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Präsidium I

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Montag, 9. Juni 2008, 9:15

„Herrschaften! Spitzt mal bitte kurz die Ohren und hört mir zu!“ Sedlmeyer stand im Türrahmen seines Büros und sprach zu seinen Mitarbeitern.

„So wie es aussieht, haben wir einen laufenden Fall übertragen bekommen, nämlich die verschwundene Schülerin von vor drei Wochen. Sie wurde tot aufgefunden; Jutta und ich haben gestern die Fundortbesichtigung gemacht und Mommsen danach ein bisschen bei der Arbeit über die Schulter geschaut.“ Er sah in ein fragendes, ein ratloses und ein wissendes Gesicht. Jutta, der letzteres gehörte, sah kurz zu ihm auf und beschäftigte sich danach rasch wieder mit ein paar Blättern, die sie mit einem geräuschhaften Schlag auf einen Tacker zusammen heftete. Die beiden anderen in Sedlmeyer's Team sahen ihn an und warteten auf eine Erklärung. Roland Baumgartner, der eine von ihnen, biss noch einmal in die Nussschnecke, über die er sich gerade hergemacht hatte, während der andere, Roland Funke, seinen Kugelschreiber geistesabwesend zwischen Zeige- und Mittelfinger hin und her pendeln ließ. Baumgartner war einer von der Sorte gemütlicher Kumpel. Ein fast zwei Meter großer, ausgeglichener Niederbayer, der gerne lachte und sich beim Reden auf das Wesentliche beschränkte. Seine Frisur war der Haargewordene Beweis jeder Chaos-Theorie; dunkelblond, in alle Richtungen abstehend und von keinem Kamm der Welt in eine vernünftige Form zu bringen. Er war verheiratet, ein paar Jahre jünger als Sedlmeyer und so etwas wie der gute Geist des Teams, der in hektischen Situationen Ruhe und Besonnenheit ausstrahlte, mit jedem gut konnte und sich die Laune selten verderben ließ. Ganz anders Funke: er war ziemlich klein, lachte selten bis nie und wirkte immer ein wenig hektisch und verkniffen. Jutta hatte Sedlmeyer gegenüber einmal die Theorie aufgestellt, dass das damit zusammenhängen müsse, dass Funke dringend eine Frau benötige, während Sedlmeyer es auf dessen ausufernden Kaffeekonsum geschoben hatte. Im weiteren Verlauf dieses Gespräches hatte Jutta dann darauf hingewiesen, dass das mit der fehlenden Frau maßgeblich auf Funke's optische Erscheinung im allgemeinen und auf seinen peinlichen Schnurrbart im Besonderen zurückzuführen sei. Bei Sedlmeyer hatte sich dann in Sachen Frauen-Problematik im Lichte seiner eigenen Situation bald ein nagendes Unwohlsein eingestellt und er hatte schnell das Thema gewechselt. Funke war optisch in der Tat eine seltsame Kombination: sein schwarzer Schnurrbart war akkurat auf den Millimeter getrimmt, ebenso wie sein glattes, präzise gescheiteltes Haar, welches allerdings bereits merklich ergraut war, trotz seiner erst 31 Jahre. Er hätte ein bisschen ausgesehen wie das Abziehbild eines überarbeiteten Buchhalters, wären da nicht die schrillen Hawaii-Hemden und die Cowboy-Stiefel gewesen, die er immer trug. Womöglich hatte er früher einfach zu viele Folgen „Magnum“ gesehen. Sedlmeyer räusperte sich und fuhr fort mit seinen Erläuterungen:

