Читать книгу Drachenkinder - Wulf Köhn - Страница 7

Das Unglück

Оглавление

In der Schlucht der Höhlen hatte sich äußerlich nicht viel verändert, aber das Team stapelte inzwischen Berge von Material. Jede Höhle war genau vermessen worden, unabhängig davon, ob sich ein Skelett darin befand oder nicht.

Koster hatte in London noch einen Monitor mit Videorecorder aufgetrieben und mitgebracht. Nun warfen sie den Stromgenerator an und schauten sich gemeinsam „ihren“ Drachen an.

„Das ist fantastisch!“, entfuhr es Lewin. Immerhin war es seine Entdeckung, die jetzt zum Leben erwacht war. Über eine Stunde lang beobachteten sie die Wanderun­gen des Drachens, die Kämpfe gegen unsichtbare Gegner, seine Flugversuche und Droh­gebärden. McCulloch hatte seiner Fantasie freien Lauf gelassen. Ob sich der Drache wirklich so benommen hatte, wusste natürlich niemand, doch er konnte sich mit Sicherheit auf diese Weise bewegen.

Am nächsten Tag besichtigte Koster persönlich alle bisher entdeckten Höhlen. Die meisten Eingänge waren nur über ein aufgestelltes Gerüst zu erreichen. Es befand sich immer dort, wo gerade der Schwerpunkt der Arbeiten war. Zur Sicherung der Standfestigkeit, wurde es jeweils mit Seilen an Erdankern oberhalb der Felskante befestigt. Trotzdem war die Konstruktion noch unsicher genug. In Deutschland hätte jeder Technische Überwachungsverein und jede Berufsgenossenschaft lebhaft dagegen pro­testiert. Hier fühlte sich Koster zwar ebenso für die Sicherheit seiner Leute verantwort­lich, doch musste jeder das Risiko selbst abschätzen.

Er kletterte über Steckleitern auf das aufgebaute Gerüst, um unter der Führung Lewins eine der Höhlen zu besichtigen, die er noch nicht kannte. Sie hatte keine neuen Erkenntnisse, aber ein weiteres Skelett gebracht. Koster schaute nachdenklich auf einen braunen Fleck neben dem Skelett.

„Hat das schon jemand untersucht?“, fragte er Lewin.

„Das ist uns noch nicht aufgefallen. Das sieht aus, wie eine normale Bodenverfär­bung“, antwortete dieser.

Koster bückte sich und nahm etwas Material von diesem Fleck auf. Während der Boden überall festgetreten war, schien der Fleck etwas erhaben darauf zu liegen. Das Material fühlte sich krümelig an und färbte Kosters Finger dunkelbraun.

„Wenn mich nicht alles täuscht, ist das Eisen“, sagte er.

„Wie soll denn hier Eisen herkommen?“, entgegnete Lewin und prüfte das Material ebenfalls zwischen den Fingern.

„Tatsächlich!“, bestätigte er, „Ich werde es analysieren lassen.“

Er machte sich an den Abstieg, um einen Probenbehälter zu holen. In diesem Augenblick summte das Handy, das Koster immer bei sich führte. Er stellte sich in den Höhleneingang, um eine bessere Verbindung zu bekommen.

Es war Bone, der sich aus London meldete. Er bestätigte, dass die ausgewertete Probe etwa 10 Millionen Jahre – plus/minus eine Million – alt wäre.

„Mir ist trotzdem unklar, wie sich die Knochen unversteinert so lange halten konn­ten. Das ist normalerweise nur bei absolutem Luftabschluss möglich.“

„Meine Geologen haben festgestellt“, bestätigte Koster, „dass die Höhlen tatsäch­lich über Millionen von Jahren versiegelt waren. Es kam absolut keine Luft hinein oder heraus. Außerdem sind die Gesteine leicht basisch, so dass sich eine dauerhafte Abtö­tung aller Keime und Bakterien ergab. Nur so ist der gute Zustand der Skelette zu erklären.“

Bone bestellte noch Grüße von McCulloch und versprach, das Projekt weiter im Auge zu behalten, aber noch nicht die Öffentlichkeit zu informieren.

Koster steckte das Handy wieder weg und schaute gedankenvoll nach unten, wo Lewin gerade angekommen war.

Ein lauter Schrei ließ ihn nach oben blicken. Er hörte aber nur die Stimme von Lukas, der oberhalb der Felswand damit beschäftigt gewesen war, einen langen Erd­pfahl einzuschlagen, um eine Steckleiter zu befestigen.

