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KLETTERHEIMAT KALKKÖGEL: „ES HAT SO SCHÖN GEPLUMPST“
ОглавлениеIm Mondlicht sehen sie noch imposanter aus, die Türme, Zacken und Wände der Kalkkögel. Die Wasserstreifen, die die Wände hinunterrinnen, glänzen dann und die Schotterhalden, die von den Scharten und Wandfüßen bis ins Grün hinunterziehen, sehen aus wie fahle, silberne Bäche. Wir stehen beim Gedenkstein des Akademischen Alpenklubs am Sonntagsberg. Die Spitze des Steins ist mit einem Kranz von Almrosen und Latschen geschmückt, im Kupferkessel brennt ein Feuer. Heute ist das Stiftungsfest des AAKI, nach der Festrede wird das Klublied angestimmt:
Den ersten Preis dem Alpenland, dem Lande unsrer Liebe,
den Bergeshöh’n im Firngewand, hoch überm Weltgetriebe.
Wenn wieder sich im hellen Grün die Alpenmatten zeigen,
fühl ich in mir ein seltsam Glühn, denn jetzt gilt’s flott zu steigen.
Wie wird mir da der Sinn so klar, versenkt in all die Wunder,
seh ich der Eisgiganten Schar, getaucht in Flammenzunder.
Drum Brüder auf, den Sang erhebt zum Preis der Zauberlande.
Es haben ja nur halb gelebt, die nie da droben standen …
Es läuft mir über den Rücken hinunter und ich bekomme einen Knödel im Hals, als wir dieses Lied singen, aber ich finde, sein Pathos passt in diese großartige Landschaft. Wir wollen nicht „halb“ leben, wir wollen das Leben in vollen Zügen genießen, besonders in den Bergen.
Die Kalkkögel und die Adolf-Pichler-Hütte des Akademischen Alpenklubs Innsbruck haben mich mein ganzes Bergsteigerleben begleitet. Als die Hütte im Winter bewirtschaftet war, habe ich von Grinzens aus, das lange Senders tal hinein, als Träger gearbeitet. Mit 50, 60 Kilo am Rücken bin ich hineinmarschiert zur Kemater Alm und weiter zur Hütte. Ich habe dies als Training gesehen, auch wenn ich dabei gut verdient habe: zweieinhalb Schilling pro Kilo. Das war ein ordentlicher Verdienst! Als die Hütte dann erweitert und ausgebaut wurde – unser Alter Herr Hans Pircher hat dem abgerissenen „Häusl“ mit dem Satz „es hat so schön geplumpst“ einen würdigen Nachruf gehalten –, war ich als Baugehilfe den ganzen Sommer dort oben. Jeden Tag um vier Uhr nachmittags haben die Maurer die Kellen auf die Seite gelegt und wir sind zu irgendeinem Einstieg gerannt, um bis zum Dunkelwerden noch die eine oder andere Klettertour zu machen. Feste wurden gefeiert, manchmal bis ins Morgengrauen, und wir sind nicht nur einmal nach so einem Fest direkt zum Einstieg gegangen. Fridolin „Puti“ Purtscheller hat einmal gesagt, nach so einer Nacht sei es viel einfacher zu klettern. Man müsse nur warten, bis sich die Wand zurücklehnt, und dann schnell klettern, bis sie sie sich wieder nach vor lehnt.
Kalkkögel (Standort Seisenalm), Öl auf Leinwand, 40 × 170 cm (Foto Maria Peters)
Im Tourenbuch der Adolf-Pichler-Hütte zu blättern, ist ein Vergügen. Akribisch sind alle Neutouren eingetragen und nicht weniger akribisch die Bemerkungen der Wiederholer. Das erste Tourenbuch reicht von 1904 bis 1964, darin finden sich lauter berühmte Namen: Auckenthaler, Schmidhuber, Buhl, Rebitsch, Mariner, bis herauf zu den Kletterern meiner Generation: Walter Spitzenstätter, Otti Wiedmann oder Kurt Schoißwohl. Hias Rebitsch war es, der einmal gesagt hat: „Wer in den Kögeln klettern kann, kann überall klettern.“ Hier in den Kalkkögeln habe ich das Klettern gelernt. Und so erinnere ich mich oft an besondere Erlebnisse zurück: Wie wir im Schneetreiben aus der Riepen-Nordwestwand erst im Dunkeln ausgestiegen sind und die Seile so vereist waren, dass wir die Knoten nicht mehr aufbrachten und angeseilt bis in die Hütte zurückgingen. An manche Erstbegehung denke ich oder an meine Alleinbegehung der Fischer-Fohringer an der Kleinen Ochsenwand. Heute kommt mir das Schaudern, wenn ich dort hinaufsehe und daran denke. „Es haben ja nur halb gelebt, die nie da droben standen …“ Und so liege ich in den Almrosenfeldern am Sonntagsberg und sehe zu, wie die Wolkenfelder über die Gipfel hinwegziehen.