„Ich warte noch auf eine Erklärung vom Widenmayer, warum er Jakubinski und seinen Leuten den Fall entzogen und uns auf's Auge gedrückt hat, aber es scheint einen guten Grund dafür zu geben. Ich werde gleich mal bei ihm anrufen und ihn bitten, uns seine Akten zur Verfügung zu stellen. Danach machen wir Besprechung, sagen wir um...“ Er sah auf seine Armbanduhr, „...zehn Uhr dreissig. Jutta, könntest du bitte checken, ob der Konferenzraum da noch frei ist? Schorschi, könntest du in der Zwischenzeit mal ein wenig über Wasserleichen recherchieren? Ich muss dich allerdings warnen, das ist ein ziemlich unappetitliches Thema!“ Mit „Schorschi“ war in diesem Fall Baumgartner gemeint. Zu Beginn ihrer aller Zusammenarbeit hatten sie schnell festgestellt, dass zwei Kollegen mit dem selben Vornamen ein schwerwiegendes praktisches Problem mit sich brachten. Sie hatten ein wenig hin und her überlegt, bis schließlich Baumgartner selber auf die Idee gekommen war, ihm doch einfach einen typisch bayerischen Spitznamen zu geben, passend oder nicht, schließlich käme er aus dem ursprünglichsten aller bayerischen Regierungsbezirke. Letzteres konnte Sedlmeyer als gebürtiger Münchner keinesfalls so stehen lassen, aber sie hatten sich dann trotzdem auf die bajuwarische Kurzform von „Georg“ geeinigt, obwohl das mit „Roland“ nicht das geringste zu tun hatte. Roland „Schorschi“ Baumgartner vernichtete als Antwort mit einem letzten Bissen den Rest seiner Nussschnecke und hob kauend den Daumen der rechten Hand. Sedlmeyer sah noch einen Moment lang in die Runde, dann klopfte er kurz an den Türrahmen und ging zurück in sein Büro.

In der verbleibenden guten Stunde bis zur Besprechung hatte er geplant, erst bei Jakubinski und dann bei Mommsen anzurufen. Er griff zum Telefon und wählte eine Nummer; am anderen Ende ertönte ein brummiges „Ja?“ und Sedlmeyer begann, sein Anliegen vorzubringen:

„Guten Morgen Herr Jakubinski, hier ist Sedlmeyer. Ich ruf' an wegen ihres Falles bezüglich der vermissten Schülerin.“ Jakubinski war offenkundig ziemlich verstimmt, sein Sarkasmus troff zähflüssig aus dem Hörer:

„Morgen Sedlmeyer. Mein Fall? Ich kann mich gar nicht daran erinnern, einen solchen Fall gehabt zu haben? Sie müssen da was verwechseln, ich bin hier nur der Hausmeister.“ Sedlmeyer konnte ihm seine Frustration nicht verdenken. Er fuhr fort:

„Ich kann gut verstehen, dass Sie sauer sind. Ich versteh's ja genau so wenig. Sie wissen hoffentlich, dass ich damit nichts zu tun hatte und genau so überrascht war wie Sie, als uns der Fall übertragen wurde.“

„Passt schon, Sedlmeyer, Sie können ja auch nix dafür. Von mir aus können Sie den Fall gern übernehmen, viel Spaß werden Sie damit ohnehin nicht haben.“ Sedlmeyer war drauf und dran, zu antworten, dass ihm das beim Anblick der Leiche gestern auch schon aufgefallen sei, wollte dann aber nicht noch mehr Salz in die Wunde reiben. Stattdessen beschränkte er sich auf's Geschäftliche:

„Das ist gut möglich. Herr Jakubinski, ich wollte Sie zunächst mal darum bitten, uns ihre Akten zur Verfügung zu stellen. Und ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir kurz ihren Eindruck schildern könnten, was den bisherigen Verlauf anbelangt.“ Jakubinski seufzte.

„Na klar, Sedlmeyer. Die Akten lass ich Ihnen gleich zuschicken, die sollten Sie spätestens heute Nachmittag auf dem Schreibtisch haben. Was meinen Eindruck zu dem Fall anbelangt: ich will ehrlich zu Ihnen sein. Sonderlich weit sind wir damit nie gekommen. Sie wissen doch selber wie das bei Entführungen so ist. Familiäre Hintergründe konnten wir mit großer Sicherheit ausschließen, das Umfeld war blitzsauber. Also, der nächste Schritt, wie üblich: Mithilfe-Aufrufe an die Bevölkerung. Das hat auch nichts gebracht, außer den üblichen Spinnern. Eine ältere Frau will das Mädchen in der Kirche gesehen haben, wo es nach dem Gottesdienst Weihwasser verspritzt und die Gläubigen gesegnet hat. Lauter so ein Mist. Die beste Spur war noch eine junge Türkin, die sich sicher war, das Mädel in einem Klamottengeschäft beim Einkaufen gesehen zu haben. Wir konnten dann aber recht schnell klären, dass es dabei um eine Schaufensterpuppe ging, die zufällig ähnliche Kleidung trug.“

