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Die Nase als Spitze eines Eisbergs
ОглавлениеNasen sind immer schwierig. Dieser Körperteil ist einer der heikelsten. Nasen sind oft die Spitze eines Eisbergs aus psychischen Problemen. Nasenpatienten gelten deshalb als die schwierigsten, was Studien regelmäßig belegen. Im ungünstigsten Fall leiden sie an einer Dysmorphophobie. Das ist eine Störung, auf die ich später noch näher eingehe, bei der Menschen einen pathologischen Konflikt mit ihrem gesamten Äußeren auszutragen haben.
Speziell junge Männer, deren Nase keine Fehler hat, leiden häufig unter deren vermeintlicher Unzumutbarkeit. Das kann richtig krass werden. Die häufigsten Morde an Schönheitschirurgen verüben unzufriedene junge männliche Nasenpatienten. Sagt zumindest die Statistik.
Abgesehen von solchen Auswüchsen ist die Verzweiflung von Nasenpatienten verständlich. Denn sie tragen ihr Problem meist schon lange vor sich her, oft seit ihrer Kindheit. Sie neigen zu Kommunikationsproblemen, weil sie sich schon ebenso lange für ihre Nase schämen.
Viele entwickeln Vermeidungsstrategien und wenden viel Energie dafür auf, sich nur von vorne und nur im Notfall im Profil zu zeigen. Dabei fühlen sie sich ständig beobachtet. Ein unangenehmer Zustand, der sich tatsächlich in vielen Fällen nach einer Operation bessert.
Ich ließ mir Zeit und betrachtete Aurelies Nase. Sie war auffällig, aber bestimmt keine, die bei Selfies im Internet gleich Shitstorms hervorrufen.
Es gibt sie, diese Nasen, die den restlichen Auftritt eines Menschen dominieren. Doch genau wie schon bei Raphaëls angeborener Nase hätte ich jetzt auch die von Aurelie eher als interessant angesehen, als Charakternase, als eine besondere Nase, die für Persönlichkeit steht.
»Gefällt Ihnen die neue Nase Ihres Bruders so gut oder Ihre eigene so wenig?«
Sie lächelte »Eigentlich wollte ich meine Nase damals gleichzeitig mit ihm machen lassen«, sagte sie. »Dann dachte ich, ich warte erst mal ab und sehe, wie das ist.«
Das passte zu meiner ersten Einschätzung von Aurelie. Sie war keine, die voranstürmte, auch nicht zu zweit. Sie war eher eine Windschattenfahrerin, klug und, wie viele kluge Menschen, eher vorsichtig.
»Wie ist das genau mit Ihrer Nase?«, fragte ich. »Haben in Ihrer Familie auch andere so eine?«
»Väterlicherseits.« Sie nickte. »Da gibt es einige.«
»Und Ihr Vater selbst?«
»Der hat auch so eine.«