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Zuhause

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Sonntag, 8. Juni 2008, 8:15

Sedlmeyer riss die Augen auf. Verschlafen und verwirrt. Was passierte gerade? Warum war er aufgewacht, statt ordnungsgemäß auszuschlafen, wie geplant? Schließlich hatte er gestern abend bis halb drei Uhr morgens genussvoll Musik gehört, beide CDs seiner Pantera-Rarität und die eine davon immerhin zweimal am Stück. Das Telefon läutete. Er setzte sich auf, rieb sich die Augen und starrte ein paar Sekunden lang die Wand an. Dann wälzte er sich aus dem Bett, stand auf und ging in den Flur, wo das Telefon wütete. Er setzte sich auf die Holzkiste, die er einmal in einem Laden für antike Bauernmöbel erstanden hatte und die zugleich als Sitzgelegenheit und Aufbewahrungsort für selten bis nie gebrauchte Gegenstände diente, wie beispielsweise Skischuhe oder einen Satz Hanteln, den er sich vor einiger Zeit im guten Glauben an die eigene Trainingsmoral gekauft hatte. Er nahm den Hörer ab. Am anderen Ende der Leitung war seine Kollegin Jutta Hemmers:

„Mojn Sedi, hab ich dich geweckt?“ Sedlmeyer gähnte, dann sagte er:

„Nein, ich sitze schon seit zwei Stunden neben dem Telefon und warte auf deinen Anruf.“

„Sedi, du müsstest bitte sofort ins Präsidium kommen, ich warte da auf dich, es gibt Arbeit.“ Er war noch immer nicht richtig wach und sein noch teilweise schlafendes Gehirn sah sich einem akut schwer lösbaren Konflikt gegenüber: Sonntag früh? Ausschlafen? Präsidium? Arbeit? Er fragte:

„Moment mal. Was ist denn los?“ Jutta fasste zusammen:

„Also, folgendes: wir haben ne weibliche Leiche im Teenager-Alter, irgendwo bei Freimann, lag in der Isar. Es ist davon auszugehen, dass es sich um das entführte Mädchen handelt.“ Sedlmeyer war immer noch nicht klar, was hier eigentlich gespielt wurde:

„Aha. Aber was haben wir damit zu tun? Das ist doch Jakubinski's Fall!“

„Jetzt ist es offenbar unserer. Sedi, ich erklär's dir auf der Fahrt. Bitte komm erst mal ins Präsidium. Bis gleich, Tschöö!“

Sedlmeyer gähnte noch einmal und rieb sich die Augen, dann ging er ins Bad und begann, sich die Zähne zu putzen. Was war da los? Warum rief ihn Jutta an, um ihm zu eröffnen, dass sie Jakubinski's Fall geerbt hatten? Und warum überhaupt hatten sie ihn geerbt? Er ging in die Küche und schaltete die Kaffeemaschine an, um sie vorzuwärmen, dann zog er sich an. Frisch bekleidet mit schwarzer Jeans und hellblauem Hemd, unter das er ein schon etwas betagtes Motörhead T-Shirt angezogen hatte, legte er eine Kaffeepatrone ein, stellte eine Tasse unter und drückte auf einen Knopf. Er musste unwillkürlich an die klischeehaften Cops aus amerikanischen Kriminalfilmen denken, die ständig mit Kaffeetassen in der Hand herumliefen und ohne diese keinen Tatort besichtigen und keinen Bericht verfassen konnten, letzteres in der Regel auf altertümlichen mechanischen Schreibmaschinen. Im Gegensatz zu amerikanischen Film-Polizisten, die scheinbar jeden Meter mit voluminösen spritfressenden Autos zurücklegten, würde er gleich mit dem Fahrrad ins Präsidium fahren. Er besaß privat kein Auto, da dies in einer Großstadt wie München wenig Sinn machte und ihm für berufliche Zwecke ein Dienstwagen zur Verfügung stand, der allerdings im Moment auf dem Parkplatz im Präsidium wartete. Nachdem er den Kaffee ausgetrunken hatte, suchte er seine sieben Sachen zusammen und stellte genervt fest, dass sein Handy leer war. Er nahm es trotzdem mit, zusammen mit dem Ladegerät. Dann ging er hinunter in den Hinterhof, zu seinem Fahrrad und schloss es auf.

