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ОглавлениеPolizeigebäude und WSP-Station Leer
»Fingerabdrücke auf Steinen?« Der Beamte vom Erkennungsdienst schüttelte den Kopf. »Das kannst du vergessen. Was hast du außerdem am Tatort unternommen?«
Onno erklärte seine Tatortarbeit.
»Na gut … Das Einzige, was jetzt noch Sinn hat, ist eine Suche nach Spuren am Flussufer in Nähe der Brücke.«
Onno ärgerte sich ein wenig, darauf hätte er auch selbst kommen können.
Aber außer schmutzigen Stiefeln brachte die Suche am Flussufer nichts.
Zurück auf der Station griff Onno zum Telefon. Der Tatort konnte freigegeben werden und Elzinga informierte den Beauftragten der Baggerfirma, Gerd Peters, dass mit den Reparaturarbeiten an Bord des Baggers begonnen werden konnte.
Elzinga sah auf, als sein neuer Kollege Hans Schulz hereinkam. Der Berliner versah erst seit einigen Wochen auf der Station Dienst. Schulz ist unglaublich dünn und groß, dachte Onno. Der wird sich noch oft die Birne stoßen.
Hans Schulz plapperte munter drauflos. »Hallo, Onno. Schön, dass du zurück bist. Was meinten die Kollegen von der Kripo?«
»Ich hatte den Eindruck, die waren leicht genervt«, sagte Elzinga. »Kein Wunder – Frühdienst nach einem Wochenende! Du weißt doch, was da los war.«
»Das ist mein Stichwort, Onno – wir beide müssen zum Sielhafen. Dort ist in der Nacht ein Kutter halb abgesoffen. Die Feuerwehr ist schon unterwegs.«
Im Sielhafen angekommen, stellten die beiden WSP-Beamten erstaunt fest, dass nicht einer der alten Holzkutter teilweise untergegangen war, sondern einer der neuen, modernen Fischkutter.
»Wie haren düchtig Glück und hem dat Water rutkregen, bevör he komplet ofsopen is«, sagte der Einsatzleiter der Feuerwehr.
Hans Schulz sah Onno Elzinga an. »Was hat er gesagt?«
Elzinga grinste, im Sielhafen wurde nur Platt gesprochen und Hans Schulz hatte seine Probleme damit. »Er meinte, dass sie Glück hatten und das Wasser abpumpen konnten, ehe der Kahn komplett abgesoffen ist.«
Im Gespräch mit Jan Brons, dem Eigentümer des Kutters, und den Feuerwehrkräften fand Elzinga schnell heraus, was passiert war. In der Nacht hatten Spaziergänger ein Alarmsignal auf einem Kutter gehört. Eingedrungenes Wasser hatte den automatischen Bilgenalarm ausgelöst.
Im Dorf kannte jeder jeden, und so waren der Eigner und die Feuerwehr sofort informiert worden. Jan Brons hatte erstaunt festgestellt, dass die Eingangstür des Kutters nicht abgeschlossen war. Noch größer war sein Erstaunen gewesen, als er die Ursache für den Wassereinbruch gesehen hatte: ein geöffnetes Seeventil. Er hatte bereits bis zum Bauch im Wasser gestanden, als es ihm endlich gelungen war, dass Ventil zu schließen.
Die freiwillige Feuerwehr Ditzum hatte das eingedrungene Wasser zwar schnell abpumpen können, trotzdem war der Schaden bereits erheblich gewesen.
»Dor het en bi west, man ick was dat net!«
»Was hat er gesagt?«, fragte Schulz.
»Es war kein Unfall. Jemand hat sich am Seeventil zu schaffen gemacht.«
»Ich kann mir vorstellen, was passiert ist«, sagte Hans Schulz. »Auch wenn ich kein Platt spreche, ist mir bekannt, dass die teilweise Finanzierung der neuen Kutter durch die große Werft das Dorf praktisch in zwei Lager gespalten hat.«
Onno Elzinga schüttelte nachdrücklich den Kopf. »Das kann ich mir nicht vorstellen, dass hier einer so weit gehen sollte. Ich ruf erst mal wieder bei unseren Kollegen von der Kripo an. Die werden sich freuen.«
Elzinga merkte, dass Schulz ihn beobachtete, als er über Handy mit den Kollegen der Kripo sprach, um die Spurensicherung anzufordern. Und er ahnte schon nach kurzer Zeit, warum. Zunächst entstanden Falten auf seiner Stirn, dann wurde ihm heiß, und das bedeutete wahrscheinlich, dass ihm Röte vom Hals aufwärts in Richtung Gesicht stieg. Gott sei Dank ist mein Hemdkragen offen, sonst würde der gleich platzen, dachte Elzinga und sah Schulz mühsam ein Grinsen unterdrücken.
