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Der »wahre Jakob«

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Die Darstellung der Apostel ohne Attribute, allenfalls mit Buch oder Schriftrolle, währte bis ins Hohe Mittelalter. Die Kennzeichnung der Apostel durch Symbole setzte sich nur langsam durch. Hinzu kommt, dass sich im Abendland die Skulptur, einer der Hauptträger der Bildsprache im Hohen Mittelalter, erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts erneut zu einem eigenständigen und bedeutenden Medium der bildenden Kunst entwickelte. Da wirkte die Abneigung der Kirche gegen die antike Großplastik, die fast ausschließlich heidnische Götter und Heroen, aber auch Kaiser, Feldherren und Senatoren, kurz, die Verfolger und Feinde der ersten Christen darstellte, noch sehr lange nach. Und so treffen wir auch Jakobus d. Ä. zunächst nur als Apostel mit Buch, aber ohne Muschel und die weiteren Kennzeichen des Pilgers. So ist er an der Porte Miègeville der Abteikirche von St. Sernin in Toulouse vom Ende des 11. Jahrhunderts und sogar in fast identischer Weise an der kurz darauf entstandenen Puerta de las Platerías an der Kathedrale von Santiago de Compostela dargestellt.

Die beiden Reliefs sind nicht nur wegen der noch fehlenden, einhundert Jahre später aber allgemein üblichen Symbole des Apostels interessant. Sie verweisen auch auf einen harten Wettbewerb zwischen den beiden Kirchen in Toulouse und Santiago. Es ging um nichts weniger als die Frage, wer denn nun im wirklichen Besitz des »wahren Jakob« sei. Diese Rivalität, in der es natürlich auch um die Lenkung der Pilgerströme und der damit verbundenen Einnahmen ging, dürfte in den gigantischen Ausmaßen der gleichzeitig mit der Kathedrale von Santiago errichteten Kirche von St. Sernin ihren Ausdruck gefunden haben. Darüber hinaus reklamierten auch die Armenier in ihrer Jakobuskirche in Jerusalem, dem Ort des bezeugten Martyriums von Jakobus, die begehrten Gebeine für ihr Gotteshaus. Das musste vor allem die Pilger, die sowohl Jerusalem als auch Santiago de Compostela aufsuchten, doch etwas irritieren.


Santiago de Compostela, Kathedrale, Puerta de las Platerías, Jakobus der Ältere, um 1100. Toulouse, St. Sernin, Porte Miègeville, Jakobus der Ältere, um 1100.

Zum Titelheiligen des Gotteshauses in Toulouse, das noch heute über einen Reliquienschatz mit Relikten von 175 Heiligen verfügt, wurde jedoch der Bischof Saturninus (Sernin), der im 3. Jahrhundert dort das Martyrium erlitt. Gegen diesen bedeutenden Lokalheiligen konnten sich die viel später aufgetauchten Gebeine eines Jakobus nicht durchsetzen. Im Gegenteil, im Mittelalter wurde der Kult des Saturninus derart ausgeweitet, dass er zu einem fast apostelgleichen Heiligen wurde. Der Kampf um die Gunst der Pilger wurde mit allen Mitteln geführt. Die Nachweise, dass die Gebeine des Jakobus in St. Sernin in Toulouse ihre letzte Ruhestätte gefunden hätten, sind aber noch dürftiger als ihre Lokalisierung in der Krypta von Santiago. Karl der Große soll die Reliquien St. Sernin geschenkt haben. Woher er sie erhalten hatte, wird in der Überlieferung nicht weiter ausgeführt.

Da in mancher Legende ein wahrer Kern steckt, ist eine solche Stiftung durch Karl den Großen noch nicht einmal ausgeschlossen. Es könnte sich aber auch um den Apostel Jakobus den Jüngeren, den Sohn des Alphäus, gehandelt haben. Zwischen den beiden Aposteln mit diesem Namen wurde im Mittelalter nicht immer genau unterschieden, wenn aber, dann galt der in Santiago verehrte Jakobus d. Ä. immer als der bedeutendere Apostel. Die Nähe des Jakobus zu Karl dem Großen aber geht ausgerechnet auf eine legendenhafte Überlieferung aus Santiago selbst zurück, wo im vierten Buch des Codex Calixtinus, dem sog. Pseudo-Turpin, von den Taten Karls des Großen in Spanien, seinen Kämpfen gegen die Mauren und seinen reichen Zuwendungen an die Kirche über dem Jakobusgrab die Rede ist – immerhin mehr als 20 Jahre, bevor das Apostelgrab überhaupt entdeckt wurde. Die Absicht des Pseudo-Turpin ist klar. Der hoch angesehene Kaiser Karl der Große sollte im 12. Jahrhundert, als die Kämpfe gegen die muslimischen Almoraviden und Almohaden zeitweise auf des Messers Schneide standen, zum frühen Vorkämpfer der Reconquista, der mehrere Jahre in Spanien verbrachte und auch Santiago besuchte, stilisiert werden. Die historischen Tatsachen sprechen eine andere Sprache. Karls Spanienfeldzug war letztlich ein Desaster und endete mit der Niederlage seiner Nachhut gegen die Basken am Pass von Roncesvalles. Immerhin versuchte man in Toulouse, die Karlslegende für die Aufwertung der Kirche von St. Sernin in Toulouse zu instrumentalisieren.