Zwanzig Minuten später bog er auf den Parkplatz des Präsidiums ein, sperrte sein Rad am Fahrradständer an und sah dabei aus dem Augenwinkel Jutta neben dem Dienstwagen warten. Sie war eine leicht untersetzte, quirlige Frau Anfang dreißig mit halblangen, dünnen hellblonden Haaren und einer Brille mit modischem Stahlgestell. Vor ein paar Jahren von Kiel nach München gekommen, bereicherte sie Sedlmeyer's Truppe seitdem um eine gute Portion lebendig-norddeutscher Fröhlichkeit. Anfangs war das nicht immer einfach gewesen; der Norddeutsche an sich ist dem Bayern ja generell eher ein Dorn im Auge und Jutta's hemdsärmlige Art und ihr lockeres Mundwerk hatten zu Beginn für einige Animositäten auf Seiten der etwas behäbigeren unter ihren bajuwarischen Kollegen gesorgt. Da sie allerdings ein kontaktfreudiger Mensch war, über ein pragmatisches Organisationstalent verfügte und zudem gut in ihrem Job war, war sie inzwischen zu einer geschätzten Kollegin geworden und pflegte ein freundschaftliches Verhältnis zu Sedlmeyer. Sie begrüßten sich:

„Servus Jutta. Alles klar?“

„Mojn Sedi. Willst du fahren? Ich erzähl dir dann alles weitere. Nee, nich alles klar. Ich bin seit halb sieben Uhr morgens auf den Beinen und das am Sonntag, so'n Schiet. Los, einsteigen!“ Sedlmeyer schloss den Wagen auf und sie stiegen beide ein. Er startete des Wagen und fuhr los.

„Wohin?“ fragte er.

„Fahr erst mal grob Richtung Oberföhring, dann sag ich dir, wie's weiter geht. Am besten ist's wahrscheinlich, du fährst Innenstadt, direkt über Schwabing.“ Sedlmeyer grummelte:

„Danke, die Dame, ich find's schon selber. Jetzt erzähl mal, was hier los ist. Warum rufst du mich mitten in der Nacht an und wieso ist das hier auf einmal unser Fall?“

„Mitten in der Nacht? Jetzt mal Budder bei die Fische, du Schlafmütze. Also pass auf. Ich krieg heute morgen um kurz nach halb sieben nen Anruf – und das ist übrigens mitten in der Nacht. Egal, also ich krieg nen Anruf vom Widenmayer. Und der beschwert sich erst mal, dass er dich nicht erreichen kann!“ Sedlmeyer hob an zu protestieren:

„Wieso das denn? Ach, ja verdammt, mein Handy war ja leer.“

„Genau, irgend sowas. Und scheinbar hat der nur deine Handy-Nummer und nicht die von deinem privaten Festnetzanschluss!“ Sedlmeyer sagte nichts. Dr. Widenmayer war ihr Dienststellenleiter und Sedlmeyer hatte in der Arbeit absichtlich nur seine Handynummer hinterlassen. Streng genommen war das zwar höchst fragwürdig, denn in Zeiten der mobilen Rundum-Erreichbarkeit machte es so gut wie keinen Unterschied, aber wenn es auch nur einen symbolischen Effekt hatte, so gab es ihm doch das Gefühl, sich dadurch wenigstens ein kleines Stück Privatsphäre erhalten zu haben. Jutta fuhr fort:

„Jedenfalls haben wir wie gesagt eine Wasserleiche. Ein älteres Ehepaar hat sie heute früh beim Spazierengehen gefunden. Kannst du dir das vorstellen? Um welche Uhrzeit diese ollen Schabracken Sonntags zum Wandern gehen?“ Sedlmeyer tat entrüstet:

„Na na na! Ein bisschen mehr Respekt vor der älteren Generation bitte!“ Er grinste zu ihr herüber. „Gut, soweit klar. Aber wieso werden wir da hin geschickt und nicht der Jakubinski und seine Leute?“ Jutta zuckte mit den Schultern.

