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Franz Kafka als Wegweiser

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Ein beeindruckendes Leseerlebnis verbindet Hasenhüttl mit „Der Process“ von Franz Kafka (1883–1924), auf den in der Schule hingewiesen wurde. In Inhalt und Form entsprach dieses unvollendete und erst 1925 von Kafkas Freund Max Brod herausgegebene Werk der Lebenserfahrung vieler junger Menschen: „Jemand musste Josef K. verleumdet haben, denn ohne dass er etwas Böses getan hätte, wurde er eines Morgens verhaftet“ (Kafka 1971, S. 7). Die Auslieferung eines Menschen an eine undurchschaubare |15|Bürokratie, das unaufklärbare Verhängnis von Schuld und die Unmöglichkeit, weder durch eigenes Handeln noch durch eine Institution Recht und Gerechtigkeit zu bekommen, kennzeichnen nicht nur das Lebensgefühl junger Menschen in der Pubertät, sondern die Lebenserfahrung vieler Menschen in der Moderne zwischen Vermassung und Vereinsamung. „Meine Unschuld vereinfacht die Sache nicht“, muss Josef K. resigniert feststellen (Kafka 1971, S. 109f.). „War noch Hilfe? Gab es Einwände, die man vergessen hatte? Gewiss gab es solche. Die Logik ist zwar unerschütterlich, aber einem Menschen, der leben will, widersteht sie nicht“ (ebd., S. 165). Trotzdem siegt am Ende diese todbringende Logik: Genau ein Jahr nach der Verhaftung, am Vorabend des 31. Geburtstags des Prokuristen Josef K., wird dieser erstochen „wie ein Hund“ (ebd.).

Kafka ist einer der von Hasenhüttl am meisten zitierten Belletristen. Zustimmen kann er dessen paradoxem Ausspruch auf die Frage nach Jesus Christus: „Das ist ein lichterfüllter Abgrund. Man muss die Augen schließen, um nicht abzustürzen“ (2001, Bd. I, S. 221). In Kafkas Erzählung „In der Strafkolonie“ erkennt Hasenhüttl die Situation eines Menschen, dem kein metaphysisches Hilfsmittel zur Bewältigung seiner grundsätzlichen und unaufhebbaren Kontingenz mehr zu Verfügung steht: „kein Zeichen der versprochenen Erlösung war zu entdecken“ (ebd., S. 229). Die Erzählung „Vor dem Gesetz“, in der Kafka Motive der jüdischen Kabbala verarbeitet, wird Hasenhüttl zum Symbol für die Unzulänglichkeit kausalen und verobjektivierenden Denkens – und doch wird immer wieder versucht, Lebensfragen auf diesem Weg zu beantworten: „Die Bewegung des Ergründens geht nie zu Ende, solange wir leben; erst im Tod, wenn wir zugrunde gehen, hört das Begründenwollen auf“ (ebd., S. 699).

Kleine Fluchten aus der Tristesse des Schulalltags bieten ein Tanzkurs und auch der Besuch des mit einem Verbot für Jugendliche belegten Films „Die Sünderin“. Der Regisseur Willi Forst schuf mit diesem 1951 uraufgeführten Film und durch die Besetzung der Hauptrolle mit Hildegard Knef einen von vielen Skandalen bekleideten Publikumserfolg – wobei der eigentliche Skandal nicht durch den Film selbst hervorgerufen wurde, sondern durch seine auch kirchlich geforderte und geförderte Diskriminierung. In „Die Sünderin“ möchte die ehemalige Prostituierte Marina durch Rückkehr in ihr früheres Gewerbe das Geld für die Behandlung ihres an einem Hirntumor erkrankten Freundes verdienen. In der Ausweglosigkeit der Krankheit verhilft sie schließlich dem Freund zu einem |16|humanen Tod. Da ein Leben ohne den Geliebten für sie sinnlos ist, scheidet sie auch selbst aus dem Leben. „Beihilfe zum Tod“ und „Suizid“ waren die Schlagworte, mit denen versucht wurde, die Aufführung dieses Films zu boykottieren. Obwohl das Grazer Kino von zwei Polizisten bewacht wurde, damit sich keiner vor Vollendung seines 19. Lebensjahres Eintritt verschaffte, gelang dem 18-jährigen Hasenhüttl zum Erstaunen seiner Mitschüler der Eintritt. In der Bundesrepublik Deutschland ließ endgültig erst 1954 das Bundesverwaltungsgericht mit Berufung auf die Freiheit der Kunst die Vorführung dieses Films gegen erbitterten Widerstand des Klerus zu.

Gotthold Hasenhüttl

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