Das Gespräch verlief ganz und gar nicht so, wie Elzinga es erwartet hatte. Und das hatte Schulz, obwohl er der Jüngere war, natürlich mal wieder gewusst. Hatte Elzinga denn wirklich erwartet, dass die Kollegen bei dem Wust an Arbeit begeistert auf die Bitte der Wasserschutz-Kollegen um Unterstützung reagieren würden?
»Sie können nicht kommen«, sagte Elzinga. »Wir sollen uns selber helfen.«
Hans Schulz schüttelte den Kopf über ihn. »Was erwartest du eigentlich? Dass sie Hurra rufen? Die Reformen setzen die Kollegen doch nur unter Druck. Immer weniger Leute arbeiten immer mehr, das ist neuerdings die Devise. Die müssen entscheiden, was wirklich wichtig ist und dabei fallen wir leider oft hinten runter. Ich kann das gut verstehen.«
Inzwischen hatte die Feuerwehr ihre Ausrüstung eingepackt. Eine um den Kutter gelegte Ölsperre blieb zurück. Das mit nach außenbords gepumpte Öl aus der Bilge hatte sich darin gesammelt und sollte später entsorgt werden.
»Hans, wir befragen den Eigner noch mal und machen Fotos an Bord. Kannst du die Taschenlampe und die Fototasche mitnehmen? Ich nehme den Spurensicherungskoffer.«
Der Fischer saß niedergeschlagen auf dem Steuerstuhl und sah den beiden Beamten entgegen. Als Elzinga sein Gesicht sah, wusste er, dass Jan Brons auf keinen Fall seinen Kutter selbst hatte versenken wollen.
Der Türgriff zum Ruderhaus und die Hebel für die Tür zum Maschinenraum waren inzwischen von etlichen Personen berührt worden. Trotzdem versuchte Elzinga, brauchbare Fingerabdrücke zu finden. Vergeblich. Gemeinsam besichtigten sie anschließend den Maschinenraum und vor allem das Seeventil.
Wer immer das geöffnet hatte: Er hatte genau gewusst, was er tat. Ein versehentliches Öffnen war ausgeschlossen.
»Die Eingangstür weist keine Einbruchsspuren auf«, sagte Hans Schulz. »Entweder stand sie offen oder es wurde mit einem Dietrich gearbeitet. Das Schloss ist ziemlich primitiv.«
Der Fischer sah Hans Schulz mit säuerlicher Miene an. »Ick heb doch al secht, de Dör was ofschloten, man se stunn in ’t Nacht open.«
Elzinga beruhigte den Fischer. Er hatte schon die Aussage notiert, dass Jan Brons die Tür unverschlossen vorgefunden hatte. Jetzt versuchte Elzinga, den Tatzeitraum möglichst eng zu begrenzen. Der Fischer hatte abends seinen Kutter verlassen und die Eingangstür verschlossen.
Die Spaziergänger, die den Bilgenalarm gehört hatten, waren angetrunkene Gäste gewesen, die die kleine Hafenkneipe verlassen und sich im Nebel kurz verlaufen hatten. Plötzlich hatten sie vor den festgemachten Fischkuttern gestanden. Die Tat musste sich demnach in der Nacht bis etwa zwei Uhr morgens ereignet haben.