„Das weiß ich auch nicht. Der Widenmayer war nicht sonderlich gesprächig am Telefon. Genauer gesagt war er 'n büschen füünsch weil er dich nicht erreichen konnte.“ Sedlmeyer rollte mit den Augen.

„Jutta, mir san hier in Bayern, du sprichst in fremden Zungen!“ Sie grinste ihn bewusst affektiert an und fuhr fort:

„Jedenfalls hab ich schon mal soweit alles organisiert. Die Kollegen von der Streife sichern den Fundort, die KT ist auf dem Weg. Ich hab auch Mommsen angerufen und ihn gebeten, direkt hin zu kommen. Wird er allerdings nicht.“ Christian Mommsen war der Leiter der Pathologie und nicht gerade Sedlmeyer's Liebling. In seinen Augen war er der Inbegriff des humorlosen Gerichtsmediziners, der eine für ihn unverständliche Befriedigung daraus zog, in fensterlosen Kellern im Licht von Neonröhren tote Menschen auseinander zu schneiden. Was ihn allerdings regelmäßig auf die Palme brachte, war Mommsen's inflationärer und genussvoller Gebrauch medizinischer Fachbegriffe. Wie oft schon hatte er sich genötigt gesehen, bei medizinischen Gutachten mehrmals nachzufragen und um eine halbwegs verständliche Erklärung zu bitten – er kam sich dann jedes mal wie ein zurückgebliebener Schüler vor, der die simpelsten Dinge einfach nicht begreifen will. Er runzelte die Stirn:

„Und warum kommt er nicht?“ Jutta verdrehte die Augen und sagte:

„Er hat vor einer halben Stunde angerufen, steht mit einer Autopanne in Grünwald. Kannst du dir das vorstellen? Da fährt er 'nen fetten BMW für eine Milliarde Euro mit elektrischem Zahnseide-Spender oder sonst was für'n Schnickschnack und dann schafft er's nichtmal bis nach Freimann. Na jedenfalls hab ich mit ihm ausgemacht, dass wir ihn dann später direkt in der Pathologie treffen.“ Das war Sedlmeyer nur recht. Sollte Mommsen in der Gerichtsmedizin später seine Arbeit machen, sie würden am Fundort die ihre machen. Er fuhr fort:

„Hast du mit Jakubinski eigentlich auch gesprochen? Weiß der überhaupt, was passiert ist?“ Jutta machte ein unschuldiges Gesicht.

„Nö, ich fühle mich da nicht so zuständig. Du kennst doch den Widenmayer. Der sagt dir direkt an, was du zu tun und zu lassen hast. Ich nehme an, er hat Jakubinski inzwischen selber angerufen.“ Sedlmeyer setzte den Blinker und bog nach rechts ab.

„Der wird sicherlich nicht gerade bester Laune sein, dass sie ihm seinen Fall so einfach wegnehmen. Naja, lassen wir uns überraschen.“

Etwa eine halbe Stunde später waren sie am Ziel, nicht ohne sich vorher einmal kurz im Gewirr der kleinen Kieswege verfahren zu haben, die den einzige Zugang zu der bewaldeten Uferstelle darstellten, an der die Leiche gefunden worden war. Zwei Wagen der Bereitschaftspolizei standen mit laufendem Blaulicht am Wegrand, dahinter der weiße BMW Kombi der Kriminaltechnik mit geöffneter Heckklappe. Sie stiegen aus und sahen sich um. Ein junger Mann in Uniform kam zu ihnen herüber, die drei bronzenen Sterne auf seinen Schulterstreifen wiesen ihn als Polizeiobermeister aus. Er war ziemlich weiß im Gesicht und sah bedrückt aus. Er streckte Sedlmeyer die Hand zur Begrüßung hin und stellte sich in breitestem Bayerisch vor:

„Grias Good, Machtlfinger. Sie san die Kollegen vo da Mordkommission?“ Sedlmeyer schüttelte seine Hand.