Sedlmeyer war im Bilde. Wie Jakubinski zutreffend bemerkt hatte, standen die Chancen bei Entführungen generell nicht gut, falls es nicht schnell gelang, eine Verbindung im jeweiligen Umfeld herzustellen. Er bedankte sich und kündigte an, sich in den nächsten Tagen erneut zu melden. Dann machte er sich daran, Mommsen wegen der Ergebnisse der Obduktion zu befragen. Der war allerdings nicht erreichbar und seine Mitarbeiterin bat Sedlmeyer, am frühen Nachmittag nochmal anzurufen. Noch zwanzig Minuten bis zur Besprechung. Sedlmeyer erwog, sich noch schnell den Kopfhörer aufzusetzen und ein oder zwei Songs aus seiner MP3-Sammlung anzuhören, die er vor einiger Zeit vorsorglich und vorschriftswidrig auf seinem Dienst-Rechner installiert hatte – „die for metal“ von Manowar wäre jetzt nicht schlecht gewesen oder „seek and destroy“ von Metallica –, da hörte er plötzlich ein Klopfen an seiner geöffneten Türe. Im Türrahmen stand Dr. Widenmayer aus der Chefetage. Er war groß, Anfang sechzig und gut gekleidet. Sein schwarzer Anzug sah teuer aus und unter der Weste blitzte eine Krawatte mit bayerisch weiß-blauem Rautenmuster hervor. Er sah Sedlmeyer über den Rand seiner schmalen Brille an und begrüßte ihn:

„Morgen Herr Sedlmeyer. Ich hoffe Ihr Handy hat mittlerweile wieder Strom?“ Sedlmeyer war sich nicht sicher, ob jetzt ein schlechtes Gewissen von ihm erwartet wurde.

„Herr Dr. Widenmayer! Tut mir leid wegen des Handy's. Es ist mittlerweile wieder voll und ganz aufgeladen.“ Dabei grinste er ihn bübisch an. Widenmayer trat ein und antwortete:

„Ich muss gleich weiter, Sedlmeyer, und ich wollte Sie bitten, heute Nachmittag mal bei mir vorbei zu kommen, es gibt ein paar Dinge, die ich Ihnen ausführlicher erklären möchte. Kurz nur soviel: ein Grund für die Tatsache, dass Sie gerade Jakubinski beerbt haben ist folgender. Es hat am vergangenen Freitag möglicherweise eine weitere Entführung gegeben, die eventuell mit dem gestrigen Leichenfund in Zusammenhang steht.“ Sedlmeyer klappte die Kinnlade herunter. Widenmayer sah kurz auf seine Armbanduhr, dann fuhr er fort:

„Ich wollte Sie nur wissen lassen, dass die Zeit extrem drängt, das werden Sie ja verstehen. Die nötigen Informationen zu dieser mutmaßlichen neuen Entführung wird Ihnen meine Sekretärin in ein paar Minuten zukommen lassen. Alles weitere besprechen wir dann heute Nachmittag in meinem Büro. Sagen wir um dreizehn Uhr dreissig?“ Sedlmeyer sah ihn einen Moment lang an, noch immer perplex. Dann fasste er sich wieder und antwortete, während er einen Stapel Blätter auf seinem Schreibtisch bündig klopfte:

„Alles klar. Halb zwei heute nachmittag.“ Widenmayer hob kurz die Hand zum Gruß, dann eilte er schnellen Schrittes davon.

Aus dieser Richtung wehte also der Wind. Ihr Entführer war im Begriff, sich in einen Serientäter zu verwandeln, der Erfolgsdruck wuchs und Widenmayer brauchte ein neues Gesicht bei den Ermittlungen. Das konnte nichts gutes heißen. Zum einen würden ab jetzt ziemlich viele Augen auf ihn und sein Team gerichtet sein und Erfolge sehen wollen. Und zum anderen war Widenmayer's Ermahnung was den Zeitdruck anbelangte mehr als berechtigt. Es würden ein paar ziemlich anstrengende Tage werden. Zerstreut suchte er seinen Locher um die Blätter abzuheften, die er gerade bearbeitet hatte, da bemerkte er Jutta, die grinsend im Türrahmen stand.

„Was?“ rief er ihr zu.

„Na Sedi, hast du gerade den Popo versohlt bekommen?“ Sie beugte sich leicht vor und klopfte sich demonstrativ selber auf den Hintern.

