Читать книгу Ionien – Brücke zum Orient - Wolfram Hoepfner - Страница 7
Vorwort
ОглавлениеJohann Gustav Droysen nannte 1833 Ionien das „schönste Drittel Griechenlands“. Zwar hatte der Historiker Griechenland nicht selber gesehen, aber die antiken Quellen sind eindeutig. So nennt Thukydides die ionischen Städte die reichsten Griechenlands, und Herodot preist das Klima in diesem mittleren Abschnitt der Westküste Kleinasiens. Der Philosoph Hekataios von Milet hielt Ionien sogar für die Mitte der Erdscheibe, um die sich die Oikoumene anordnet. Dass er damit nicht so ganz Unrecht hatte, soll in diesem Buch gezeigt werden: Das kleinasiatische Ionien war eine Drehscheibe, ein Land der Vermittlung. Es bildete eine Brücke, über die das Wissen der alten orientalischen Hochkulturen nach Griechenland kommen und dort die kulturelle und zivilisatorische Entwicklung beflügeln konnte. Mit erstaunlicher Offenheit haben Griechen sich dieses Wissen angeeignet und für ihre Zwecke nutzbar gemacht. Die zerklüftete Küste im Westen Kleinasiens zwang die Bewohner dazu, Schiffe zu bauen und das Meer zu befahren. Aus dem Bündnis mit Poseidon erwuchs eine fruchtbare Neugier. Und mit Hermes im Boot fuhren die Ionier schon im 8. Jahrhundert v. Chr. bis nach Spanien und gründeten wenig später Pflanzstädte in Ägypten.
Umgeben von Flächenstaaten mit pyramidalem Aufbau der Gesellschaft oder sogar von Theokratien wie Ägypten, schufen die Griechen das Wunder des , einer Öffentlichkeit, die auf der Versammlung und Beratung der Bürger basiert. Schon Homer nennt dies eine Eigenart, die es bei den Barbaren nicht gab. Sehr viel später hat sich Perikles in seiner berühmtesten Rede genau in diesem Sinn geäußert und dabei vehement auf die Isonomia (Demokratie) hingewiesen. So gesehen, war der Partikularismus, der solche gesellschaftlichen Entwicklungen förderte oder sogar erst ermöglichte, ein Vorteil – wenngleich diese Zersplitterung Griechenlands in kleinteilige Staaten zwangsläufig zahlreiche Fehden unter Nachbarn mit sich brachte.
Einzigartig für eine antike Landschaft im östlichen Mittelmeer waren in Ionien drei große und schiffbare Flüsse. Ihre Kraft hat zur Veränderung der Küstenlandschaft geführt. Denn drei früher weit in das Land greifende Buchten sind schon in der Antike verlandet. Dieser Prozess, der hier auf Karten dargestellt wird, lief schneller ab als allgemein angenommen und beeinflusste die Entwicklung fast aller ionischen Städte. Es geht also in diesem Buch vor allem um topographische Fragen, um Siedlungen und um die Entwicklung der Städte des Ionischen Bundes, zu dem sich erst zwölf, dann dreizehn Stadtstaaten zusammengeschlossen hatten. Die hier von den zentralen Orten vorgelegten Pläne und Rekonstruktionen sind neu. Eine wichtige Grundlage ist ein in der Staatsbibliothek Berlin liegender Satz Karten, die noch von sowjetischen Fachleuten nach Bildern von Satelliten gezeichnet worden sind. Obwohl für unsere Zwecke stark vergrößert, sind sie doch erstaunlich genau, so dass auf die Höhenlinien Verlass ist. Den Plänen ist auch die Ungleichheit der Poleis abzulesen. Ephesos blieb über tausend Jahre Handelszentrum und Kunstmetropole, Milet, Samos und Chios verloren an Bedeutung, das neue Smyrna erfreute sich spät der Gunst der Herrscher. Lebedos und Myus sind, gemessen an Ausstrahlung und Bedeutung, die Schlusslichter unter den Städten im östlichen Ionien.
Das östliche Ionien umfasste den mittleren Bereich der Westküste Kleinasiens und die vorgelagerten Inseln. Nach den Verträgen von 1962, in denen die Grenzen zwischen der Türkischen Republik und der Republik Griechenland festgelegt wurden, ist das Festland des alten Ionien türkisch, und die beiden großen ionischen Inseln gehören zu Griechenland. Glücklicherweise sind die Grenzen heute durchlässig, und Interessierte können ohne Schwierigkeit das ganze alte Ionien bereisen. Eine erst seit wenigen Jahren existierende Asphaltstraße an der Küste des Festlandes verfälscht zwar den ursprünglichen Eindruck, erlaubt es aber, die alten ionischen Städte Samos, Milet, Myus, Priene, Ephesos, Kolophon mit Notion, Lebedos, Teos, Chios, Klazomenai, Erythrai, Smyrna und Phokaia in wenigen Tagen zu bereisen. Beiderseits der Straße werden viele Bausünden neuer Zeit sichtbar, und man fragt sich, ob diese Landschaft Ionien, die zu den schönsten auf unserem Planeten zählt, nicht einen besseren Schutz verdient. Noch ist abseits der Touristenwege die ursprüngliche Schönheit des Landes zu finden.
Obwohl die Erforschung Ioniens weit in das 18. Jahrhundert zurückreicht und längst alle Orte der 13 griechischen Staaten bekannt sind, obwohl die Erforschung einzelner Städte wie Milet oder Ephesos schon vor hundert Jahren mit Theodor Wiegand und später mit Ekrem Akurgal eine nie wieder erreichte Intensität gewann, liegt bis heute keine zusammenfassende Studie über die Städte Ioniens vor. Hier wird versucht, diese Lücke zu füllen.
Das Vorhaben, alle 13 Städte des Ionischen Bundes in einer topographischen Studie zu behandeln, geht auf eine Anregung meines Freundes und Kollegen Wolf-Dieter Heilmeyer zurück. Zu danken habe ich vor allem Konstantinos Tsakos, dem besten Kenner der Topographie von Samos, der meiner Bitte folgte und eine Entwicklungsgeschichte der Stadt zu Papier brachte. Frank Rumscheid danke ich für den sehr nützlichen Hinweis auf die oben erwähnten Karten. Mit Lauri Lehmann diskutierte ich Inschriften, und ihm verdanke ich die Durchsicht und Korrektur der griechischen Zitate. Dem Britischen Museum London danke ich für die Erlaubnis, die von mir in den Museen aufgenommenen Fotografien hier publizieren zu dürfen.