So dubios die Herkunft auch war, das Stiftskapitel von St. Sernin konnte, wie an weiteren Orten auch, der Versuchung nicht widerstehen, die Ruhestätte des Apostels bis ins 16. Jahrhundert hinein für sich zu beanspruchen. Der Besitz einer bedeutenden Reliquie, wozu ein leibhaftiger Apostel allemal zählte, glich im Mittelalter einer Lizenz zum Gelddrucken. Am Ende des 11. Jahrhunderts stand die Wallfahrt nach Santiago auch außerhalb Spaniens bereits in einer ersten Blüte, und die Versuchung war deshalb in Toulouse groß, an dem Geld und den Gaben, die von den Pilgern zum Grab des Apostels gebracht wurden, zu partizipieren. Toulouse lag an der von der Provence ausgehenden Via Tolosana, einem der im Codex Calixtinus ausgewiesenen Hauptwege nach Santiago de Compostela. Vielleicht konnte man ja einige Pilger auf dem Weg zum »wahren Jakob« in Toulouse davon überzeugen, auf die noch vor ihnen liegenden fast 1000 Kilometer nach Santiago zu verzichten. Abgesehen von einigen Impulsen für einen der großartigsten romanischen Kirchenbauten Frankreichs hatten diese Bestrebungen aber keinen Erfolg. Die Pilger zogen weiter.

Immerhin sind nicht nur an den beiden monumentalen Reliefs an der Porte Miègeville in Toulouse und an der Puerta de las Platerías sowohl enge Beziehungen als auch die Konkurrenz zwischen den beiden Pilgerzielen ablesbar. Auch die beiden Kirchen wurden, St. Sernin vermutlich zwischen 1073 und 1076, Santiago zwischen 1075 und 1078, nach dem gleichen Konzept begonnen. Von diesem sog. »Pilgerkirchentypus« wird in den folgenden Kapiteln noch die Rede sein.

Verweilen wir noch einen Augenblick bei der Gestaltung dieses frühen Jakobus-Typus an den beiden genannten Orten. Stünde nicht eindeutig in den Heiligenscheinen der beiden der Name »Jacobus«, käme kein Mensch auf den Gedanken, in den Reliefs diesen Apostel erkennen zu wollen. Die Inschrift in Toulouse ist leicht verstümmelt, lautete ursprünglich aber wohl »IACOB(BUS) APLS« (Apostolus), während in Santiago eindeutig »IACOB ZEBEDEI«, also »Jakobus Sohn des Zebedäus« zu lesen ist. Es handelt sich daher mit einiger Sicherheit um Jakobus d. Ä., den engen Gefährten Jesu. Begleitet werden die beiden rechts und links von knospenden Baumstämmen, die aus kelchartigem Blattwerk emporwachsen. In Toulouse scheinen diese Stämme oben von zwei löwenartigen Monsterköpfen verschlungen zu werden, während sie in Santiago von kleinen Blattkronen abgeschlossen werden, von denen die linke vollständig erhalten ist. Eine Deutung ist nicht ganz einfach. Die Erklärung, dass es sich hier um Symbole des Glaubens handele, der stets von den Mächten der Finsternis bedroht sei, erscheint nach den Ausführungen in der jüngsten Monografie zu St. Sernin (Cazes, Saint Sernin de Toulouse, 2008) nicht ganz abwegig. Mit Blick auf die zahllosen, mit sexuellen und erotischen Motiven aufgeladenen Bildwerke entlang des Jakobsweges ist jedoch auch eine phallische Deutung der Baumstämme, die oben im Verschlungenwerden durch dämonische Mächte ihren Ausdruck findet, nicht ganz abwegig.