„Nein, im Gegenteil – ich bin soeben zum Herrscher des Universums ernannt worden und mein Zorn wird fürchterlich sein, besonders auf dich!“ Dabei haute er geräuschvoll auf den Locher, in den er in der Zwischenzeit seine Blätter geschoben hatte. Jutta grinste noch ein wenig breiter, dann fasste sie sich wieder und sagte mit ernster Mine:

„Ich hab gerade Fotomaterial von der KT bekommen, das hab ich für alle kopiert. Wollt ich dir nur sagen. Dann mach ich mal eben 'n büschen Kaffee für alle. Bis gleich!“

Zehn Minuten später saßen sie alle vier im Konferenzraum um einen rechteckigen Tisch versammelt, Sedlmeyer an der Stirnseite. Jeder hatte einen Stoß Kopien vor sich liegen, Funke zusätzlich einen Schreibblock. Jutta teilte gerade die Kaffeetassen aus, während Sedlmeyer die Besprechung eröffnete:

„Also Leute passt auf, es gibt Neuigkeiten...“ Jutta stellte ihm seine Tasse vor die Nase, machte ein unschuldiges Gesicht und murmelte vor sich hin:

„...Leute passt mal auf, denn ich muss euch jetzt was sagen, also setzt euch hin, schnallt euch an und stellt mir keine Fragen...“ Sedlmeyer sah sie fassungslos an. Dann runzelte er die Stirn und sagte:

„Hä? Spinnst du jetzt, Jutta, was soll das denn bitte?“ Sie grinste keck und antwortete:

„Ooch nichts, nichts. Ist nur ein Songtext von den Fantastischen Vier, ist mir gerade so eingefallen...“

„Wenn du weiter so einen Blödsinn machst, Jutta Hemmers, lass ich dich in eine Arrestzelle sperren! Ich hätte das schon längst getan, wenn ich dich nicht so dringend brauchen würde!“ Er machte ein finsteres Gesicht, was ihn zugegebenermaßen einige Anstrengung kostete und sah in die Runde um sich der ungeteilten Aufmerksamkeit aller zu vergewissern. Dann fuhr er fort:

„Also, es gibt eine sehr wichtige Neuigkeit. Wir haben vermutlich eine zweite Entführung.“ Das verfehlte seine Wirkung nicht. Juttas ausufernde Fröhlichkeit wich augenblicklich professioneller Aufmerksamkeit und die beiden anderen sahen ihn gespannt an. Funke notierte etwas auf seinem Block. Sedlmeyer fuhr fort:

„Das ganze riecht, so wie's aussieht, nach einer ziemlich harten Nummer. Ich vermute mal, dass wir aus politischen Gründen da drin hängen, genaueres erfahre ich heute Nachmittag vom Widenmayer. Jedenfalls werden wir ziemlichen Druck bekommen. Zeitdruck einerseits, denn wir haben eine Entführung aufzuklären, die möglicherweise vom selben Täter begangen worden ist, der auch das andere Opfer auf dem Kerbholz hat. Und damit ist nicht zu spaßen, darf ich euch daran erinnern! Und dann werden ein paar Herrschaften ganz oben uns im Genick sitzen und Resultate haben wollen. Stellt euch also auf ein paar ziemlich stressige Tage ein!“ Er ließ seine Ansprache kurz wirken, nahm einen Schluck Kaffee und fuhr fort:

„Ich fass mal kurz zusammen, was wir bisher haben. Jutta und ich sind gestern zum Fundort gefahren und haben uns einen Überblick verschafft. Wir haben eine Wasserleiche, und zwar eine ziemlich gruselige. Wenn ihr mal einen Blick auf die Fotos werft, werdet ihr sehen, was ich meine.“ Funke und Baumgartner blätterten in ihrem Stapel Kopien, Jutta hob den ihren halbherzig hoch und legte ihn dann schnell wieder weg. Funke wirkte dabei ein wenig aktionistisch und überdreht, während Baumgartner ein kleines bisschen blass um die Nase wurde. Sedlmeyer fuhr fort:

„Die Kriminaltechnik konnte uns wenig Mut machen; laut deren Aussage sind kaum verwertbare Spuren zu erwarten. Sie haben zwei Schmuckstücke bei der Leiche sichergestellt, aber ob uns die groß weiterhelfen, wage ich zu bezweifeln.“ Funke schrieb emsig mit und Baumgartner hörte interessiert zu.

„Im Moment ist Mommsen gefragt, der macht gerade seine Untersuchungen. Was wir dabei gestern mitbekommen haben, ist allerdings ziemlich interessant: Die Tote hat offenbar Druckstellen am Hals, was meiner Meinung nach auf Erwürgen hindeutet. Furchtbar genug, aber nicht unbedingt ungewöhnlich. Aber jetzt kommt's: sie hatte ein paar seltsame Verletzungen am Oberkörper; ein paar davon sind Bissspuren von Fischen, aber es gibt noch etwas anderes, nämlich Einschnitte von einem Skalpell oder etwas ähnlichem.“ Baumgartner sah ihn nachdenklich an und nahm einen Schluck Kaffee. Sedlmeyer stand auf und begann, am Kopfende des Tisches auf und ab zu gehen, während er weiter sprach:

„Und aus einem dieser Einschnitte hat Mommsen dann ein winziges Stückchen herausgeholt, irgend ein Ding, das seiner Meinung nach absichtlich dort platziert worden sein muss!“

„Wissen wir schon, was das Ding ist?“ fragte Funke.

