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I. Wenn der Behandelnde zum Behandelten wird

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Der „kranke Arzt“ ist ein schwieriges und in der Literatur kaum bearbeitetes Thema. Wenige Autoren, davon meistens Ärzte, haben darüber berichtet, was es heißt, Patient zu sein10.

Ärzte sind von einer Aura unverletzlicher Stärke umgeben. Man erwartet, dass sie eine unerschütterliche Gesundheit besitzen3. Wir Ärzte aber sind ebenso verwundbar wie alle anderen Menschen auch. Unser Doktortitel macht uns keineswegs immun gegen irgendeine Krankheit von Körper und Seele13. Die Ärztekrankheit der Gegenwart ist das Burnout-Syndrom, eine schwere berufsbezogene Erschöpfung3.

Die betreffende Ärztin oder der betreffende Arzt müssen eigenverantwortlich für sich sorgen, denn schon im neuen Testament heißt es: „Arzt, hilf Dir selbst!“ (Luc. 4, 23)3

„Aber mit dem Wissen wächst der Zweifel“ (Goethe), denn wer Einsicht in diese Dinge hat, erkennt, dass die Objektivität einer Selbstdiagnose und die eines selbst erstellten Therapieplanes sehr zweifelhaft3 sein kann.

Diese Objektivität und kompetente Autorität, die gegenüber Fremden erforderlich sind, können schon bei Angehörigen und Freunden schwer durchsetzbar sein. Deshalb lehnen auch viele Ärzte die Behandlung dieses Personenkreises ab3.

Umso schwerer ist es für den Arzt, sich selbst als Patient anzunehmen. Da die Fachkenntnisse des kranken Arztes es ihm erlauben, die bedrohlichen Folgen einer Krankheit deutlich vorauszusehen, ist es sinnvoll, sich vertrauensvoll der festen Führung eines kompetenten Kollegen anzuvertrauen. Doch auch bei der Konsultation desselben können sich Probleme3 ergeben.

Thomas Ripke11/12 (1943-2001), der als Arzt für Allgemeinmedizin sein eigenes Kranksein im Internet bis kurz vor seinem Tod dokumentiert hat, berichtet darüber3: Häufig, so Ripke, wählt der erkrankte Arzt einen befreundeten Kollegen, oder einen, den er aus der fachlichen Zusammenarbeit als kompetent kennt. Diesem Arzt erzählt er seine Geschichte, und vermutlich tut er dies dissimulierend, verharmlosend und bagatellisierend, als ob er über einen gemeinsamen Patienten reden würde. Der behandelnde Arzt steht jetzt unter großer Gefahr, seinerseits mit Bagatellisierung und diagnostisch-therapeutischer Vernachlässigung zu reagieren3/11/12.

Es kann jedoch auch umgekehrt sein: Der privilegierte Patient, der kranke Kollege, wird überdiagnostiziert (Darmspiegelung bei Darmgrippe) und übertherapiert. Er leidet dann vielleicht bald mehr an den medizinischen Maßnahmen als an der ursprünglichen Krankheit3, 11, 12.

Zu diesen Problemen fand am 24./25. Mai 2001 auf Initiative von Dr. Thomas Ripke ein erster bundesweiter Workshop in Heidelberg und ein zweiter vom 03. bis 05. Oktober 2003 in Gütersloh statt.

Im Jahr 2001 charakterisierte Dr. Mäulen10 den „kranken Arzt“ treffend. Er sagte, dass ein Arzt auf die eigene Krankheit schlecht vorbereitet ist, die Patientenrolle nur schwer annehmen kann, immer genau informiert werden und über Diagnose und Therapie mitentscheiden will. Das wiederum setzt den Behandelnden unter Druck, sodass dieser sich schnell brüskiert fühlt. Weiterhin meint Dr. Mäulen10, dass der „kranke Arzt“ einen schnelleren Zugang zu Spezialisten bekommt, sein Leiden im eigenen Krankenhaus oder Wohnort ebenso zügig bekannt wird, und dass er sich Sorgen um seine Praxis, seinen Arbeitsplatz und seine finanzielle Situation macht. Die Einnahmen gehen zurück, es entstehen Stress und Druck nicht nur für ihn, sondern auch für die Angehörigen.

Viele arbeiten im Beruf weiter und entwickeln aus ihrer Krankheit neue Ansätze, beispielsweise Selbsthilfegruppen. Manche nutzen mitunter zusätzlich alternative Therapien, modifizieren ihren Arbeits- und Lebensstil und festigen ihre Beziehung zum Partner; oder es kommt gar zur Trennung, je nachdem, wie und ob er vom Partner und den Angehörigen unterstützt wird. Kriselt es vor der Krankheit in der Ehe, kommt es durch die neue Belastung zu weiterer Distanzierung. Fazit: Der „kranke Arzt“ zieht seine Lebensbilanz und geht die Veränderungen an10.

In Alfred Grotjahns Buch „Ärzte als Patienten“5 findet er vor allem die Gelassenheit bemerkenswert, mit welcher der ärztliche Patient dem Tod entgegensieht – eine Eigentümlichkeit des Arztes, die sich auch in anderen Fällen nachweisen lässt3. Dieses Buch schrieb Grotjahn5 1929, und noch achtzig Jahre später wird seine Meinung nebst anderen durch Thomas Ripke (Dokumentation seiner Krankheit im Internet bis dessen Tod) bestätigt11/12.

Ein Arzt als Patient

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