl, dass Klara schon von Kind auf hinter dem Liebling Karl zurückstehen musste, oder fühlt sie, dass ihrer Mutter durch die bürgerlichen Moralvorstellungen die Perspektive fehlt, sich in die Tochter hineinzuversetzen? – Es wirkt verstörend, dass Klara nicht einmal in ihrer Mutter einen Halt zu finden glaubt.

Maria Magdalena von Friedrich Hebbel: Reclam Lektüreschlüssel XL

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