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Kreuzzugsgedanken

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Die eigentliche Reconquista setzte erst um die Mitte des 11. Jahrhunderts zögernd ein. Die Gründe sind vielschichtig und die Diskussion darüber ist noch immer im Gang. Der Fall des Kalifenreiches und der Zerfall des muslimischen Spaniens in die als »Taifas« bezeichneten Kleinreiche des 11. Jahrhunderts spielt ganz sicher eine Rolle. Aber auch eine wirtschaftliche Erstarkung der christlichen Staaten durch die Erschließung und Wiederbesiedlung des Duero-Raumes ist nicht zu übersehen. Dieses vergrößerte Potenzial der christlichen Reiche konnte gegen die muslimischen Kleinstaaten eingesetzt werden. Zusätzlich brachten die Beilegung innerer Streitigkeiten und glückliche Konstellationen tatkräftige Herrscher hervor, die nun ihren Blick auf den weiten Raum zwischen den Flüssen Duero und Tajo richteten, wo sie die Fürsten der Taifas teils tributpflichtig machten, teils direkte Eroberungen bislang muslimischer Territorien in Angriff nahmen. Ein Hauptvertreter dieser Politik war Fernando I. von León (Regierungszeit 1018–1065). 1057 brachte er das Duero-Tal unter seine Kontrolle, eroberte am 25. Juli 1064 Coimbra im heutigen Portugal und wandte sich schließlich gegen Zaragoza und Valencia, wo nur sein Tod im Feldlager einen endgültigen Sieg verhinderte.

Mit den Kriegszügen Fernandos I. kommt auch der Apostel Jakobus wieder ins Spiel. Nach der Historia Silense von 1115 erschien der Apostel im Rahmen der Belagerung Coimbras durch Fernando I. als »strenuissimus miles Christi« (sehr machtvoller Ritter Christi) einem Kleriker in Santiago de Compostela in der Nacht vor der Übergabe der Stadt mit dem Stadtschlüssel in der Hand, womit der Sieg sichergestellt war. Die Geschichte der Eroberung, die zum Zeitpunkt der Abfassung der Historia Silense schon fast 50 Jahre zurücklag, wurde alsbald in die Mirakel-Sammlung des Liber Sancti Jacobi aufgenommen und fand in der Folge eine weite Verbreitung. Eigentlich fand die Eroberung Coimbras nach der älteren spanischen Zeitrechnung am 9. Juli statt. Durch die Einführung des römischen Ritus und der entsprechenden Zeitrechnung in Spanien verschob sich das Datum jedoch auf den 25. Juli, was letztlich dazu führte, dass der Jakobstag in Santiago de Compostela bis zum heutigen Tag unter diesem Datum gefeiert wird.

Mit dieser Darstellung der Rolle des Jakobus hatte es der Apostel geschafft, fortan in die Riege der Ritterheiligen aufgenommen zu werden, Seite an Seite mit dem hl. Georg, dem hl. Martin, dem hl. Mauritius, dem Erzengel Michael, dem Anführer der himmlischen Heerscharen, und dem besonders in den orthodoxen Kirchen verehrten hl. Demetrius. Auch die Angehörigen der Thebaischen Legion, darunter der hl. Victor und der hl. Gereon, sind in dieser Reihe zu nennen.

Diese Ritterheiligen genossen eine besondere Bedeutung im Zeitalter der Kreuzzüge, welche ganz wesentlich von der europäischen Ritterschaft getragen wurden. Das Hauptziel der Kreuzzüge waren natürlich das Heilige Land und Jerusalem. Aber auch die im 11. Jahrhundert einsetzende Reconquista wurde, wie die normannische Eroberung Süditaliens und Siziliens, die Katharerkriege in Südfrankreich und die Eroberung Preußens durch den Deutschen Orden, alsbald zu den Kreuzzügen des Mittelalters gezählt. Im Fall der Reconquista ist jedoch der Zeitpunkt, ab wann dies zutraf, umstritten. Offiziell gilt als Beginn der Kreuzzüge das Jahr 1095, als Papst Urban II. nach einer außerordentlichen propagandistischen Kampagne im französischen Clermont-Ferrand die europäische Ritterschaft zum Kreuzzug ins Heilige Land aufrief. Die Wurzeln dieses Gedankens reichen jedoch weiter zurück, gerade auch wenn man die Situation in Spanien betrachtet.

