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Wie erkennt man einen Apostel? – Gestalt und Typus
ОглавлениеDoch zunächst werfen wir einen Blick auf die vielfältigen Erscheinungsformen des Apostels. Da stellt sich die Frage, woran man einen Apostel erkennt, wie er sich von anderen Heiligen unterscheidet. Wir kennen die Apostel in ihrer bildlichen Darstellung sowohl als Kollegium wie auch in zahllosen Einzeldarstellungen. Die bekannteste kollegiale Darstellung ist das letzte Abendmahl, das die Apostel gemeinsam mit Christus einnehmen. Sehr schöne frühe Beispiele sind die Kuppelmosaiken im Baptisterium der Orthodoxen, auch Neonbaptisterium genannt, aus dem 5. Jahrhundert und im Baptisterium der Arianer, beide in der an herausragenden Mosaiken so reichen Stadt Ravenna. Sie zeigen die Taufe Christi im Jordan, in einer Reihe darunter die zwölf Apostel.
Im Baptisterium der Orthodoxen haben die Figuren den Vorteil, namentlich gekennzeichnet zu sein, sodass die einzelnen Apostel erkennbar sind. Dennoch sehen sie alle nahezu gleich aus. In feierliche Gewänder gekleidet, tragen sie in ihren nach damaligem liturgischem Brauch verhüllten Händen Märtyrerkronen. Nur bei genauem Hinsehen erkennt man unterhalb der Taufszene mit Johannes dem Täufer und Christus die beiden Apostel Petrus und Paulus, deren herausgehobene Bedeutung im Apostelkollegium schon damals unbestritten war. Petrus ist als älterer Mann mit Bart dargestellt, Paulus mit schmalem Gesicht und hoher Stirnglatze wiedergegeben. Das war im 5. Jahrhundert möglicherweise eine noch lebendige Erinnerung an ihr tatsächliches Aussehen. Die späteren Attribute, der Schlüssel für Petrus und das Schwert für Paulus, fehlen noch. Alle anderen Apostel sehen gleich aus.
Betrachten wir in diesem Kreis Jakobus d. Ä., eine der herausragenden Persönlichkeiten unter den Aposteln, so sehen wir ebenfalls keinen Unterschied. Reiches Gewand, kurz geschnittene Haare, die Andeutung eines Kinnbartes und die Märtyrerkrone. Stünde nicht sein Name bei der Gestalt, so könnte es auch jeder andere der engsten Gefährten Jesu sein. Wie in Ravenna ist es auch in den Kirchen von Rom und an anderen Orten des spätrömischen Reiches. Im Unterschied zu den Märtyrerkronen von Ravenna können die Apostel Buchrollen, später auch die am Ende der Spätantike aufkommenden gebundenen Bücher als Zeichen ihrer Lehrbefugnis im Glauben tragen. Voneinander unterscheidbar sind sie neben den »Apostelfürsten« Petrus und Paulus nicht. Mitunter wurden die Apostel in der Gegenwart Jesu sogar nur als zwölf Schafe – ein Hinweis auf den guten Hirten Christus – oder als die zwölf Sternzeichen, die das ganze christliche Jahr symbolisierten, dargestellt. Das sollte sich in den folgenden Jahrhunderten nur sehr langsam ändern.
Bei der Kennzeichnung der Apostel trat bald eine weitere Schwierigkeit auf. In der östlichen Reichshälfte des römischen Reiches, aus der ab dem 6. Jahrhundert das byzantinische Reich hervorgehen sollte, wurde der Primat der Nachfolger Petri, der Bischöfe von Rom, vor allem von den selbstbewussten Patriarchen in der Kaiserstadt Konstantinopel, aber auch von den Patriarchen in Jerusalem, Antiochia und Alexandria frühzeitig bestritten. Das zielte nicht auf den Rang Petri innerhalb des Apostelkollegiums, wohl aber auf die sich steigernden Ansprüche seiner Nachfolger in Rom, das nach den Gotenkriegen des 6. Jahrhunderts in steilem Niedergang begriffen war.
Auch hielt man in der Ostkirche zwar an der Zwölferzahl der »Gesandten« – das ist die eigentliche Bedeutung des Begriffs Apostel – zur Verkündigung des Glaubens fest, die offizielle Namensreihe war jedoch schon bald eine völlig andere. Wie im Westen zählte man in der griechischen Apostelreihe die ersten acht Namen in der gleichen Weise: Petrus, Paulus, Andreas, Thomas, Philippus, Jakobus d. Ä., Simon, Bartholomäus, ergänzte das Zwölferkollegium aber durch die vier Evangelisten Matthäus, Markus, Lukas und Johannes. Die erst im 11. Jahrhundert endgültig vollzogene Trennung der orthodoxen von der abendländischen Kirche zeichnete sich schon frühzeitig ab. Es ist deshalb kein Wunder, wenn sich Pilger aus den beiden Hemisphären zwar in Jerusalem und auch in Rom an den Gräbern der Apostelfürsten, bis auf wenige Ausnahmen aber eher selten in Santiago de Compostela trafen.