»Diese Zeugen müssen wir noch unbedingt befragen«, dachte Elzinga laut. Die nächste Frage ging ihm nur schwer über die Lippen. »Haben Sie irgendwelche Feinde, Herr Brons?«
»Ich weiß, worauf Sie anspielen. Aber das können Sie vergessen. Ja, es gibt Meinungsverschiedenheiten unter den Fischern. Einige nehmen es uns übel, dass wir unsere Klage gegen die Umbaumaßnahmen am Fluss zurückgenommen haben. Es ist auch richtig, dass wir dafür einen Teil der Kosten für die neuen Kutter erhalten haben. Es ist aber auch wahr, dass unsere Fischgründe vor der Haustür zum Teil durch die Baggermaßnahmen vernichtet worden sind. Die Verlierer waren wir von Anfang an. Auf diesen faulen Kompromiss haben wir uns eingelassen, weil wir nicht die Buhmänner sein wollten, falls die große Werft pleitegeht und viertausend Leute in unserer Region arbeitslos werden. Sie sind von hier und Sie wissen, was Arbeitslosigkeit in unserer Region bedeutet. Früher waren unsere Fanggründe in Ordnung und wir konnten mit unseren Holzkuttern gut klarkommen. Wir fischten hier und waren öfters zu Hause. Jetzt sind wir gezwungen, weiter rauszufahren. Die Kutter liegen in Holland und Nordfriesland und wir sind nur noch am Wochenende zu Hause. Die modernen Kutter benötigen mehr Diesel und die Wartung ist erheblich teurer. Das wissen auch alle, die Ahnung haben. Von Neid und Missgunst kann also keine Rede sein. So sieht es aus.«
Onno Elzinga war platt. Mit diesem Wortschwall hatte er nicht gerechnet, schon gar nicht auf Hochdeutsch.
Die Äußerungen zeigten, dass die Eingriffe in die Flusslandschaft ein sehr heißes Eisen waren, sie gingen sogar den sonst eher ruhigen Fischern gewaltig unter die Haut.
Außerdem waren die Fischer ein Volk für sich und viele aus dem Sielhafen hatten einen großen inneren Kampf geführt, bevor die Mehrheit von ihnen sich den schlichten Sachzwängen letztendlich gebeugt hatte – in der sicheren Gewissheit, dass sie die Entwicklung nicht aufhalten konnten.
Die weitere Polizeiarbeit verlief aus Sicht von Elzinga negativ. Keine auswertbaren Spuren und die Zeugenbefragungen ergaben auch keine neuen Anhaltspunkte.
Auf der Rückfahrt dachte Elzinga im Streifenwagen laut: »Eins ist sicher: Von alleine ist das Ventil nicht aufgegangen.«
»Versicherungsbetrug durch den Eigner?«, fragte Hans Schulz.
»Das glaub ich nicht. Der Kutter ist für ihn ein Stück Zuhause. Er verbringt mehr Zeit auf dem Kutter als bei seiner Frau. Da steckt viel Herzblut drin. Mein Gefühl sagt mir, das ist ein ehrlicher Mann.« In Gedanken fügte er hinzu: Und viel tiefsinniger, als ich dachte. »Außerdem hätte er sich für einen solchen Versuch nicht den flachen Hafen ausgesucht.«
»Er war sich zuletzt aber offenbar gar nicht mehr so sicher, ob er die Eingangstür abgeschlossen hatte. Ist doch merkwürdig.«
»Was glaubst du, Hans, was passiert, wenn du deine Wohnung abschließt und ich dich anschließend ein paarmal frage, ob du auch wirklich abgeschlossen hast? Wetten, du fährst zurück und stellst fest, dass die Tür natürlich abgeschlossen ist? – Ich habe eine andere Idee. Was ist, wenn zwischen dem Steinewerfer an der Brücke und der Sabotage ein Zusammenhang besteht?«
»Nu hör aber auf, Onno! Was soll das denn für ein Zusammenhang sein?«
»Ich weiß nicht. Nur so ein Gefühl.«
»Du mit deinem gefühlten kriminalistischen Spürsinn.« Hans Schulz grinste. »Anderes Thema. Und zwar Krabbenbrötchen, wo wir gerade hier sind.«
Elzinga lachte. »Ich zerbreche mir meinen scharfen norddeutschen Verstand und du denkst bloß ans Essen.«
»Ach, und du verzichtest …? Wegen Feiertagsspecksyndrom …?«
»In Ordnung, lass uns die heimische Wirtschaft unterstützen. Aber gegessen wird nicht im Auto, sondern auf der Dienststelle bei einer Tasse Tee.«
Hans Schulz grinste und steuerte zielsicher den Fischhändler seines Vertrauens an.