„Sedlmeyer, Grüß Gott. Das ist meine Kollegin, Frau Hemmers“, stellte er Jutta vor. „Zeigen's uns den Fundort, bittschön?“ POM Machtlfinger ging wortlos voraus und bahnte ihnen einen Weg durch Bäume und Gebüsch. An der Uferböschung der Isar war ein etwa fünfzehn Meter langer Abschnitt mit rot-weißem Plastikband abgesperrt worden. Direkt am Fluss lag die Leiche, umringt von drei Kollegen der Kriminaltechnik. Die Szenerie hatte etwas bedrückendes, mehr noch als sonst bei Tatorten üblich, was, wie Sedlmeyer auffiel, daran lag, dass keiner von den Kollegen einen Ton von sich gab. POM Machtlfinger zeigte Sedlmeyer eine Personengruppe am anderen Ende der Absperrung und sagte:

„Do hint'n san de Zeugen. Personalien hamma aufg'nomma.“ Dann trat er einen Schritt zurück und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. Sedlmeyer warf Jutta einen Blick zu, dann gingen beide zum Ufer um die Leiche zu inspizieren und knieten sich neben die Kollegen auf den Boden. Aller beruflichen Routine zum Trotz musste er erst mal schlucken. Er warf einen kurzen Seitenblick zu Jutta und sah ihre weit aufgerissenen Augen und die Blässe in ihrem Gesicht. Vor ihnen war eine schwarze Plastikplane ausgebreitet und mit Steinen an den Ecken beschwert worden. Am Kopfende der Plane stand ein geöffneter Aluminiumkoffer der Kriminaltechnik, der zahlreiche Instrumente und Werkzeuge enthielt. Auf der Plane lag ein totes Mädchen, offenbar im Teenager-Alter, auf dem Rücken. Sie war nackt, aufgequollen, haarlos und entsetzlich entstellt, ein paar Fliegen krochen auf ihr herum. Wasserleichen waren immer eine ziemlich üble Angelegenheit, besonders im Sommer. Die Verwesungsprozesse, die den menschlichen Körper in wässriger Umgebung verunstalteten, hinterließen rundheraus gesagt Horror-Leichen. So auch hier: die Augen des Mädchens waren milchig-trübe, ihr gesamter Körper grünschwarz verfärbt und aufgebläht, Fingernägel und Teile der Oberhaut fehlten. An einzelnen Stellen war die Haut grotesk aufgequollen, die Hände sahen aus, als würde sie faltige braune Handschuhe tragen. Vereinzelt waren Bissspuren von Fischen zu erkennen. Jutta hielt sich die Hand vor den Mund, stand auf und drehte sich weg. Sedlmeyer sah sich das tote Mädchen noch eine Weile an, dann gesellte er sich zu Jutta und sagte:

„Scheiße, Mann. Was hältst du davon?“ Jutta sah ihm eine Weile mit zusammen gekniffenem Mund in die Augen und antwortete:

„Lass uns mal die Zeugen befragen.“ Das war Sedlmeyer mehr als recht und sie gingen zum Rand der Absperrung, wo das ältere Ehepaar in Begleitung eines Beamten wartete. Die paar Meter, die sie dabei zurücklegten, kamen Sedlmeyer vor wie eine halbe Ewigkeit. Wie in Zeitlupe steuerten sie über die Uferböschung, so kam es ihm in diesem Moment vor, und fixierten ihr Ziel mit einem Tunnelblick, der das Geschehen um sie herum auszublenden versuchte. Jutta nickte dem Kollegen zu und streckte der älteren Frau die Hand hin:

„Guten Morgen, mein Name ist Hemmers, Mordkommission. Das hier ist mein Kollege, Herr Sedlmeyer. Wir müssten Ihnen ein paar Fragen stellen, wenn das für Sie in Ordnung ist.“ Die ältere Dame sagte nichts und schüttelte ihr die Hand. Ihr Gesichtsausdruck war verschlossen und gefestigt. Jutta fuhr fort:

„Sie haben die Leiche also gefunden, heute früh gegen sechs Uhr, ist das korrekt?“ Die Dame antwortete:

„Ja, haben wir.“

„Und Sie haben danach sofort bei der Polizei angerufen?“ Der ältere Mann schaltete sich ein:

„Ja freilich. Wissen's, wir wohnen nicht weit weg und gehen Sonntags oft bei Sonnenaufgang in dieser Gegend im Wald an der Isar spazieren, weil's da so schön ruhig ist. Heut' sag ich zu meiner Frau: 'lass uns mal zum Fluss runter gehen' und dort haben wir dann die – äh – Leiche im Gebüsch hängen sehen“. Er schluckte einmal und sah seine Frau an. Jutta sah ihn an und fragte:

„Gut. Ich nehme an, es war Zufall, dass Sie heute genau diese Uferstelle besucht haben? Sie kommen nicht jedes mal beim Spazierengehen hier her?“ Der Mann antwortete:

„Nein, das war wie gesagt reiner Zufall, wir waren hier noch nie, wenn ich mich recht erinnere“ Sedlmeyer schaltete sich ein:

„Sie haben nichts angefasst oder verändert?“ Die Frau antwortete:

„Natürlich nicht!“ Er überlegte aber es fiel ihm nichts mehr ein, was sich noch zu fragen gelohnt hätte, daher sagte er:

„Vielen Dank einstweilen. Ihre Personalien haben wir; es könnte sein, dass wir in den nächsten Tagen noch die eine oder andere Frage an Sie haben, dann würden wir uns bei Ihnen melden.“ Der ältere Mann sah ihn unsicher an:

„Das heißt, wir können jetzt nach Hause gehen?“ Sedlmeyer antwortete:

„Ja, natürlich. Vielen Dank für Ihre Mithilfe!“ Nachdem das Zeugen-Ehepaar entlassen war, schritt Sedlmeyer den gesperrten Bereich ein paarmal ab und sah sich genau um, während Jutta sich mit den Kollegen von der Bereitschaftspolizei unterhielt. Hie und da bog er ein paar Zweige zur Seite, um etwas bestimmtes besser sehen zu können, dann inspizierte er das Gebüsch im Wasser, in dem sich die Tote offenbar verfangen hatte. Er wollte einen intuitiven Eindruck gewinnen, wollte die Fundstelle kennen und „verstehen“ lernen. Eine exakte Spurensicherung hatte er dabei nicht im Sinn, aber dafür sorgte ohnehin die Kriminaltechnik und die waren sehr gut in ihrem Geschäft. Allerdings stellte sich kein Aha-Erlebnis bei ihm ein; ein ganz normaler bewaldeter Uferabschnitt war alles, was es hier zu entdecken gab. Ganz normal bis auf die Tatsache, dass sich verschiedenste Beamte und Spezialisten darauf befanden und sich um eine grässlich entstellte Leiche scharten. Eine Weile ließ er den Fundort ergebnislos auf sich wirken, dann stapfte er mit gesenktem Kopf zurück zu der Toten. Er steuerte auf einen der Kriminaltechniker zu, den er flüchtig unter dem Namen Jansen kannte; der stand neben der Leiche und schrieb etwas auf einen Notizblock. Sedlmeyer wartete, bis der Kollege mit seinen Notizen fertig war, dann fragte er:

„Habt ihr irgend was brauchbares finden können?“ Jansen antwortete:

„Sieht ganz schlecht aus. Der Zustand der Leiche lässt kaum verwertbare Spuren erwarten. Keine Kleidungsstücke. Wir haben einen Ohrring sicherstellen können und einen Ring an der linken Hand, aber das wird euch wohl auch nicht viel helfen.“ Sedlmeyer sah ihn nachdenklich an. Dann sagte er:

„Gibt der Fundort selber was her?“ Jansen sah sich kurz um.