Ein direkter Bezug zur Pilgerfahrt ist bei beiden Reliefs, sieht man von der klaren Namensgebung einmal ab, nicht zu erkennen. Eine klare und zugleich differenzierte Ikonografie des in Santiago verehrten Apostels Jakobus entwickelt sich aber schon bald darauf im 12. Jahrhundert. Vor allem die spanische Forschung unterscheidet zwischen drei bzw. vier Typen, die sich bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts herausbildeten. Da ist zunächst der bereits angesprochene ältere Aposteltyp mit Buch oder Schriftrolle, bisweilen zwischen zwei Baumstämmen oder auch Palmen stehend. Die Palmen sind ein Symbol für das Martyrium des Apostels, wie es für das Jahr 44 n. Chr. einigermaßen zuverlässig berichtet wird. Allerdings fehlt fast immer das behauptete cruz primacial con doble travesaño, in Mitteleuropa als Lothringer-Kreuz bekannt, das Jakobus als den ersten Erzbischof von Spanien charakterisieren soll.


Ourense, Kathedrale, Pórtico de Paraíso, Jakobus der Ältere mit Schwert, zwischen 1218 und 1248.

Der zweite Typ ist wesentlich häufiger anzutreffen, auch außerhalb Spaniens. Es handelt sich um den sitzenden Heiligen, der eine Schriftrolle oder ein Buch und einen Stab in den Händen hält. Die bekanntesten Beispiele finden sich in der Kathedrale von Santiago de Compostela selbst. Am Mittelpfeiler des Hauptportals, dem berühmten Pórtico de la Gloria, das in der Zeit zwischen 1168 und 1188 unter den Händen und unter der Leitung von Meister Mateo und seiner Werkstatt entstand, ist er in Lebensgröße mit Schriftrolle und T-Stab dargestellt. Mateo schuf mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die Sitzfigur des hl. Jakobus auf dem Hochaltar der Kathedrale, die allerdings seit der Neugestaltung des Altarbereichs und der Krypta in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts unter einem Gebirge von Gold und Silber erdrückt zu werden droht. Jakobus wird auf der Schriftrolle als Patron Spaniens bezeichnet, was zu dieser späten Zeit keine besondere Neuerung war.

Der Pórtico de la Gloria, ein schon von der beginnenden Gotik beeinflusstes Meisterwerk mittelalterlicher Skulptur, fand schnell Nachfolger, zunächst in Galizien, in der näheren Umgebung von Santiago. Der zwischen 1218 und 1248 entstandene Pórtico de Paraíso, das Westportal der Kathedrale von Ourense, die auch in weiteren Teilen Übernahmen aus der Kathedrale von Santiago vorweist, sitzt der Heilige ebenfalls vor dem Mittelpfeiler des Portals, nur dass er hier statt Schriftrolle und Stab ein geöffnetes Buch und ein Schwert vorweist. Die Art, wie er dem Betrachter das Schwert vorzeigt, lässt schließen, dass hier das Marterinstrument, mit dem der Apostel enthauptet wurde, gemeint ist und nicht das Schwert des späteren Maurentöters. Es liegt jedoch beim Betrachter, sich für eine Deutung zu entscheiden.

Der sitzende Jakobus ist in ganz Europa vorzufinden. Er stellt bereits einen Mischtypus dar. Einerseits wird er meist, wie der ältere Aposteltypus, mit Buch und Stab, aber auch des Öfteren mit Pilgerhut, Muschel und Pilgerstab dargestellt. Das ist kaum vor dem 15. Jahrhundert der Fall, als die Jakobuswallfahrt im Spätmittelalter eine letzte Blüte erlebte. Man kann jedoch nicht davon ausgehen, dass all diese Sitzfiguren einzig von ihren Vorbildern in der Kathedrale von Santiago beeinflusst wurden. Ebenso haben andere, ebenfalls sitzende Heiligenfiguren teils das Vorbild für den sitzenden Jakobus geliefert, teils auch wesentliche Charakteristika vom sitzenden Jakobus übernommen. Zu den Vorbildern zählen zweifellos »Christus als Weltenrichter« oder der sog. »Wundmale-Christus« auf den zahlreichen Tympana des 12. und 13. Jahrhunderts. Schon der sitzende Christus im Tympanon des Pórtico de la Gloria, direkt über dem hl. Jakobus, macht diese Analogien deutlich.

Zu den vom sitzenden Jakobus beeinflussten Bildwerken kann man unter weiteren auch die Sitzfiguren des Zisterzienserabtes Bernhard von Clairvaux und des hl. Antonius Eremita, des Ordensheiligen der Antoniter, zählen. Letztere hatten, wie zu zeigen sein wird, eine enge Verbindung zu den Jakobswegen und der Pilgerbetreuung in ganz Europa. Der wie ein T-Kreuz gebildete Stab des Jakobus am Pórtico de la Gloria wurde über Jahrhunderte hinweg zum Erkennungszeichen und sogar zum Wappenbild des Antoniterordens.

