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Ein biblischer Name
ОглавлениеUm wen handelt es sich bei Jakobus? In der Bibel ist der Name Jakob oder Jakobus nicht gerade selten. Dabei können wir den Erzvater Jakob aus dem Alten Testament von vornherein ausscheiden. Er wurde noch nie mit den Gebeinen in Santiago in Verbindung gebracht. Es bleiben aber eine ganze Reihe weiterer, im Neuen Testament genannter Personen aus der Umgebung Christi, bei denen sich die Forschung nicht einmal auf eine genaue Anzahl einigen kann. Rolf Legler nennt deren sechs, das von Kurt Hennig herausgegebene Jerusalemer Bibellexikon nennt vier, das renommierte Lexikon der christlichen Ikonographie (begr. v. Engelbert Kirschbaum, Hrsg. Wolfgang Braunfels) kommt auf drei und Reclams Lexikon der Heiligen und der biblischen Gestalten begnügt sich mit zwei Namen.
Die Situation ist ähnlich wie bei den im Neuen Testament in der Umgebung Jesu aufgeführten Marien, von denen mindestens drei, eher aber vier genannt werden, da deren Identifizierung den Theologen bis zum heutigen Tag Schwierigkeiten bereitet. Unstrittig sind unter diesen Maria, die Mutter Jesu, und Maria Magdalena, die Büßerin. Mit anwesend war aber auch Maria, die Frau des Klopas (Kleopas). Außerdem wird noch Maria von Bethanien erwähnt, die aber später ohne jeden Beleg mit Maria Magdalena gleichgesetzt wurde.
Was verbindet nun, außer ihrer Nennung im Neuen Testament, diese Marien mit den biblischen Personen mit Namen Jakobus? Die Antwort macht die Sache nicht einfacher. Die meisten von ihnen sind mit Jesus und damit auch untereinander in irgendeiner Weise verwandt. Die ersten Keime des Christentums sprossen im Kreis der Verwandtschaft Jesu, wobei sich deren Mitglieder durchaus nicht immer nach den Regeln der Nächstenliebe verhielten. Und ein Jakobus, dem dann acht Jahrhunderte später in Santiago de Compostela eine ehrenvolle Grablege bereitet wurde, war mittendrin.
Die Verwandtschaft dieses nur schwer kenntlich zu machenden Jakobus zu den Marien, insbesondere zur Gottesmutter, wirft zusätzlich Probleme auf. Drei Kandidaten mit Namen Jakobus gilt es, genauer zu betrachten. Es geht hier zunächst um den »Herrenbruder« Jakobus, der im Neuen Testament noch am besten bezeugt ist. In ihm einen leiblichen Bruder Jesu zu sehen, stellt die von allen christlichen Kirchen nie bezweifelte Jungfräulichkeit Mariens vor und nach der Geburt des Herrn ganz grundsätzlich infrage. Meist behilft man sich deshalb mit der Aussage, Josef, der Ehemann Mariens, sei vor der Ehe mit ihr bereits Witwer gewesen und habe seine Söhne Jakobus, Judas, Simon, Joses und weitere Schwestern, die im Neuen Testament und in den Apokryphen in der Umgebung Jesu auftreten, mit in die Ehe gebracht. Sie wären dann keine leiblichen Kinder Mariens und somit nur Halbbrüder von Jesus gewesen.
Andere Exegeten bezeichnen diese Geschwister Jesu eher als Vettern, was man mit sprachwissenschaftlichen Argumenten durchaus aus einem auf Aramäisch, der Muttersprache von Jesus, geschriebenen Urtext der Evangelien ableiten könnte. Damit gehören sie zwar zur Verwandtschaft, aber das Problem der unbefleckten Empfängnis von Maria wird so auf elegante Weise umgangen. Diese These geht schon auf die Zeit der Kirchenväter der Spätantike zurück, unter denen der hl. Hieronymus einen besonderen Rang einnimmt. Seine Argumentation deckt sich aber nicht genau mit zahlreichen Stellen im Neuen Testament, in denen die diversen Jacobi erwähnt werden. Die Kontroversen um den »wahren Jakob«, die meist an der Konkurrenz zwischen Santiago de Compostela und St. Sernin in Toulouse festgemacht werden, gehen in der Tat bis in die frühchristliche Zeit zurück. Die Identifizierung des richtigen Jakobus bleibt eine Gleichung mit mehreren Unbekannten, im Gegensatz zu den Lehren der Mathematik jedoch eine, die letztlich nicht aufzulösen ist.
In die engere Wahl kommen – ungeachtet der Tatsache, dass auch sie in der Jakobusverehrung gerne miteinander vermischt werden – in Santiago nach dem »Herrenbruder« Jakobus eigentlich nur die beiden Apostel Jakobus der Ältere und Jakobus der Jüngere. Doch bei der Einreihung der Apostel beginnt schon das nächste Problem. Die zwölf von Jesus berufenen Apostel hat es in dieser kompletten namentlichen Aufzählung nie gegeben. In den frühen Apostellisten finden sich vor dem 5. Jahrhundert eigentlich nur vier bis acht bzw. neun Namen: Petrus, Andreas, Jakobus und Johannes, die Söhne des Fischers Zebedäus, auch Donnersöhne genannt, dazu später Philippus, Bartholomäus, Matthäus-Levi und Thomas sowie der ungetreue Judas Ischarioth. Von diesen wird nach der Auferstehung Matthäus häufig weggelassen und nach Entscheid des Apostelkollegiums durch den »Völkerapostel« Paulus ersetzt.
Von Jakobus dem Jüngeren und dem wahrscheinlich gar nicht zum Kreis der Apostel gehörenden »Herrenbruder« Jakobus findet sich in den frühen Apostelkatalogen kaum eine Spur. Sie werden denn auch vom Kirchenvater Hieronymus zu einer Person zusammengefasst; eine sehr zweifelhafte Auslegung der Schrift, welche die katholische Kirche aber bis zum heutigen Tag akzeptiert. Zumindest werden diese beiden kaum je mit einer Missionstätigkeit in Spanien in Verbindung gebracht, wodurch sie aus dem Wettbewerb um eine Ruhestätte in Santiago de Compostela ausscheiden.
Eindeutig scheint nach den Belegstellen im Neuen Testament nur die Zugehörigkeit Jakobus d. Ä. zum von Jesus berufenen Kreis der Apostel zu sein. Er war wie sein Bruder Johannes, der »Lieblingsjünger« Jesu, ein Sohn des Zebedäus und der Salome, der Schwester von Maria. Die beiden wegen ihres Temperamentes als »Donnersöhne« bezeichneten Anhänger und Verwandte Jesu hatten eine besonders enge Beziehung zu ihrem Vetter Jesus, sei es auf dem Berg Tabor bei der Verklärung Christi oder auch am Ölberg, kurz vor seiner Gefangennahme und Kreuzigung. Wie fast alle anderen Apostel aber fehlt auch Jakobus unter dem Kreuz. Dennoch ist er der hl. Jakobus, dessen Gebeine nach Auffassung der katholischen Kirche und zahlreicher gläubiger Pilger in einem silbernen Schrein unter dem Hochaltar der Kathedrale von Santiago de Compostela zur letzten Ruhe gebettet sind. So ist es zumindest in der Bulle Papst Leos XIII. vom 1. November 1884 zu lesen.