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Der Intelligenzfaktor

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Galek genoss die untergehende Sonne, die langsam hinter dem Horizont verschwand. Das war die angenehmste Tageszeit, in der die brennende Hitze des Tages langsam der Nachtkühle wich. Er hatte sein Heim verlassen und sich behaglich in den Sand gelegt, der die Wärme noch lange Zeit speichern würde. Er konnte mit dem Tag zufrieden sein, denn er hatte gut gegessen, und in seinem Heim lagerten genügend Wasservorräte. Es war schon ein Vorteil, in einer Gegend zu leben, in der sich zahlreiche unterirdische Wasseradern durch den Boden zogen. Nicht überall auf dieser Welt lebten die Bewohner in solchem Überfluss, doch sie hatten sich den jeweiligen Gegebenheiten angepasst.

Manchmal hatte er überlegt, ob es nicht besser wäre, in den Bereich der Polkappen zu ziehen, wo es manchmal Niederschläge gab, die das Wachstum üppiger Algen möglich machten. Der Speiseplan war dort weitaus abwechslungsreicher als in den Steppengebieten. Doch die dich­tere Bevölkerung brachte größere Probleme des Zusammenlebens.

Galek liebte die geistige Auseinandersetzung mit intelligenten Nachbarn in aller Geruhsam­keit. Die Massenkommunikation der dicht bevölkerten Gegenden brachte die Bewohner unter ständigen Stress und machte sie schneller aggressiv. Hier in der Steppe war es nicht immer ein­fach, seine tägliche Mahlzeit zu ergattern, doch bisher hatte das Land alles geliefert, was er zum Leben brauchte.

Sein Nachbar machte sich bemerkbar. Er wollte sein tägliches Plauderstündchen. Bedächtig erzählte er von seinen Tageserlebnissen, die sich kaum von denen der anderen Tage unter­schieden. Galek selektierte die Gedanken seines Nachbarn. Unbewusst blendete er die stören­den Nebenimpulse anderer Gedanken aus und hielt nur den Lauschteil seines Gehirns offen. So konnte er jederzeit weitere Anrufe empfangen.

Theoretisch war er in der Lage, die telepathischen Wellen aller Bewohner der ganzen Welt zu empfangen, doch sein Zweithirn filterte ständig die ihn nicht betreffenden Gedanken heraus, sonst wäre er schnell in der Fülle der Kommunikation ertrunken.

Sein Nachbar hatte ähnliche Gedanken. Beide äußerten sich befremdlich über den neuen Trend des Gedankensurfens, der sich in den übervölkerten Gebieten langsam ausbreitete. Besonders Jugendliche verbrachten immer mehr Zeit damit, ihre Gedanken auf die ganze Welt hinauszu­schicken und auf Antworten zu warten. Diese kamen meist in so großen Mengen, dass das Zweithirn kaum noch in der Lage war zu selektieren.

Galek und sein Nachbar liebten jedoch die Ruhe und schalteten sich meist aus dem allgemei­nen Kommunikationsgewirr aus. Einmal täglich empfingen sie gemeinsam die Gedanken des Nachrichtensenders, der die weltweit wichtigsten Nachrichten zusammenfasste. Meist han­delte es sich um die Bekanntgabe von neuen Nahrungsmittelvorkommen oder die Wetternach­richten, die für die Entwicklung der Wasseradern eine wichtige Rolle spielten. Einige weiter am Äquator lebende Bewohner waren sehr darauf angewiesen.

Galek und sein Nachbar hatten diese Sorgen nicht. Ihr Land lieferte ihnen genug für den Lebensunterhalt. So hatten sie Zeit für ihr tägliches Spiel mit dem sie das Gedächtnis trai­nierten. Mit komplizierten Fragen über vergangene Geschehnisse, die sie über den Nachrich­tenaustausch empfangen hatten, versuchten sie sich in die Irre zu leiten. Sein Nachbar freute sich jedes Mal unbändig, wenn es ihm gelungen war, Galek bei einer Unwissenheit zu ertap­pen. Umgekehrt war es aber genauso. Ihr Dritthirn hatte zwar neben den artbedingten Grunder­innerungen sämtliche Erinnerungen ihres ganzen Lebens gespeichert, doch war es eine Frage der Übersichtlichkeit, in welcher Schnelligkeit sie darüber verfügen konnten. Wer seine Spei­cher nicht pflegte, konnte sich bald nicht mehr zurechtfinden. Galek und sein Nachbar benutz­ten ihre täglichen Spiele, ihr Dritthirn nach immer wieder neuen Erkenntnissen neu zu konditionieren. Dabei fielen ihnen natürlich ständig alte Erinnerungen ein, die sie bei ihrem nächsten Spielabend an dem Nachbarn testeten. Sie konnten sich köstlich amüsieren, wenn der Partner lange vergeblich nach den Informationen suchte.

