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I

Der kleine Prinz kniete auf dem Boden. Die Hände in den Schoß gelegt und den Kopf leicht vornüber geneigt, betrachtete er die Rose, deren Schatten sich im Schein der untergehenden Sonne auf seinem Gesicht abzeichnete.

Alt war sie geworden, alt und weise. Lange Zeit noch hatte sie sich bemüht, hoch aufgerichtet, ihre Herrschaft über die anderen Blumen des Planeten zu betonen, doch der kleine Prinz hatte nach und nach erkannt, wie schwer es ihr fiel, diese Haltung zu bewahren. So achtete er bei jedem seiner täglichen Besuche darauf, dass sie nicht zu lange dauerten.

Nun aber, da sie schlief und sich in unschuldiger Verletzbarkeit der aufkommenden Nacht anvertraute, sah er seine Rose wie sie in Wirklichkeit war:

Ihre Blütenblätter, die sie zum Schutz vor dem frischen Abendwind hochgerafft hatte, waren überall mit feinen Rissen versehen und an einigen Stellen sogar brüchig geworden; ihre Dornen, die sie bei der Begegnung mit ihm stets hinter ihrem Stängel zu verbergen suchte, schimmerten matt und stumpf.

Am meisten aber schmerzte es den kleinen Prinzen erkennen zu müssen, wie sehr sich ihr Körper unter der Last ihres Hauptes beugte – wie schwer musste es ihr jedes Mal gefallen sein, jene stolze Haltung einzunehmen, in der sie ihn alltäglich wie zur Zeit ihrer Jugend empfing!

Der kleine Prinz versenkte sich lange Zeit in ihren Anblick. Dann spitzte er seine Lippen und rief mit einem feinen Hauch die Rose aus ihrem Traum. Er räusperte sich. Noch bevor sie sich verlegen zu strecken suchte, sagte er:

„Ich muss gehen, es ist wieder Zeit.“

Ein leises Wehen durchlief die Rose, dann erwiderte sie:

„Es ist immer Zeit für den, der geht. Nur wer stehen bleibt, meint, es sei keine Zeit.“

Der kleine Prinz lauschte ihr verwundert. Er beugte sich noch dichter zu ihr hinüber, denn er erkannte, dass das Sprechen sie anstrengte. Dann sagte er:

„Wie ist das, wenn keine Zeit ist?“

Nach einem kleinen Schweigen, so als hätte sie mit sich ringen müssen, antwortete die Rose:

„Woher soll ich das wissen? ... Ich werde mit jedem Sonnenuntergang älter.“

Der kleine Prinz hielt den Atem an. Da war es, dieses Wort, dessen Wirklichkeit sie seit seiner Rückkehr auf den Planeten vor ihm zu leugnen gesucht hatte. Endlich fasste er Mut:

„Aber ... du stehst doch? Ich verstehe dich nicht.“

„Nein“, widersprach die Rose, „ich bewege mich ... Wenn du zu mir kommst, so schwinge ich im Takt deiner Schritte, wenn du zu mir sprichst, so wiege ich mich im Hauch deines Atems ...“

Sie schwieg.

„Die Zeit wird stehen bleiben, wenn du gehst ...“

Ihre Stimme wurde leiser, und der kleine Prinz bemerkte beklommen, dass sie verschämt ihren Kopf senkte.

„Du musst nicht traurig sein“, versuchte er sie zu trösten, „mein Schaf ist doch da ... Es wird sich zu dir legen, wenn die Sonne untergeht.“

„Du vergisst, dass das Schaf auch auf dich wartet“, sagte die Rose.

Dann, reumütig:

„Aber ich weiß ja, dass ich dich nicht halten darf ... Warten tötet das Leben.“

Der kleine Prinz spürte, dass sie der Nacht dankbar war, die sie unter dem Schutz ihres Mantels barg und somit seinen Blicken entzog.

Doch, einer jähren Bewegung nachgebend, reckte die Rose ihren Kopf zu dem seinen hinauf und streifte sanft seine Wangen:

„Adieu“, sagte sie leise, kaum hörbar.

„Adieu“, sagte der kleine Prinz.

Er strengte seine Augen an, um sich ihr Bild ein letztes Mal einzuprägen:

„Adieu“, wiederholte er.

Dann zog er sich behutsam zurück und begann seine weite Reise.

Rückkehr des kleinen Prinzen

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