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Preis-Aufbruch
ОглавлениеWenn wir im Morgengrauen von der Straße her ein dunkles Grollen und Rollen hören, unsere ungeschulten Ohren mag es an Panzerkettenrasseln gemahnen, und zum Fenster hinaus schauen, sehen wir: Es sind unsere jungen Dichter! Sie sind mit schweren Rollenkoffern unterwegs und brechen auf zu neuen Ufern. Da sie sich ein Taxi nicht leisten können oder wollen, ziehen sie ihre Habe hinter sich her. Sie haben sicher gerade einen der beliebten »Reisepreise« gewonnen, von denen es inzwischen ein paar Dutzend gibt, und sind eben auf dem Weg zu einer hübschen Ostseeinsel, als Stadtschreiber in ein mittelalterliches Turmzimmer oder sie landen unversehens in der Villa Aurora, nahe L. A. Auch am Starnberger See gibt es bekanntlich eine hübsche alte Villa und in Rom deren gleich zwei, in denen wohl Musen die Künstler küssen, wenn nicht gerade Ansteckung durch das C-Virus droht.
Der Rollenkoffer als solcher wäre ja schon eine eingehende Betrachtung wert, anno 1972 patentiert, aber erst seit den Neunzigern pandemisch verbreitet und inzwischen längst ein unverzichtbares Mitglied unserer Gesellschaft, das man sich aus Zugabteilen und von Flughafen-Gepäckbändern nicht mehr wegdenken mag.
Aber zurück zu unseren Dichtern, die von einer Preisverleihung zur nächsten rollen. Oft schon schwer behängt mit früheren Preisen wie Admiräle der alten Sowjetflotte. Etwa Dana von Suffrin, eine junge Münchner Erfolgsautorin, die mit dem erstaunlichen Erstling »Otto« schon diverse Preise geerntet hatte, ehe sie bei den Münchner »Wortspielen« im März immerhin auch noch den ersten Abend-Publikumspreis gewann: ein Digital-Radio. Okay, sie hatte Glück, denn der Jury-Hauptpreis von 2.000 Euro ist trojanisch garniert mit einer Danaer-Strafexpedition nach Peking, ersonnen vom überaus spendablen Goethe-Institut. In jene Hauptstadt einer kommunistischen Diktatur also, die von Smog und neuartigem C-Virus eingefangen ist. Alexandra Riedel aus Berlin, Siegerin mit dem Debütroman »Sonne, Mond, Zinn«, darf dafür jetzt den Koffer packen, auch wenn sie sich das Frühjahr vielleicht anders vorgestellt hatte.
In manchen Fällen geht’s aber auch hinaus ins Freie: Wer etwa den Meck-Pomm-Preis gewinnt, der darf für viele Wochen nach Alshoop ziehen auf jene wunderbare Halbinselkette Fischland-Darß-Zingst in der Ostsee, wo man schon immer mal hin wollte, und wo sie sicher begeistert sind, wenn endlich ein Künstler aus dem Süden kommt. Auf Antrag schickt einen Schreibartisten der bayerische Kultusminister aber auch hinüber nach Quebec, vorausgesetzt, sein Wohnsitz ist in Bayern, denn auch dort, im französischen Kanada, wartet eine wunderschöne alte Villa auf Belebung durch einen dichtenden Bayern. Und so muss man sie sich alle sitzend vorstellen, unsere Autorinnen und Autoren, auf Koffern, wartend auf die nächste Message, mit Rollen vermutlich, die grünes Licht gibt, zum Aufbruch.
April 2020