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Freiheit als Leitbild in Forschung, Lehre und Seelsorge

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Ganz im Sinne der Erfahrungen, die er mit außereuropäischen Kulturen machte, übernahm Hasenhüttl auch den Vorsitz der „Internationalen Paulusgesellschaft“ (IPG). Dieser „Verein zur Begegnung von Christentum, Religionen, Wissenschaft und Gesellschaft“ wurde 1955 von Erich Kellner (1917–1989) gegründet. Der Verein war insbesondere dem Dialog mit dem Marxismus verpflichtet und konnte durch seine Arbeit viel für die Begegnung zwischen Westeuropa und Osteuropa lange vor dem Mauerfall |37|beitragen. Noch heute geht es der IPG um den „Prozess einer Humanisierung der menschlichen Gesellschaft, die sich der drei Faktoren: Ökologie, Ökonomie und Ökumene bewusst ist“. Dieser Prozess „eröffnet auch dem Christentum eine neue Chance der Glaubwürdigkeit, soweit es sich in einer pluralen Gesellschaft als Gemeinschaft einer universalen Menschheit und Menschlichkeit begreift“ (2001, Bd. I, S. 14f.). Neben der Förderung konkreter Begegnungen und der Herausgabe der Reihe „Schriften der Internationalen Paulusgesellschaft“ verleiht der Verein im Zwei-Jahres-Rhythmus einen eigenen Preis. Preisträger des Jahres 2013 war der Theologe und Psychoanalytiker Eugen Drewermann (*1940).

Neben Lehre und Forschung sowie seinen zahlreichen Auslandsaufenthalten engagierte sich Hasenhüttl auch in der akademischen Selbstverwaltung. Er leitete mehrmals das Institut für Katholische Theologie, war von 1977 bis 1979 Senator der Universität des Saarlandes, 1977–1981 und 1994–1996 Prodekan der Philosophischen Fakultät sowie Vorsitzender des Fachbereichs Grundlagen- und Geschichtswissenschaften. Er betreute neben einer Vielzahl von Examensarbeiten 16 Promotionen und 2 Habilitationen.

Hasenhüttl spricht häufig von der unaufgebbaren dialektischen Beziehung zwischen Theorie und Praxis. Gerade in der Religion und in der die religiöse Praxis kritisch reflektierenden Theologie scheint dieser Bezug besonders notwendig. Insofern bildeten die praktische Seelsorge und die Feier der Sakramente immer einen selbstverständlichen Teil seiner Arbeit nicht nur als Priester. War ihm schon als Kind und Jugendlicher die Mitfeier der Eucharistie wichtig, so zelebrierte er vom Tag seiner Priesterweihe bis zum Tag seiner Suspendierung täglich die Messe. In den Saarbrücker Pfarreien Christkönig, St. Elisabeth und St. Pius bildete sich ein fester Kreis von Mitfeiernden, die jeden Tag in der Frühe mit einer Eucharistiefeier begannen. Auch in den psychiatrischen und geriatrischen Kliniken „Sonnenberg“ in Saarbrücken feierte Hasenhüttl regelmäßige Gottesdienste. Viele verstorbene Wohnsitzlose und gesellschaftlich Ausgeschlossene begleitete er als Priester auf dem Weg zur letzten Ruhe.

Die zahllosen Predigten und Ansprachen aus dieser seelsorgerischen Praxis sind veröffentlicht in einem Sammelband mit dem programmatischen Titel: „Die Augen öffnen“ (1990). Exemplarisch legt Hasenhüttl dort eine Textstelle aus dem Brief des Apostels Paulus an die Galater aus, in der es heißt: „Ihr seid zur Freiheit berufen, Brüder. Nur nehmt ihr die Freiheit nicht zum Vorwand für das Fleisch, sondern dient einander in |38|Liebe. Denn das ganze Gesetz ist in dem einen Wort zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Gal. 5,13f.). Mit der Freiheit scheint für Hasenhüttl die zentrale Aufgabe jeder Glaubensgemeinschaft angesprochen zu sein: „Eine solche Kirche wird die Liebe zur Freiheit wecken. Menschen, die ihr Leben lang von formaler Autorität geprägt wurden und nur eine verkrüppelte Freiheit kennen, müssen erst zur Freiheit der Kinder Gottes‘ hingeführt werden. Das echte Bedürfnis nach Freiheit muss erst geweckt werden. Kirche als Propaganda der christlichen Freiheit muss alle Herrschaft als unmenschlich anprangern und sie erst recht aus ihren eigenen Strukturen verbannen. Erst wenn das Vertrauen in die formale, institutionalisierte Herrschaftsausübung gebrochen ist, erst dann wird das Leben menschlicher werden. Die Kirche könnte den ersten Versuch dazu darstellen und die Liebe zur Freiheit in den Menschenherzen wecken. Ihre Aufgabe besteht darin, den Menschen die Angst zu nehmen, dass sie ohne formale Autorität ihre Sicherheit verlieren. Die christliche Freiheit ist das beste Mittel gegen den Missbrauch der Freiheit, der freilich nie absolut auszuschließen ist. Aber ist Missbrauch der Autorität und der Macht je ausgeschlossen?“ (1990, S. 117).

Das besondere soziale Engagement Hasenhüttls zeigte sich auch im Dezember 2013. Seinen 80. Geburtstag wollte er nicht mit großen Feiern begehen. Stattdessen flog er nach Bangladesch – trotz der schwierigen Bedingungen des dortigen Wahlkampfs und den häufigen oft tödlich endenden Ausbrüchen von Gewalt. Er wollte sich selbst über die dortigen sozialen Probleme informieren, um anschließend auch in Deutschland auf die Not insbesondere der Textilarbeiter aufmerksam zu machen. In der Stadt Chittagong besuchte er eine Textilfabrik, deren gezahlte Sozialleistungen noch weit über vielen anderen liegen. Trotzdem arbeiten die etwa 3500 Beschäftigten für etwa 60 Euro im Monat. Das ist etwa doppelt so viel wie das Durchschnittseinkommen im Land, und dies bei einer Arbeitszeit von zehn Stunden täglich an sechs Tagen der Woche. Statt Urlaub erhalten die Arbeiter nach 18 Arbeitstagen einen bezahlten freien Tag. Da es weder Kranken- noch Sozialversicherung gibt, ist jeder Arbeiter bei Krankheit oder im Alter auf die Unterstützung der Großfamilie angewiesen. Die Arbeit in der Fabrik zerstört nach wenigen Lebensjahren die Gesundheit. (Kaum jemand in der Fabrik war bei Hasenhüttls Besuch älter als dreißig Jahre.) Trotz dieser Umstände geht es diesen Textilarbeitern noch besser als ihren 40 Millionen Landsleuten, die unter der Armutsgrenze von einem Euro pro Tag leben müssen. Hasenhüttl zog ein persönliches Fazit |39|aus diesem Besuch: „Ich bewundere den Lebensmut dieser Menschen, ihre Freundlichkeit, ihre Ausdauer und auch ihre Hoffnung, die aus den Gesichtern sprach, dass eines Tages und wenn es erst die Kindeskinder sein sollten, die Menschen in Bangladesch eine bessere Zukunft haben werden. Auch wir in Deutschland können dazu beitragen, dass ihre Hoffnungen erfüllt werden, wenn wir uns nicht nur für billige Preise und eine Gewinnmaximierung interessieren, sondern uns für einen gerechten Lohn und bessere Arbeitsbedingungen in einem solchen Lohnniedrigland einsetzen“ (2014, S. A2).

Gotthold Hasenhüttl

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