Von Jakobus mit dem Pilgerstab zum pilgernden Jakobus ist es dann nur noch ein kleiner Schritt. Wir sind beim dritten Typus: der Apostel als Pilger. Es ist nach wie vor nicht genau zu klären, wann dieses Bild zum ersten Mal geschaffen wurde. Überblickt man die Literatur, so stößt man gewöhnlich auf die Angabe, die älteste Darstellung dieser Art sei der Apostel Jakobus vom Südportal der ehemaligen Klosterkirche von Santa Marta de Tera in der spanischen Provinz Zamora. Meist wird sie pauschal ins 12. Jahrhundert datiert und fast immer als die älteste Skulptur bezeichnet, die den Apostel Jakobus als Ebenbild der zu ihm hinziehenden Pilger zeigt, versehen mit Stab, Pilgertasche und Muschel. Dabei wird es in Ermangelung älterer Bildwerke einstweilen auch bleiben.


Santa Marta de Tera, Südportal, Jakobus als Pilger, 12. Jh.


Mimizan, Ste. Marie, Westportal, zweite Hälfte 12. Jh.

Die jüngst (Regueras Grande, 2005) vorgenommene frühe Datierung auf eine Entstehungszeit um 1125 lässt an eine ebenso berühmte Pilgerfigur mit Pilgertasche und Muschel denken, die allerdings nicht den Apostel Jakobus, sondern Christus bei der Begegnung mit zwei Jüngern in Emmaus (Lk. 24,31ff.) zeigt. Christus, der sich ja selbst zu seinen Lebzeiten als Pilger verstand, wird hier folgerichtig mit Pilgertasche und Jakobsmuschel dargestellt. Die Datierung des Reliefs am Nordwestpfeiler im Kreuzgang des Benediktinerklosters von Santo Domingo de Silos liegt zwischen dem Beginn der Bauarbeiten kurz vor 1073 und 1109, als die Arbeiten am Kreuzgang unterbrochen werden mussten, um erst 1120 unter einem neuen Meister fortgesetzt zu werden. Allgemein aber wird der Pilger-Christus von Santo Domingo de Silos als Werk des ersten Meisters noch ins späteste 11. Jahrhundert datiert, er läge damit eine ganze Generation vor der Skulptur von Santa Marta de Tera.

Noch im 12. Jahrhundert folgen der Jakobusfigur von Santa Marta de Tera, zunächst noch vereinzelt, weitere Skulpturen, die den Apostel als Pilger zeigen. Da sind zunächst die in der Zeit um 1180 einigermaßen sicher datierten Apostelfiguren in der Cámara Santa bei der Kathedrale von Oviedo. Unter ihnen befindet sich selbstverständlich der hl. Jakobus d. Ä. mit Schriftrolle, Kreuzstab und mit Muschel besetzter Pilgertasche. Die Skulpturen, obgleich noch weitgehend dem romanischen Stil in Spanien verpflichtet, haben schon einige Elemente der frühgotischen Plastik aufgenommen, wie sie am Königsportal von Chartres (um 1150) und der Pfarrkirche von Notre-Dame-du-Fort in Étampes an den Portalfiguren in Erscheinung treten.

Weniger bekannt und etwas schwieriger zu beurteilen ist die Jakobus-Pilgerfigur am Portal von Sainte-Marie in Mimizan in den südwestfranzösischen Landes. Die Kirche ist nur noch ein Torso, aber das alte Portal im Westturm ist gut erhalten. Das Portal wird meist und zu Recht in die Zeit um 1220 datiert. Die Figuren der Apostelreihe dürften aber einige Jahrzehnte älter sein und an den Beginn des letzten Quartals im 12. Jahrhundert gehören. Jakobus erscheint auf den ersten Blick als Apostel mit Buch und Stab, unter dem rechten Ärmel schaut jedoch die mit einer Muschel besetzte Pilgertasche heraus. Man hat in der Figur Einflüsse der spanischen romanischen Kunst festgestellt, was an der alten Pilgerstraße Voie Littoral von Bordeaux nach Pamplona und Burgos als nicht weiter erstaunlich gelten darf. Die Bezeichnung dieses Pilger-Jakobus als bislang älteste Skulptur dieser Art außerhalb Spaniens besteht sicherlich zu Recht.

Begegnungen am Jakobsweg

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