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Promischau bei Settembrini
Оглавление23. April. Welttag des Buches. Anna K., etwas blass noch, der finstere Rodion Raskolnikow und Murau sitzen zusammen beim Cappuccino in der Ewigen Stadt. Settembrini hat geladen, ins Café Greco Antico, kurzfristig angereist aus Davos. Gambetti holt eben noch illustre Gäste von der Stazione Termini – den Prinzen von Dänemark etwa und einen schlanken Herrn aus der Mancha, der zusammen mit Robert Jordan anreisen wollte aus Spanien, noch blutverschmiert, möglicherweise. Letzteren wollte der Gastgeber nicht unbedingt dabei haben, weil er fürchtet, dass der ihn als Weichei verachtet wegen dieses Duells mit Naphta. Wie auch immer, die ersten Korken knallen schon, Murau hält nervös Ausschau nach der Bovary und bereut insgeheim, Schloss Wolfsegg verschenkt zu haben. Die Immobilienpreise sind enorm gestiegen, die Karenina möchte endlich ihren Sohn sehen, aber Settembrini hat zu viel versprochen, wieder mal. Wie jedes Jahr treffen sie sich hier, um Shakespeares Todestag zu begehen, um Cervantes zu gedenken, und auf das Leben des Buchs schlechthin anzustoßen. Aber es wird nicht einfacher. Wie bei echten Klassentreffen gehen sich einige auf die Nerven. K. findet gar nicht erst den Eingang ins Kaffeehaus und irrt vor den Fenstern herum. Die Karenina will ihm endlich helfen. Aber Emma lehnt entschieden ab – sie hält nichts von dem »neurotischen Landvermesser«. Gambetti wäre ihr schon lieber. Aber Murau widerspricht heftig. Doch bevor er zu einem seiner gefürchteten Langsätze ausholen kann, schneidet Ludovico Settembrini ihm das Wort ab und meint, dass man Österreich nun endlich aufs Maul schlagen müsse, worin ihm Murau sicher zustimmen wolle – doch ehe der Diskurs ins Politische kippt, betreten die hohen Herren aus Spanien und Dänemark den Raum, zusammen mit dem schüchternen Gambetti. Emma fliegt zu Muraus Überraschung sogleich Hamlet an die Brust, der (inzwischen) reifere Damen schätzt. Settembrini stellt erleichtert fest, dass Jordan sich direkt in die USA eingeschifft hat, und hebt das Glas, um, wie er sagt, eine kleine improvisierte Rede auf das echte Buch aus Papier zu halten – nicht etwa das mit elektrischen Impulsen. Er beginnt mit der Geschichte, als er neulich in der Bahn saß und ein älterer Herr ihm gegenüber versuchte, im E-Book zu lesen. Er hatte eine verteufelte Ähnlichkeit mit Moses Herzog aus Chikago und war verzweifelt, weil der Akku leer war. Kein Saft mehr!! Ob er nicht ein Ladegerät für ihn habe, soll er Settembrini gefragt haben – ausgerechnet! Dieser reicht ihm wortlos die neue Übersetzung von »Schuld und Sühne« – es ist Welttag des Buches, auf Ihr Wohl, schenken wir uns mal wieder was Echtes!
April 2012