„Aufgrund der Strömungsrichtung der Isar ist klar, dass die Leiche irgendwo südlich von hier ins Wasser gelangt sein muss.“ Dabei sah er auf's Wasser hinaus und zeigte mit dem Finger Richtung Süden. „Wo genau das passiert ist, können wir allerdings auch nicht präzise sagen. Leichen sinken zunächst auf Grund, bevor sie durch Gasbildung im Körper nach einer Weile wieder an die Oberfläche treten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass genau das vor kurzem passiert ist und die Leiche dadurch eine unbestimmte Wegstrecke mit der Strömung getrieben ist, bevor sie sich in diesem Gebüsch verfangen hat.“ Sedlmeyer sah Jansen entmutigt an. Der fuhr fort:

„Wir haben Verbissspuren von Fischen entdeckt. Die dokumentieren wir im Moment noch, eventuell lassen sich daraus Rückschlüsse auf gewisse Besonderheiten im Fischbestand des Flusses ziehen, aber macht euch mal keine allzu großen Hoffnungen deswegen. Dann haben wir noch einige ziemlich seltsame Verletzungen am Oberkörper entdeckt, die von keinem Tier zu stammen scheinen, aber die können wir nicht einordnen, das muss sich die Pathologie dann genauer anschauen. Ich hoffe, die haben mehr zu bieten als wir.“ Sedlmeyer sah kurz zu Jutta hinüber, die sich soeben zu ihnen gesellt hatte, dann fragte er:

„Wie lange braucht ihr hier noch?“ Jansen sah auf seine Armbanduhr, dann sagte er:

„Noch etwa ne halbe Stunde, Stunde, würde ich sagen.“ Sedlmeyer wandte sich Jutta zu:

„Lass uns den Leichentransport her bestellen oder hast du noch irgend eine zündende Idee?“ Sie überlegte kurz, dann sagte sie:

„Nö, Sedi, keine Ideen mehr. Ich organisier das mal eben. Geh du eine rauchen, ich seh's dir an der Nasenspitze an, dass du's nötig hast.“ Sie sah einen Moment niedergeschlagen zu Boden, dann hob sie den Blick, sah ihm einen Moment in die Augen und sagte:

„Drehst du mir auch eine?“ Sedlmeyer zog die Augenbrauen zusammen und sah sie verwundert an. Jutta hatte schon vor Jahren mit dem Rauchen aufgehört und Sedlmeyer war nicht bekannt, dass sie seither in irgend einer Form rückfällig geworden wäre.

„Bist du sicher?“ fragte er.

„Ja, heute bin ich sicher.“ Sedlmeyer nickte ihr zu.

„Gut, ich bin dann beim Auto, bis gleich.“ Dann duckte er sich unter dem Absperrband durch und trabte zurück zum Wagen. Dort angekommen, drehte sich eine Schwarze Krauser und dann noch eine für Jutta. Noch nie hatte er sie rauchen sehen. Unter normalen Umständen hätte er ihr die Bitte wahrscheinlich abgeschlagen; nur allzu leicht wird man als ehemaliger Raucher wieder rückfällig, wie er aus leidvoller Erfahrung selber wusste und er hätte nicht derjenige sein wollen, der eine Mitschuld an der Wiederaufnahme der Raucherkarriere eines befreundeten Menschen zu verantworten hatte. In diesem Moment, während er auf Jutta wartete, fiel ihm etwas auf: er war froh darum, in diesem Moment nicht alleine rauchen zu müssen sondern die üble Situation und die gedrückte Stimmung mit jemandem teilen zu können. Die Wasserleiche dieses jungen Mädchens halbverwest und aufgedunsen auf dem Boden liegen zu sehen, das war schon harter Tobak und auch für einen erfahrenen Kriminalbeamten nicht eben leicht zu verdauen. Und als er Jutta dann nach einer Weile durch das Unterholz balancierend auf ihn zukommen sah, erkannte er plötzlich ganz deutlich, dass sie nicht einfach nur eine Kollegin für ihn war, sondern tatsächlich so etwas wie ein Freund. Sie nahm die Zigarette, die er ihr angeboten hatte entgegen und lehnte sich neben ihn an den Wagen. Dann sagte sie:

„Leichentransport ist unterwegs. Haste Feuer?“ Sedlmeyer gab ihr Feuer, dann lehnten sie eine Weile schweigend am Wagen und rauchten.

Der Gärtner war der Mörder

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