* * *

Die beiden Raumfahrer näherten sich dem Planeten. Gespannt beobachteten sie die Bild­schirme, auf denen sich eine Welt abzeichnete, die stark der Erde ähnelte. Je dichter sie heran­kamen, desto deutlicher wurden die Einzelheiten. Die Oberfläche schien zum Teil wüstenartig zu sein, mit riesigen Flächen, die an weite Steppen erinnerten. Die Polkappen trugen einen leichten grünen Schimmer. Das deutete auf frische Vegetation hin. Von dort zogen sich riesige Wasserläufe in Richtung Äquator, die jedoch in keine Meere mündeten, sondern irgendwo in den Wüsten versickerten.

Es war ihre Aufgabe, nach besiedlungsfähigen Welten zu suchen, denn die Menschheit brauchte neuen Raum. Die Möglichkeiten im Sonnensystem waren längst ausgeschöpft, so dass man inzwischen begonnen hatte, die weiter entfernten Sterne auf geeignete Planeten zu untersuchen. Die Vorgaben waren klar: Welten, die eine geeignete Atmosphäre und keine allzu lebensfeindliche Flora und Fauna besaßen, waren für die Besiedlung geeignet, wenn keine intelligenten Lebensformen auf ihnen existierten. Als intelligent galten alle Lebewesen, die einen bestimmten Intelligenzfaktor aufwiesen, der selbstverständlich nicht an der menschli­chen Intelligenz gemessen werden musste. Als Anhaltspunkte galten bereits das bewusste Ver­halten aufgrund geistiger Überlegungen, eine in Ansätzen vorhandene soziale Gemeinschaftsform mit bewusster Kommunikation zwischen den Individuen, die sich an einer gemeinsamen Sprache erkennen ließ. Die aufgrund tierischer Instinkte bedingten Verhaltens­formen und die damit verbundenen Geräusche zur Verständigung waren meist entwicklungs­bedingt entstanden und hatten mit Intelligenz nichts zu tun. Nach den bisherigen Erkenntnissen gab es nur auf wenigen Welten intelligente Lebewesen. Viele der auf Besiedlungswelten vor­gefundenen Tiere konnten dagegen erfolgreich in das Besiedlungsprogramm einbezogen wer­den.

Die Raumfahrer lenkten das Schiff in eine Umlaufbahn, auf der sie den größten Teil der Plane­tenoberfläche übersehen konnten. Die Analysegeräte arbeiteten auf Hochtouren. Die Ergeb­nisse der Erstuntersuchung waren außerordentlich befriedigend. Die Atmosphäre ähnelte der der Erde, war jedoch etwas dünner, was durch einen höheren Sauerstoffanteil ausgeglichen wurde. Die durchschnittliche Luftfeuchtigkeit war erheblich geringer. In den Wüstenregionen des Äquators herrschten tagsüber ungeheure Temperaturen, die einen längeren Aufenthalt ohne Schutzausrüstung unmöglich machten. Je weiter es aber an die Polkappen ging, desto mehr Vegetation breitete sich aus. Es gab allerdings nur kleinwüchsige Pflanzen, hauptsäch­lich Gräser in den breiten Steppengürteln und Algen in den feuchten Polargebieten. Die gemä­ßigten Zonen zwischen Polen und Wüsten schienen für eine Besiedlung geeignet zu sein.

Sorgfältig lauschten die Raumfahrer auf irgendwelche Art von Funkwellen. Der Bordscanner tastete alle Frequenzen ab, doch es wurden keinerlei künstlich erzeugte elektromagnetische Wellen aufgefangen. Die optische Auswertung der Planetenoberfläche zeigte keinerlei Bauten, keine Städte, Ortschaften oder sonstige Formen einer Besiedlung. Nacheinander und auf ver­schiedenen Frequenzen sendeten sie verschiedene vorbereitete Funkansprachen auf die Ober­fläche, eine Reihe von elektromagnetischen Signalen mit mathematischen Symbolen und einige Musiktitel. Danach folgten optische Signale in Form heller Lichtbündel und Laserstrah­len, die besonders auf der Nachtseite bis auf die Planetenoberfläche reichten. Zum Abschluss folgte noch eine Signalgruppe thermoelektronischer Strahlen, falls die Bewohner dieser Welt die Thermokommunikation pflegten. Es erfolgte keinerlei Antwort.