„Dat weet Gott und Peter Otzen“, antwortete Jutta, „er muss es erst mal in sein Labor schicken. Es ist jedenfalls ziemlich klein und dunkelbraun.“

„Das ist die eine seltsame Besonderheit“, fuhr Sedlmeyer fort, „die andere ist noch kurioser: laut Mommsen hatte unser Opfer eine Art Entzündung, die die Beine und Teile des Unterbauches betrifft.“

„Er weiß allerdings nicht, wie alt die ist“, präzisierte Jutta, „daher sollten wir bei den Angehörigen nachfragen, ob denen etwas in der Art bekannt war. Es könnte ja sein, dass die Entzündung nach der Entführung entstanden ist, dann haben wir ordentlich was zu knobeln.“

„Chef, eine Frage...“ sagte Funke, dann schrieb er ein paar Worte auf seinen Block und fuhr fort, „...können wir mit Sicherheit sagen, dass die Leiche von gestern identisch ist mit der vermissten Schülerin?“

„Ziemlich,“ antwortete Sedlmeyer, „jedenfalls was mein Gefühl anbelangt. Wir sollten eine Identifikation mit den Angehörigen vereinbaren, das wäre unser erster Schritt. Die wird allerdings der Schlag treffen, wenn sie die Leiche zu Gesicht bekommen. Vielleicht sollten wir besser erst mal mit einem DNA-Test vorlieb nehmen. Ich werde sowieso heute Nachmittag nochmal mit Mommsen...“

Er wurde unterbrochen durch ein kurzes Klopfen und alle sahen zur Tür. Die öffnete sich und eine junge Frau trat ein. Sie hatte ein unglaublich hübsches Gesicht, umrahmt von einer modischen brünetten Kurzhaarfrisur und trug einen engen schwarzen Rock und eine weiße Bluse. Trotz ihrer geschäftsmäßig etwas biederen Kleidung sah sie spektakulär gut aus. Funke beobachtete sie verstohlen aber erkennbar gierig aus den Augenwinkeln. Sandra Ortiz, Widenmayer's Sekretärin. Immer mal wieder kursierten die wildesten Gerüchte, was sie und ihren Chef anbelangte; sie habe den Job in erster Linie ihrem Aussehen zu verdanken, Widenmayer sei ein geiler alter Bock und stelle sonstwas mit ihr an, seine Frau sei im Bilde, die Scheidung stehe kurz bevor und soweiter und soweiter. Das übliche Getuschel, zu neunzig Prozent aus dem Neid männlicher und der Missgunst weiblicher Kollegen geboren. Sedlmeyer persönlich fand das ganze nervtötend und glaubte kein Wort davon; in seinen Augen war sie sehr nett und kompetent.

„Hallo Herr Sedlmeyer“, sagte sie und lächelte ihn charmant an, „Herr Dr. Widenmayer bat mich, Ihnen dies hier vorbei zu bringen.“ Dabei legte sie einen dünnen Stapel Papier vor ihm auf den Tisch. „Er lässt Ihnen ausrichten, dass er Sie dann um dreizehn Uhr dreissig erwartet.“ Damit schwebte sie davon und zog leise die Tür hinter sich zu. Ein kurzer Moment des Schweigens folgte, wie er immer eintritt, wenn eine über die Maßen schöne Frau einen Raum mit ihrer unwiderstehlichen Aura erfüllt und ihn dann wieder verlässt. Sedlmeyer fing sich als erster. Er nahm den Stapel Papier und fing an, ihn halblaut zu überfliegen:

„...Vermisstenanzeige... Freitag Abend, 19 Uhr irgendwas... fünfzehnjährige Schülerin Jasmin... wohnhaft in Allach... Eltern Karin und Gianfranco Alberici, geschieden... protokolliert... bla bla bla...“ Er klopfte die Blätter auf den Tisch, sah in die Runde und sagte:

„Meine Damen und Herren, hier haben wir unsere zweite Entführung.“

Der Gärtner war der Mörder

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