Schon Papst Alexander II. (1061–1073) hatte dem überwiegend aus französischen, burgundischen, katalanischen und italienischen Söldnern bestehenden Heer, das 1063 die in der Provinz Huesca von Christen und Muslimen bewohnte Stadt Barbastro eroberte und unter den Bewohnern ein Massaker anrichtete, volle Absolution für seine Taten gewährt. In seine Zeit fiel ein Ereignis, das auch im christlichen Abendland aufmerksam registriert wurde: die Schlacht von Mantzikert 1071, in deren Folge das byzantinische Reich fast ganz Kleinasien an die muslimischen Seldschuken verlor. Diese beherrschten damit den bis dahin recht problemlos gangbaren Pilgerweg nach Jerusalem und die Heilige Stadt selbst. Das Reformpapsttum, das zunehmend eine geistige Führungsrolle im Abendland beanspruchen sollte, war gefordert. In dieser Situation wurde der Islam zum Feind schlechthin, gleich ob in Palästina, in Süditalien, wo Robert Guiscard die Stadt Bari, die bis zum Anfang des 11. Jahrhunderts in muslimischer Hand war und dann den letzten Stützpunkt von Byzanz in Apulien bildete, eroberte, und in Spanien. Gerade die Eroberung des nordspanischen Barbastro durch überwiegend nichtspanische Söldner markiert einen wichtigen Wendepunkt in der Einstellung des Papsttums zu den Konflikten zwischen Muslimen und Christen in Spanien und zu deren Charakterisierung als Kreuzzüge.

Auch der Nachfolger Alexanders II., Papst Gregor VII., der schon bei der Wahl Alexanders im Hintergrund die Fäden gezogen hatte, trug sich offensichtlich schon früh mit Gedanken an eine militärische Auseinandersetzung mit dem Islam. Im Jahr 1074 formulierte er, zweifellos unter dem Eindruck der katastrophalen Niederlage von Mantzikert 1071, den Gedanken eines Zuges abendländischer Ritter in den Orient mit dem Ziel, dem Vordringen der islamischen Seldschuken Einhalt zu gebieten. Papst Gregor VII. sah die Ereignisse der Zeit aus einer »globalen« Sicht. Für ihn stellten sich die Rückschläge der Christenheit in einem größeren Zusammenhang dar. Der Begriff des Kreuzzuges war zwar noch nicht ausformuliert, aber die Argumente für die Kreuzzugspropaganda Papst Urbans II. standen nun bereit. Deshalb war für Gregor VII. wie auch für seine Nachfolger auf dem päpstlichen Thron die Unterstützung des Kampfes gegen die erneuten muslimischen Erfolge eine Notwendigkeit. Nach den Erfolgen der christlichen Reiche gegen die islamischen Taifas, darunter die Eroberung der alten westgotischen Metropole Toledo, hatte sich nämlich in Spanien die Situation nicht gerade im Sinne der christlichen Streitkräfte entwickelt.

Unmittelbar nach der Eroberung Toledos hatten sich einige Taifa-Fürsten mit der Bitte um Unterstützung nach Marokko gewandt. Dort hatte die muslimische Sekte der Almoraviden, die den Islam zur ursprünglichen Reinheit zurückführen wollte, um ihre Hauptstadt Marrakesch einen Berber-Staat errichtet, der in den nächsten 30 Jahren auch in Spanien großen Einfluss nehmen sollte. Dessen Herrscher Yusuf ibn Taschfin setzte mit einem Heer nach Spanien über und schlug König Alfons VI. von Kastilien-León im Oktober 1086 in der Schlacht von Sagrajas in der Extremadura vernichtend. Damit war der in den vergangenen Jahrzehnten ungehinderten Expansion der Kastilier nach Süden eine Grenze gesetzt. Obwohl Yusuf seinen Sieg nicht ausnutzte und wegen Nachfolgeproblemen nach Marokko zurückkehrte, waren Macht und Expansionskraft des Königreiches Kastilien-Léon zunächst nachhaltig geschwächt, zumal Yusuf ibn Taschfin bereits 1089 erneut offensiv wurde. Auch wenn er Toledo nicht zurückerobern konnte und im Ganzen die territorialen Gewinne der Almoraviden sich in bescheidenen Grenzen hielten, konsolidierte er doch bis 1109 seine Macht über die muslimischen Gebiete südlich des Tajo. Daran vermochten auch die Siege des Rodrigo Díaz de Vivar, genannt »El Cid«, der 1094 Valencia eroberte, nichts zu ändern. Nach dessen Tod 1099 eroberten die Almoraviden 1102 Valencia zurück. Wir sind inzwischen in der Epoche von Diego Gelmirez, seit 1100 Bischof von Santiago de Compostela, der den Gang der Ereignisse sicher genau beobachtete.

