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Anruf um zehn

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Sie haben auch dieses Jahr nicht den Anruf aus Stockholm bekommen, etwa am 9. Oktober vormittags gegen zehn? Ein Mann, meist heißt er Engholm, Ekström oder ähnlich, der sehr charmant gebrochen Deutsch spricht und Ihre IBAN, BIC und Swift verlangt zwecks Überweisung eines Betrags von, sagen wir mal, läppischen 870.000 Euro und droht mit der Übergabe des Literaturnobelpreises?

Meist klingelt es gegen zehn Uhr MEZ, wie gesagt, was auch erklärt, dass US-amerikanische Preisträger regelmäßig erzählen, was sie weit nach Mitternacht an Spannung und Überraschung Tolles erlebt haben, während z. B. »unser« (das dürfen wir doch sagen, Günter, oder?) GG »dem Vernehmen nach« gerade im entscheidenden Moment beim Zahnarzt unter dem Bohrer gelegen haben soll, einer, nun ja, Krone wegen! Und, typisch auch, der Ire Samuel Beckett ganz cool auf Safari weilte in Libyscher Wüste, heute undenkbar, ganz unerreichbar.

»Dem Vernehmen nach«, während es früher noch hieß »aus gewöhnlich gut unterrichteten Kreisen«, müsste es jetzt wohl heißen »aus Internet-Quellen«, denn daraus sprudelt doch all der Nobel-Tratsch, den Journalisten so gern verbreiten. Den wir so liebend gern lesen!

Aber zurück zu Nobel. Am 10. Dezember pflegt das Ganze in einem Stockholmer Bankett zu kulminieren, in der kältesten und finstersten Zeit des Jahres, und man munkelt ja auch, dass diese dunkle Verleihung für den Geehrten den künstlerischen Todeskuss bedeutet. Denn nur sehr selten war einer von ihnen danach noch wahrhaft produktiv – Thomas Mann ausgenommen, der ja nach dem Gewinn sogar ein zweites Mal nominiert worden sein soll! Womit wir endlich beim Nobel-Tratsch angelangt wären. Dieser wird durch »Protokolle« gefüttert, die jeweils fünfzig Jahre nach der entscheidenden Sitzung des Nobelkomitees veröffentlicht werden. Nur so erfahren wir, wer haarscharf an der Plakette vorbeigeschrammt ist – Graham Green etwa, die Blixen, oder, jaja, Hans Carossa, unser Mann aus Niederbayern (fünf Mal nominiert, nie gewonnen!).

Der Nobel-Gossip lässt sich grob einteilen in den Externen und den Internen. Dieser ist der Interessantere, weil er jene Blähungen aus dem Magen-Darm-Trakt der »Akademie« auffängt, nach denen wir uns doch so sehnen. Wer wurde warum und wie oft abgelehnt? Wer hat wen überhaupt vorgeschlagen, und wieso wurde der »Zauberberg« verworfen, und weshalb konnten die Franzosen mit Patrick Modiano die Deutsch-Sprachler übertreffen, und: Warum geht denen da oben eigentlich nie das Geld aus? Hinter der Hand geflüstert: Es sollen über zwei Milliarden Kronen auf den Konten liegen – Schwedenkronen allerdings, nicht diese anderen. Mit Zahn. Siehe G. Grass. Es bleibt also noch Hoffnung bis zum Anruf um zehn im nächsten Oktober. An den Finanzen wird nicht scheitern!

Dezember 2014

SPOTTLICHTER

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