Doch das hatte noch nichts zu bedeuten. Es war durchaus möglich, dass es intelligente Lebe­wesen gab, die in ihrer Entwicklungsgeschichte noch lange nicht in der Lage waren, künstliche Bauten zu errichten oder Werkzeuge zu benutzen.

Die Raumfahrer trugen alle Erkenntnisse sorgfältig in das Logbuch ein und beendeten die Auf­zeichnungen vorläufig mit der Absicht der Landung in der gemäßigten Zone.

Es war immer ein spannender Augenblick, das Raumschiff aus dem Orbit zu lösen und lang­sam zur Oberfläche abzusteigen. Die Landedüsen wurden zunächst zum Abbremsen nach vorne und dann mit abnehmender Geschwindigkeit nach unten gerichtet. Sauber setzte das Schiff mit seinen langen Federbeinen auf.

Beide beobachteten die Umgebung. Die Landedüsen hatten das Steppengras unter dem Schiff in Brand gesetzt, doch das Feuer wurde mit der automatischen Stickstofflöscheinrichtung schnell erstickt. In Sichtweite war außer dem etwa kniehohen Steppengras nichts zu sehen. Es schien keine Tiere zu geben oder sie waren durch die Landung vertrieben worden. Ein letzter Check prüfte die Außenbedingungen. Die Luft war atembar, die Temperatur betrug 35 Grad Celsius, die Luftfeuchtigkeit etwa 30% relativer Feuchte, die Gravitation lag bei 0,85 G. Als die künstliche Schwerkraft des Raumschiffes abgeschaltet war, fühlten sich die Raumfahrer merkwürdig beschwingt und voller Energie. Sie beschlossen, sofort auszusteigen, um den Pla­neten zu erkunden.

Es war immer ein besonderes Ereignis, als Erster den Fuß auf die Oberfläche einer neu ent­deckten Welt zu setzen. Schnell verließen sie den verbrannten Kreis unterhalb des Raumschif­fes und betraten das raschelnde Steppengras. Es erinnerte etwas an den trockenen Strandhafer, wie er in den sandigen Dünen ihrer Heimat wuchs. Die Halme trugen doldenförmig angeord­nete Fruchtstände, in denen Körner heranreiften. Sie sammelten einige der Körner ein, um sie später auf Genießbarkeit analysieren zu können. Der trockene Sand wurde ebenso eingesam­melt, wie einige breitblättrige Pflanzen mit roten Verdickungen, deren Funktion nicht zu erkennen war. Sie sahen eine ganze Reihe weiterer Pflanzen. Das gab eine Menge Arbeit in den nächsten Tagen.

Das Schiff war in einem kleinen Tal gelandet. Dort stand es etwas geschützt, doch schien es auf dieser Welt keine Gefahren zu geben. Die Raumfahrer beschlossen, sich einen besseren Überblick von einem der umliegenden Hügel zu verschaffen und stiegen langsam den Berg hinauf.

* * *

Galek hatte wie jeden Tag sein Land inspiziert. Die Pflanzen gaben ihm alles, was er zum Leben brauchte. Er kannte inzwischen die Stellen genau, an denen die stachligen Früchte mit dem saftigen Inhalt besonders gut gediehen. Er ließ immer so viel stehen, dass sie genügend nachwachsen konnten. In einem windgeschützten Tal hatte er im Laufe der letzten Jahre einige Körnerpflanzen angebaut, die sich erfreulich gut entwickelten. Die jährliche Ernte reichte für seine ganze Familie. Er hätte in Notzeiten vermutlich sogar seinen Nachbarn mitversorgen können, doch dieser hatte seine eigenen Anbaugebiete. Trotzdem war es beruhigend, sich gegenseitig helfen zu können, wenn es darauf ankam.

Als er einen kleinen Bergrücken emporstieg, sah er die beiden Fremden. Er hatte solche Lebe­wesen noch nie gesehen. Sie saßen auf einem kleinen Felsen und schauten in die Runde. Abwartend blieb Galek stehen und beobachtete sie. Sie schienen nicht denken zu können, denn er empfang keinerlei Impulse, auch wenn er sein Zweithirn noch so weit öffnete. Er infor­mierte seinen Nachbarn über die zweifellos primitiven Lebewesen, von denen er noch nie etwas gehört hatte. Auch sein Nachbar konnte in seinem Erinnerungsspeicher keinerlei Hin­weise auf Lebewesen finden, die zu den Beschreibungen passten. Eine Rundumanfrage för­derte nur die allgemeine Neugierde jedoch keine Erinnerungen. Die Anfrage löste eine weltweite Aufregung aus. Niemand konnte sich erinnern, jemals etwas Ähnliches erlebt zu haben. Die Kommunikationsflut ließ sich kaum noch bändigen, bis man sich einigte, die Allge­meinheit ständig über die weitere Entwicklung zu unterrichten. Wer daran interessiert war, konnte sein Zweithirn entsprechend offen halten. Weitere Nachfragen würden nur Verwirrung erzeugen. Galek erklärte sich bereit, die Wesen weiterhin zu beobachten und nach Möglichkeit zu ihnen Kontakt aufzunehmen.

