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Der irrationale Wunsch nach Veränderung

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Birgit Schwarz hatte sich leicht nach vorn gebeugt. Ihre Haltung war angespannt. Mein unbestimmtes Gefühl, dass da etwas nicht passte, wurde immer bestimmter.

Dieses Gefühl, nennen wir es Intuition oder meinetwegen Empathie. Es ist für Ärzte, die einen Menschen gleichsam zu dessen eigener Wunschversion modellieren sollen, ebenso wichtig wie für jene, die ihn von Krankheiten heilen sollen.

Früher habe ich den wissenschaftlichen Zugang zum Innenleben meiner Patienten gesucht. Ich habe sie, nach entsprechenden Fortbildungen, mit Techniken des Neurolinguistischen Programmierens zu verstehen versucht, also auf komplexere Weise. Heute weiß ich, dass die Fähigkeit zu diesem unbestimmten Gefühl entweder natürlich vorhanden ist oder nicht. Genau genommen ist es gar kein Gefühl. Es ist eher eine Art des Mitfühlens mit einem anderen Menschen.

Ich erlebe das auch bei meinen Schülern immer wieder. Wenn ich ihnen zu erklären versuche, wie dieses Mitfühlen geht, verstehen es die einen sofort und die anderen nie. Dabei ist es so simpel. Ein Arzt muss fähig sein, seine Patienten zu lieben, zumindest in dem Moment, in dem sie ihm gegenübersitzen und ihm ihre Situation, ihre Befürchtungen und ihre Hoffnungen erklären.

Nun wollte ich wissen, was Birgit Schwarz wirklich zu ihrem Besuch in meiner Klinik bewogen hatte. Schließlich kommen die wenigsten Patienten, weil sie pragmatisch und nach reiflich durchdachter Entscheidung ihr Leben und ihr Selbstwertgefühl durch eine nachhaltige Veränderung ihres Äußeren verbessern wollen.

Manchmal führen sie berufliche Probleme zu mir. Jemand hat das Gefühl, am Arbeitsplatz nicht wertgeschätzt, vielleicht sogar ignoriert oder ausgegrenzt zu werden. Viele fühlen sich dem Druck der nachdrängenden Generationen nicht mehr gewachsen. Insbesondere, wenn sie in Branchen wie der Werbung arbeiten, wo der Druck, jugendlich zu wirken, besonders hoch ist. Andere haben den Job verloren, finden keinen neuen und sind sicher, dass es daran liegt, dass sie keine dreißig mehr sind und auch nicht so aussehen.

Bei Brustvergrößerungen geht es jedenfalls im Grunde immer um mehr als die neue Körbchengröße. Erstaunlich viele Untersuchungen belegen, dass solche Patientinnen so gut wie immer einen inneren, psychischen Konflikt lösen wollen. Eine Studie ergab sogar, dass es in manchen Fällen um ein Identifikationsproblem mit der Mutter geht. Die Folge ist ein beeinträchtigtes Körperbild, das Probleme mit der eigenen Weiblichkeit mit sich bringt.

Die meisten Frauen, die ihren Busen vergrößern lassen wollen, wünschen sich in Wirklichkeit eine komplette Änderung der Lebenssituation. Die Dinge sollen sich bessern. Emotional und überhaupt.

Doch was wollte Birgit Schwarz?

Gehörte sie zu den 75 Prozent der Patientinnen, die hoffen, durch einen größeren Busen glücklicher zu werden, ein stärkeres Selbstwertgefühl und mehr Selbstvertrauen zu haben?

Oder gehörte sie zu jenen 54 Prozent, die sich von der Operation positive Veränderungen in ihrem sozialen Umgang und mehr Akzeptanz in ihrer Umgebung erwarten?

Gehörte sie zu den 25 Prozent, die sich von so einem Eingriff mehr Erfolg, mehr Geld und höhere Karrierechancen erwarten?

Die Zahlen entstammen einer Studie des Sozialwissenschaftlers Tilmann von Soest am norwegischen Forschungsinstitut Nova, der untersuchte, welche psychosozialen Faktoren Menschen motivieren, sich einer Schönheitsoperation zu unterziehen. Sie belegen, was ich selbst ständig erlebe. Im Leben der meisten Patienten ist gerade einiges los, wenn sie einen Schönheitschirurgen konsultieren. Laut von Soest berichten allein 27 Prozent von ihnen, dass in das Jahr vor ihrer Operation eine Scheidung, eine Trennung, ein Jobwechsel oder eine Übersiedlung an einen neuen Wohnort fiel.

Meinen Beobachtungen zufolge sind es vor allem Beziehungsprobleme, die Menschen in mein Besprechungszimmer führen. Sie fühlen sich nicht mehr geliebt. Nicht mehr wahrgenommen. Sie haben den Eindruck, dass sich ihr Partner eher für andere interessiert oder überhaupt schon jemand anderen hat. Oder sie leben schon lange allein. Oft genug ist es auch Murphys Gesetz. Es kommt alles zusammen. Was schiefgehen kann, geht auch schief.

Beziehungsprobleme und Schwierigkeiten am Arbeitsplatz können unsere Selbstwahrnehmung verändern. Sie machen es uns schwerer, uns schön zu finden.