„Vorsicht, die Wand!“, brüllte er. „Der Felsen löst sich!“

In diesem Moment hörte Koster schon das Knirschen im Gestein und überlegte, ob er schnell nach unten steigen sollte. Lewin kam ihm schon wieder entgegen und schaute ebenfalls nach oben.

Das Knirschen wurde lauter, und fast wie in Zeitlupe kippte der obere Teil der Fels­wand nach vorn. Mit einem Sprung in die Höhle brachte sich Koster in Sicherheit, gleichzeitig voller Angst, hier eingeschlossen zu werden. Mit lautem Krachen stürzte die Wand vor dem Höhleneingang vorbei nach unten auf das Gerüst.

Koster wartete einen Moment und lauschte, ob sich der Fels noch bewegte. Dann trat er vorsichtig nach vorn und schaute hinab.

Der Felsbrocken hatte das Gerüst begraben, war unten in mehrere Teile zerbro­chen, von denen einige bis zu den Zelten gesprungen waren. Zwei Streben waren abge­knickt und das große Zelt teilweise eingestürzt. Doch was war mit Lewin, der sich gerade auf dem Gerüst befunden hatte?

Ein leises Stöhnen machte Koster auf ihn aufmerksam. Lewin lag seitlich der Absturzstelle auf der Geröllhalde. Er hatte sich gerade noch mit einem Sprung in Sicherheit bringen können.

Vom Höhleneingang aus rief Koster seine Mitarbeiter zusammen, um sich einen Überblick zu verschaffen. Es stellte sich heraus, dass alle noch lebten.

Lukas war zwar an den Rand des Felsens getreten, um die anderen zu warnen, als er sah, wie sich ein immer breiter werdender Riss dort oben bildete, konnte dann aber rechtzeitig zurückspringen. Er hatte wahrscheinlich Koster und Lewin das Leben geret­tet.

Lewin lag verletzt und fluchend auf der Geröllhalde, und Menzel kroch erstaunt aus dem eingestürzten Zelt.

Koster stand im Höhleneingang und kam mit eigener Kraft nicht mehr nach unten. Er musste warten, bis Lukas eine Steckleiter verschoben hatte, immer in Sorge, dass sich ein weiteres Stück des Felsens löste. Daran konnten beide nach unten klettern, um Lewin zu helfen.

Lewin hatte beide Beine gebrochen, war aber noch kräftig genug, laut zu fluchen. Koster bastelte aus einigen der zerknickten Aluminiumstan­gen Schienen, um die Beine vorläufig ruhig zu stellen. Er entschloss sich dann aber, einen Rettungsdienst zu rufen, da er Lewin nicht zumuten wollte, mit dem Unimog in ein größeres Krankenhaus nach Sevilla transportiert zu werden.

Eine Stunde später war schon ein Rettungshubschrauber zur Stelle, um ihn abzuho­len. Er fluchte schon wieder, allerdings nicht vor Schmerzen, sondern weil er nun von dem Fortgang der Arbeiten abgeschnitten war.

Als der Hubschrauber außer Sicht war, nahm sich Koster erst die Zeit, sich um etwas zu kümmern, was er vorher nur flüchtig gesehen hatte. Menzel und Lukas stan­den bereits vor der Felswand und schauten nach oben.

Oberhalb der Höhle, in der sich Koster während des Absturzes befand, war jetzt ein weiterer Höhleneingang zu sehen, den der herabgestürzte Felsen vorher verschlossen hatte.

Eine neue Höhle bedeutete weitere Arbeit, doch zunächst musste das Lager wieder instandgesetzt werden. Das Gerüst war völlig zerstört, aber mit einigen Streben konnte das Hauptzelt wieder aufgebaut werden. Zum Glück war die wissenschaftliche Ausrüs­tung nicht beschädigt worden, so dass sich der Schaden in Grenzen hielt.

An diesem Abend stieg Koster nach langer Zeit wieder einmal allein zum Hochpla­teau hinauf, setzte sich auf einen Stein und schaute über das weite Tal. Er versuchte sich vorzustellen, wie es hier vor 10 Millionen Jahren ausgesehen hatte, und in seinem Geist stürzte sich ein Drache über die Klippe und stieg dann schwanzschlagend hoch in die Luft.

Drachenkinder

Подняться наверх