Langsam ging er näher.

* * *

Die beiden Raumfahrer genossen die saubere Luft und die angenehme Wärme. Sie hatten sich auf einem kleinen Felsen niedergelassen, von dem aus sie einen guten Überblick über die Landschaft hatten. Bei ihrem Marsch zu dem Gipfel hatten sie sorgfältig ihre Umgebung beob­achtet und sich einen ersten Überblick über die reichhaltige Flora verschafft. Die Fauna schien sich jedoch auf kleinere Tiere zu beschränken. Sie entdeckten einige Lebewesen, die mit den irdischen Insekten vergleichbar waren, jedoch zum Teil sehr abstruse Formen aufwiesen. So ähnlich musste es aber auch einem Außerirdischen vorkommen, der eine Gottesanbeterin oder einen Hirschkäfer entdeckte. Ob es mikroskopisch kleine Lebewesen gab, würde die Auswer­tung der verschiedenen Proben ergeben.

Die Raumfahrer blieben sitzen und verhielten sich still. Je länger sie das taten, desto unbefan­gener verhielten sich die Lebewesen in ihrer Nähe. Einige käferartige Zwölffüßer fraßen große Stücke aus einer Blattpflanze. Auch die kleineren Insekten schienen Pflanzenfresser zu sein. Es würde interessant werden, die Nahrungsmittelkette dieses Planeten zu erforschen.

* * *

Galek versuchte immer wieder, zu den beiden Fremden geistigen Kontakt aufzunehmen. Doch er hatte keinen Erfolg. Entweder die beiden waren dazu nicht fähig, oder sie hatten sich für die Kommunikation blockiert. Er versuchte es mit Sichtkontakt. Vielleicht würden sie sich dann öffnen. Langsam trat er aus dem höheren Gras heraus auf den offenen Felsen und sprach sie erneut an.

* * *

Die Raumfahrer sahen fast gleichzeitig die große Echse, die sich auf den Felsen schob. Das war bisher das größte Tier, das sie entdeckt hatten. Die Echse war mit dem kräftigen Schwanz fast einen Meter lang und bewegte sich bedächtig auf vier Füßen. Sie schien den Steppenver­hältnissen hervorragend angepasst zu sein. Sie hatte eine panzerartige Schuppenhaut und große kugelförmige Augen, mit denen sie unverwandt zu ihnen herüberschaute. Irgendwie kam ihnen das Tier etwas heimisch vor, denn es erinnerte stark an die skurrilen Echsen der Erde. Sie über­legten, ob sie es einfangen sollten, doch als sie sich erhoben, verschwand das Tier rasch im dichten Gras.

* * *

Galek hatte sich mächtig erschrocken, als sich die Fremden plötzlich zu voller Größe aufrich­teten. Sie liefen auf zwei Beinen und waren ungeheuer groß. Also ergriff Galek zunächst die Flucht und versteckte sich. Er berichtete sofort über das Gesehene. Weltweit hing man an sei­nen Gedanken. Doch obwohl die Fremden ihn bestimmt gesehen haben mussten, konnte er kei­nerlei geistigen Impulse empfangen. Auch weitere Versuche aus sicherer Entfernung hatten keinen Erfolg. So konnte er der gespannt wartenden Weltöffentlichkeit mitteilen, es handele sich um primitive Lebewesen, deren Herkunft ungeklärt ist.

* * *

Die Raumfahrer hatten genug gesehen. Sie konnten den Planeten einstufen und ihm die Kata­lognummer Alpha 36 geben. Auch bei weiteren Erkundungen, insbesondere in der Nähe der Pole, hatten sie keine größeren Tiere als die Echsen entdeckt. Der Planet beherbergte keinerlei intelligente Lebensformen und war somit besiedlungsfähig. Einen richtigen Namen würden ihm die ersten Siedler geben. Wenn die paar Echsen störten, waren sie schnell ausgerottet.

Unendliche Zukunft

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