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Einleitung

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Auf einer wissenschaftlichen Konferenz von Nobelpreisträgern am City College in New York im August 2005 fragte ein Student die Laureaten auf dem Podium: »Kann man ein guter Wissenschaftler sein und an Gott glauben?«

Einer der Forscher, Herbert A. Hauptmann, der 1985 den Preis für Chemie erhalten hatte, gab eine kurze und scharfe Antwort: »Nein!« Glaube an das Übernatürliche, vor allem an einen Gott, sei mit guter Wissenschaft unvereinbar. Diese Form des Glaubens schade dem Wohlergehen der Menschheit.3 Dieses »Nein« ist allerdings nicht wissenschaftlich begründet, sondern weltanschaulich. Eine wissenschaftliche Antwort würde lauten »Ich weiß nicht« oder »Es kommt auf spezifische Zusammenhänge an, ob Gottesglaube und Wissenschaft vereinbar sind oder nicht«.

Dieses »Es kommt darauf an« begleitet jede gründliche Auseinandersetzung mit Fragen im Grenzgebiet von Religion und Wissenschaft. Das kurze »Es« öffnet dabei den Zugang zu dem psychoanalytischen Beitrag. Die Psychoanalyse ist die Wissenschaft vom »Es«, von etwas, das unbewusst und doch wirkungsvoll ist, das hinter unseren wissenschaftlichen Überlegungen ebenso steht wie hinter unserer Weltanschauung, unserem Glauben. Geraume Zeit hatte die Psychoanalyse fast ein Monopol auf dieses Es; heute muss sie dieses Privileg mit Neurobiologie und Gehirnforschung, Kulturwissenschaften und Soziologie teilen.

Wer sich mit diesem Gebiet beschäftigt, wird früher oder später dem Dilemma wissenschaftlicher Forschung über menschliche Praxis begegnen: Forschung über Gegenstände, die keinen Handlungsbezug haben, kommt nie in die kritische Situation, angesichts einer noch ungeklärten Problemlage handeln zu müssen. Herbert Hauptmann, der den Frager so kurz beschied, erhielt 1985 den Nobelpreis für seine Forschungen über die Struktur von Kristallen.

Das ist ein schönes wissenschaftliches Gebiet, denn niemals wird ein Kristall den Forscher bitten, seine Bauchschmerzen oder Depressionen zu heilen. Der Arzt und der Psychotherapeut begegnen ständig einem Problem, gegen das der Kristallforscher immun ist: Sie wissen nicht, was geschieht, und sollen doch etwas tun, um eine Entwicklung zum Schlechteren zu verhindern. Wie rasch unter der Forderung einer handlungsleitenden Position ein exakter Wissenschaftler die Behauptung an die Stelle des Beweises setzt, zeigt die oben geschilderte Szene: Statt die Gottesfrage wissenschaftlich zu untersuchen, macht sie der Wissenschaftler zu einer Sache seines Dogmas.

Der ebenso triviale wie einzig gangbare Weg, über die Macht der Religion in der Wissenschaft »objektive« Daten zu gewinnen, ist die Statistik. Nach einer 1997 in »Nature« veröffentlichen Umfrage von Edward J. Larson von der Universität in Georgia glaubten 40 Prozent der befragten Naturwissenschaftler (Mathematiker, Physiker und Biologen) an einen persönlichen Gott, definiert als ein Wesen, zu dem man beten kann und von dem man möglicherweise eine Antwort erhält.

Als 1914 eine ähnliche Befragung vorgenommen worden war, hatte sich eine ganz ähnliche Prozentuale ergeben. Das spricht dafür, dass Freuds Hypothese aus »Die Zukunft einer Illusion« nicht zutrifft, in der er ein Abklingen des Gottesglaubens unter dem Einfluss des wissenschaftlichen Fortschritts voraussagte. Larson hatte die Namen der Befragten einem großen Verzeichnis amerikanischer Wissenschaftler entnommen. Als er dieselbe Frage an Spitzenforscher richtete, stellte sich heraus, dass weniger als 10 Prozent an einen »personal God« glaubten. Hat Freud also doch recht?

Warum der Mensch sich Gott erschuf

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