Dann ist es ein Zusammenspiel von allem. Im Job läuft es nicht richtig, die Beziehung ist kaputt und vielleicht fühlt sich der oder die Betreffende wegen einer so nötig gewordenen Übersiedlung auch noch in der neuen Nachbarschaft fremd. Viele mögen sich dann nicht mehr, wenn sie in den Spiegel schauen.

Ich habe das alles nicht ständig vor Augen, wenn ich Erstgespräche führe. Aber wenn es mir, wie bei Birgit Schwarz, einfällt, verstört es mich. Ich frage mich dann: Kann ich als Schönheitschirurg wirklich all diese Wünsche erfüllen? Zieht ein Schönheitschirurg da nicht besser den Kittel des vermeintlichen Gottes in Weiß aus und spielt überhaupt gleich Gott?

Natürlich wissen wir Schönheitschirurgen, dass wir keine Götter sind, noch nicht einmal brauchbare Zauberer. Wir verändern etwas am Körper, was wiederum etwas im Leben eines Menschen verändert. Doch wie können und sollen wir dabei mit dem ärztlichen Verantwortungsbewusstsein umgehen?

Denn es kommt noch schlimmer.

Vierzig Prozent aller Frauen und Männer, die einen Schönheitschirurgen konsultieren, weisen laut einer systemischen Überprüfung von plastisch-chirurgischen Eingriffen zumindest Zeichen einer psychischen Auffälligkeit auf. In der norwegischen Soest-Studie berichten 19 Prozent von Depressionen und Angststörungen. Zum Vergleich: Vier Prozent sind es in der Gesamtbevölkerung.

18 Prozent greifen demnach zu Psychopharmaka, insbesondere Antidepressiva, was ich aus eigener Beobachtung sogar noch für untertrieben halte. Ich persönlich glaube, es sind dreißig bis fünfzig Prozent. In der Durchschnittsbevölkerung sind es fünf Prozent.

Patienten von Schönheitschirurgen leiden deutlich häufiger an psychischen Auffälligkeiten als die Gesamtbevölkerung. Stress mit dem eigenen Aussehen hängt offenbar mit Depressionen oder depressiven Verstimmungen zusammen.

Was hieße es für einen verantwortungsbewussten Schönheitschirurgen, wenn Birgit Schwarz zu dieser Gruppe gehören würde? Dass er aus ihrer Not ein Geschäft für sich machen soll? Dass er Einwände erheben und sie zu einem anderen Chirurgen weiterziehen lassen soll? Birgit Schwarz’ nachdrückliches Ja lag noch immer in der Luft. Ihr Blick war nach wie vor klar. Ich verlagerte das Gespräch auf eine persönlichere Ebene.

»Was sagt denn Ihr Partner dazu?«, fragte ich sie.

Manche Partner sind gegen einen Eingriff. Wenn sie bei diesen Erstgesprächen dabei sind, argumentieren sie auch dagegen, oft sogar heftig. Andere sind dafür und bringen, wenn sie selbst mitkommen, ihre eigenen Wünsche mit. Zum Beispiel, dass sie, wenn schon, auch ein bisschen Spaß mit dem Ergebnis der Operation haben wollen.

Doch meine Frage war nicht ganz ehrlich gestellt. Denn die Meinung des Partners interessiert mich in dieser Phase eines Arzt-Patientin-Verhältnisses weniger als die schlichte Auskunft, ob es überhaupt einen Partner gibt. Birgit Schwarz direkt danach zu fragen, wäre aber indiskret gewesen.

Birgit Schwarz hatte einen neuen Partner. Er mischte sich nicht ein und überließ die Entscheidung ganz ihr.

Solche Partner sind für mich die unangenehmsten. Ich finde sie schlimmer als die fundamentalistischsten Gegner oder Befürworter einer Schönheitsoperation. Denn ihr Schweigen suggeriert: Du bist mir egal. Es bedeutet Gleichgültigkeit und wird meist mit dem Argument, die Partnerin nicht »beeinflussen« oder gar »bevormunden« zu wollen, präsentiert.

Genau diese Gleichgültigkeit kann eine Frau aber erst zu einem Schönheitschirurgen führen. Weil sie ihre Zweifel nährt, dass etwas an ihr unzulänglich ist.

Wer seinen Partner mit seinen Zweifeln an seinem Äußeren alleine lässt, sendet ihm ein fatales Signal der Gleichgültigkeit, das diese Zweifel vergrößern kann.

Birgit Schwarz’ neuer Partner könnte so ein Fehlgriff von einem Partner sein, dachte ich. Tatsächlich stellte sich heraus, dass sie in Sachen Beziehung eine turbulente Phase hinter sich hatte.

Der Mann, mit dem sie bis vor Kurzem noch verheiratet gewesen war, hatte eine Affäre mit ihrer besten Freundin angefangen. Sie selbst war daraufhin mit dem Lebensgefährten dieser Freundin zusammengekommen. Ein komplizierter Fall von Partnertausch.

Ich bemühe mich immer, aus solchen Geschichten keine voreiligen Schlüsse zu ziehen. Doch für Birgit Schwarz schien dieser Partnertausch kein ganz freiwilliger gewesen zu sein, eher ein notgedrungener Schritt, um bei all dem am Ende nicht allein dazustehen.

Deine Nase kann nichts dafür

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