Es ist eine bislang nicht abschließend diskutierte Frage, ob Diego Gelmirez die Kämpfe mit dem muslimischen Spanien im traditionell gewohnten Rahmen oder bereits als Kreuzzug unter dem Patronat des Apostels Jakobus sah. Im Jahr 1113, als er in Burgos auf Geheiß der Königin Urraca von Léon zu einer Versammlung von Adeligen über den von den Almoraviden ausgeübten Druck zu sprechen hatte, redete er noch von einem Verteidigungskrieg und nicht von einem offensiv gedachten Kreuzzug. Ganz anders knapp zehn Jahre später in Santiago de Compostela im Jahr 1124, nun bereits in seiner Rolle als Erzbischof und Legat des Papstes. Jetzt sprach er von einem aggressiven Vorgehen gegen die Mauren, zur Verwirrung der Ungläubigen und zur Freude aller Christen. Wie den Kreuzfahrern sicherte er allen, die diesen Kampf führten, einen vollen Ablass, den Nachlass aller Sünden und die Sicherung ihres Eigentums durch die Kirche zu. Damit lag er ganz auf der Linie von Papst Calixtus II., zu dem er engste Beziehungen pflegte und der ihn zum Erzbischof und päpstlichen Legaten erhoben hatte. Papst Calixtus II. hatte 1123 unmissverständlich klar gemacht, dass die Kämpfe in Spanien den Charakter von Kreuzzügen hatten. Ob man das in Spanien damals auch so sah, gilt als offen. Spätestens um die Jahrhundertmitte, als Almeria, Lissabon, Lérida und Tortosa unter dem Zeichen des Kreuzes erobert worden waren, darf der Kreuzzugsgedanke in Spanien als fest verankert angesehen werden. Die Invasion der Almoraviden hatte hier eine Wende in der geistlichen Fundierung der Reconquista gebracht.

Wo der Name von Erzbischof Diego Gelmirez genannt wird, ist es zu seinem Hausheiligen, dem Apostel Jakobus d. Ä., nicht weit. Es ist deshalb keineswegs erstaunlich, wenn der hl. Jakobus von nun an, vor allem in der Propagandaschrift Codex Calixtinus und in deren Umfeld, eine sehr aktive Rolle spielt. Nun erst konnten die uralte Legende von der Schlacht bei Clavijo und die erst ein halbes Jahrhundert zurückliegende, aber ebenso wundersam abgelaufene Eroberung von Coimbra ihre volle Wirkung entfalten. Der theologischen Rechtfertigung des Apostels Jakobus als Kriegs- und Ritterheiliger stand nun nichts mehr im Weg, zumal sich nach dem Zusammenbruch des Almoravidenreiches 1145 mit den marrokanischen Almohaden bereits die nächste Gefahr für das christliche Spanien abzeichnete. Die muslimischen Feinde, die ihrerseits im Gegensatz zu den Auseinandersetzungen des 9. bis 11. Jahrhunderts, als es um Grenzkonflikte des Emirs bzw. Kalifen von Córdoba mit den christlichen Staaten ging, den Dschihad, den Heiligen Krieg, propagierten, ruhten nicht. Da waren mächtige Verbündete dringend vonnöten.

Begegnungen am Jakobsweg

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