Die westliche Apostelreihe hingegen verfeinerte sich in den folgenden Jahrhunderten, wobei man auch das Problem der dreizehn Apostel nach der Zuwahl von Matthias und Paulus für den abtrünnigen Judas Ischarioth in den Griff zu bekommen versuchte. Paulus gehörte seit der Zeit der Apostelgeschichte, also erst nach der Kreuzigung und der Auferstehung Jesu, durch seine Missionsreisen und seine ausgedehnte Lehrtätigkeit als »Völkerapostel« zwar unbestritten zum Apostelkollegium. Beim letzten Abendmahl aber konnte er aus eben diesen Gründen nicht gezeigt werden. Also wurden Matthäus/Matthias herangezogen. Sie wurden kaum merkbar bei Bedarf miteinander verschmolzen, sodass beim Abendmahl die Zwölferzahl erreicht wurde, später aber Paulus seinen Platz im Apostelkollegium ungehindert einnehmen konnte. Blieb noch der ebenfalls in der Apostelgeschichte erwähnte Barnabas, auch Josef genannt. Er wurde mal mitgezählt, mal wieder nicht, sodass seine Zugehörigkeit zu den Aposteln bis heute nicht recht geklärt ist. Mit Blick auf die Auswahl der diversen Träger des Namens Jakobus ist das in der abendländischen Kirche ein zwar erstaunliches, aber kein ungewöhnliches Verfahren.
Die früheste Kennzeichnung betraf Petrus und Paulus, deren Symbole Schlüssel und Schwert waren. Sodann unterschied man die Gefährten Jesu nach ihrem Dienstalter, d.h. dem Zeitpunkt ihrer Berufung. Neben Petrus waren dies in der Gruppe der Erstberufenen Andreas, dessen bekanntes Attribut das diagonale Andreaskreuz wurde, sowie Jakobus d. Ä. und der Evangelist Johannes. Von diesen wurde der Lieblingsjünger Johannes in der Regel jung, bartlos und mit Schlange und Kelch dargestellt, während die Symbole des Jakobus der Pilgerstab, der Pilgerhut und die Muschel wurden. Diese werden uns noch mehrfach beschäftigen.
Zur zweiten Gruppe der von Jesus zu Beginn seiner Lehrtätigkeit berufenen engsten Anhänger zählen Philippus mit dem Attribut des Kreuzes, Bartholomäus, der das Messer, mit dem ihm die Haut abgezogen worden sein soll, vorzeigt, und Levi-Matthäus, der üblicherweise mit Beil, Messlatte und Winkelmaß abgebildet wird. Abgesehen von den Attributen reicht so weit auch die Übereinstimmung mit der griechischen Apostelliste. Die dritte Gruppe umfasste dann Jakobus den Jüngeren, dessen Symbol die Walkerstange wurde, Judas Thaddäus, als dessen Attribute wechselweise oder auch gemeinsam das Beil, eine Keule, die Hellebarde sowie Steine erscheinen, Simon Zelotes mit Säge und Beil sowie Judas Ischariot mit dem Münzbeutel, in dem er die dreißig Silberlinge für den Verrat an Jesus verwahrte.
Die noch überzähligen Matthias und Barnabas wurden, wenn überhaupt, mit Beil und Lanze sowie beide mit Steinen abgebildet. Die Werkzeuge stehen für die Marterinstrumente, mit denen die Apostel zu Tode gebracht worden sein sollen, weshalb sie in Ravenna auch mit der Märtyrerkrone dargestellt werden. Bis auf die Enthauptung des nun in Santiago verehrten Jakobus d. Ä. ist über das weitere Wirken der meisten Apostel und auch über ihre angeblichen Martyrien kaum etwas bekannt. Die frommen Legenden aus späterer Zeit überwiegen hier bei Weitem die sehr wenigen gesicherten Tatsachen aus der ersten Zeit des Christentums. Festzustellen sind jedoch bei den Marterwerkzeugen die zahlreichen Anleihen der Apostel untereinander, ein Bestreben, das wir auch bei der Begründung einer eigenen Ikonografie für Jakobus d. Ä. feststellen können. Wenden wir uns also wieder dem Jakobus von Santiago de Compostela zu.