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BARA SAHIB WOLFI

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Von Reinhold Messner

26 Jahre alt, entschied Wolfgang Nairz 1970, eine Expedition in den Himalaya zu führen, und schon zwei Jahre danach ging es zum Manaslu, einem Achttausender in Nepal. Der Berg, erst zweimal – von Nordosten und von Westen – bestiegen, sollte von Süden angegangen werden.

Es gab damals weder Fotos noch Karten von der Südseite dieses achthöchsten Gipfels der Erde, keine Satellitenbilder und auch keine Trekkingrouten in unmittelbarer Nähe. Nach der Eroberung der Achttausender-Gipfel zwischen 1950 und 1964 ging es jetzt um neue Zugänge zu den höchsten Bergen der Welt, um neue Routen und einen anderen Stil als noch zehn Jahre zuvor. Hatten bei der Erkundung und Erstbesteigung der Achttausender noch nationale Emotionen und daher auch nationales Back-up eine wichtige Rolle gespielt, sah sich Wolfgang Nairz jetzt als Organisator einer Expedition ins Ungewisse. Weder die zu erwartenden Schwierigkeiten und Gefahren waren voraussehbar, und schon gar nicht das Zusammenspiel der Mannschaft, die aus lauter eigenständigen Persönlichkeiten bestand.

Wolfi führte seine Expedition nicht autoritär, alle wichtigen Entscheidungen wurden in der kleinen Gruppe diskutiert und wenn auch nicht demokratisch abgestimmt, so doch nach der Haltung der Mehrheit umgesetzt. So trugen wir alle Wolfis Leadership mit und respektierten ihn als Expeditionsleiter. Ich hatte das Glück, als Südtiroler bei der vornehmlich aus Tiroler Bergführern zusammengesetzten Mannschaft dabei zu sein und mit ihnen zwei Monate „am Ende der Welt“ zu operieren.

Das Expeditionsbergsteigen im deutschen Sprachraum unterlag damals großteils noch den Prämissen aus der Zwischenkriegszeit – Führerprinzip und militärisch geprägtes Kameradschaftsideal. Die Skepsis in Alpenvereinskreisen zu der so ganz anderen Nairz-Expedition war unüberhörbar: vor der Abreise zwar leise, nach der Tragödie am Gipfelplateau des Manaslu, bei der Franz Jäger und Andi Schlick zu Tode kamen, aber umso anklägerischer und lauter. Wolfi aber stand fest zum Geschehen am Berg und zu seiner Mannschaft.

Meine Erfahrungen beim Expeditionsbergsteigen – ich hatte nach der Erstbegehung der Rupalwand am Nanga Parbat meinen Bruder in einer Lawine verloren – waren bis dahin mehr als traurige gewesen. Der Expeditionsleiter Herrligkoffer hatte uns Teilnehmern bei diesem Unternehmen 1970 nicht nur Verträge unterschreiben lassen, die jede eigene Berichterstattung unmöglich machen sollten, er hatte auch alle eingespielten Seilschaften nach dem Prinzip „divide et impera“ auseinanderdividiert. Er war als Nichtbergsteiger zwar nicht in der Lage, vernünftige Entscheidungen für das Fortkommen am Berg zu treffen, formte aber jenen unmöglichen Satz, „wer sich meinen Befehlen entzieht, entzieht sich auch meiner Verantwortung“, der mich für alle weiteren Zeiten von autoritären Expeditionen fernhalten sollte.

Leadership hat mit Einfühlungsvermögen in die Mannschaft, mit Verantwortungsgefühl und mit der Fähigkeit zu tun, sich auf eine Stufe mit seinen Mitstreitern zu stellen. Für diese Leadership stand Wolfi.

Die Hilfe der Sherpas, die 1972 auf eine mehr als 50-jährige Trägerkultur aufbaute, war auch bei unseren Expeditionen eine Basis für den Erfolg. Obwohl wir Sahibs alle Absicherungsarbeiten beim Aufbau der Hochlager selbst erledigten, bewältigten sie auch über die schwierigen Passagen den Nachschub.

Es waren die Sherpas, die dem jungen Wolfgang Nairz den Titel Bara Sahib – übersetzt der große weiße Mann – gaben, und ihn damit adelten: für seine überlegte und überlegene Führung, für seine bergsteigerische Leistung, für sein Einfühlungsvermögen. Kurz für seine Leadership. Seit damals ist Wolfi unser Bara Sahib. Ich habe mit ihm ein halbes Dutzend Expeditionen zu den Bergen der Welt – Manaslu, Makalu, Mount Everest, Ama Dablam, Dhaulagiri – mitgemacht, und immer hat er seine Leadership bewiesen. Nicht immer waren wir erfolgreich, immer aber sind wir in Frieden nach Hause gekommen.

Wolfgang Nairz - Es wird schon gut gehen

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