Читать книгу Mein Name ist DRAKE. Francis Drake - Wulf Mämpel - Страница 5
VORBEMERKUNG . . .
Оглавление. . . des Piraten und 1. Offiziers der dreimastigen „Defiance“ - John McFinn: Geschrieben im Herbst des Jahres 1597 mit meiner ungeübten, ungelenken Schrift in meinem gemütlichen Steinhaus in der Nähe von Inverness an der Nordostküste Schottlands, wo der Ness in den Moray Firth mündet, gut ein Jahr nach dem Tod meines Kapitäns und Freundes Sir Francis Drake. Mein Kaminfeuer versetzt mich in eine merkwürdige Stimmung. Meine Erinnerungen sausen durch meinen schottischen Schädel. Bilder tauchen auf. Szenen, Bemerkungen, Reden, haushohe Wellen, Stürme, Leichen und feudale Saufgelage. Ich denke nur noch an ihn. Träume von ihm. Von ihm, von ihr, von uns. Von unseren gemeinsamen Fahrten und Erlebnissen. Hat es je eine solche Freundschaft gegeben?
Dies sind seine Memoiren, die er mir anvertraute – kurz bevor er auf seinem Schiff vor der Küste Panamas am 28. Januar des Jahres 1596 in meinen Armen an der unheilbaren Ruhr elendig verstarb. Wir waren am 28. August 1595 mit 27 Schiffen und 2 500 Mann zu einer neuen Kaperfahrt in die Karibik aufgebrochen, die unsere letzte gemeinsame Reise werden sollte. Formularbeginn
Formularende
Ich werde seine Lebenserinnerungen, an denen er bis zu seinem letzten Atemzug schrieb, zunächst lesen und sie dann erst Lady Elisabeth Drake übergeben. Ich habe dabei ein schlechtes Gewissen: Zum ersten Mal in meinem Leben führe ich einen Befehl meines Admirals, seinen letzten Befehl, nicht sofort aus. Ich bin nicht glücklich darüber, aber ich kann nicht anders. Dies ist meine eigenmächtige Entscheidung, die alleine ich zu verantworten habe . . . und die ich nicht bereue.
Bei Sankt Andreas, so soll es sein!
Die Beisetzung des Admirals verfolgt mich seit Monaten. In einem Sarg aus Blei, eingehüllt in den Union Jack, wurde sein Leichnam dem Meer übergeben. Ich sprach aufgeregt und wohl stotternd folgende Worte, weil mich die Crew darum bat: „Ein großer Mann wird dem Meer übergeben, dem Meer, das er so liebte. Einen wie ihn wird es lange nicht geben. Dieser Abenteurer, dieser Held war ein guter Mensch, weil er ein großes Herz hatte. Sir Francis Drake liebte sein Land, die Königin und seine Familie, zu der ich auch seine Männer auf den Schiffen zähle. Dass ich sein Freund sein durfte, war das größte Geschenk, das er mir machte. Der Sarg geht nun zu den Fischen, aber seine Seele fährt nach oben in den Sternenhimmel.“
Danach setzten wir sein Schiff in Brand, wie es sich für einen verstorbenen, großen Helden ziemte.
PS: Die Abschiedsbriefe meines Admirals an die Königin und an seine Frau Elisabeth habe ich auftragsgemäß sofort bei meiner Ankunft in London und in Buckland Abbey, dem Landsitz der Familie Drake, übergeben . . . Ich habe sie aber auf der langen Rückreise in meine Heimat kopiert und nun den Memoiren beigefügt. Sie gehören meiner Meinung nach als Anhang dazu . . . Den langen Brief an Lady Drake stelle ich eigenmächtig an den Anfang. Den an unsere verehrte Königin an den Schluss der Aufzeichnungen meines Kapitäns!
X
Liebe Elisabeth,
mein wunderschönes Weib!
Ich weiß nicht, ob ich das alles schreiben soll, was mich tief bewegt. Aber wenn Du diesen Brief tatsächlich eines Tages erhältst, ist mein Leben beendet. Dein Ehemann ruht dann auf dem Grund des Meeres – in einem Bleisarg, wie es üblich ist. Dies wird also kein Liebesbrief an eine Frau, die ich sehr vermisse. Oder doch?
Mich plagen viele Fragen. Ich habe den Eindruck, mein Leben geht zu Ende. Wir liegen hier fest, kein Wind, kein Sieg, kein Erfolg. Und vor allem kein Gold! Mit einem Wort: Verzweiflung! Ja, ich bin verzweifelt. Das Nichtstun macht uns zusätzlich fertig. Hinzu kommen Fälle von fiebriger Ruhr, diesem gefürchteten Durchfall, über den die Landratten lachen. Aber in diesen Fällen sitzt der Tod im Darm! Erste Anzeichen haben auch mich getroffen. Vielleicht habe ich ja Glück . . . und ich überstehe diese Tortur. Ich weiß jetzt zum ersten Mal, wie es ist, wenn man den Tod vor Augen hat. Untätig, machtlos und entmutigt. Man wird bescheiden, weil die Hoffnung mitstirbt, weil sie in die Ferne rückt. Kann es sein, dass ein Sir Ihrer Majestät an einem bösen Durchfall stirbt?
Ich habe Dir viel mitzuteilen, Liebes. Viele Fragen habe ich, auf die ich keine Antworten erhalte. Ich fantasiere, träume wild, der Schmerz kommt und geht und kommt und geht und kommt . . . Sie geben mir Säfte und Rum, doch nichts scheint mich von den Qualen, die in Schüben meinen Leib erschüttern, zu befreien. Ich muss viele Schreibpausen einlegen . . . um dann wieder fortzufahren. Ich muss Dir noch so viel berichten, von unseren Plänen, unseren Wünschen und Möglichkeiten. Vielleicht werden wir doch noch Farmer in Amerika. Wir bauen uns hier ein Schloss, eine neue Abbey . . . Dummes Zeug. Niemals werde ich ein Bauer. Ein böser Traum suchte mich heim.
ICH LIEBE DICH!!!!!!!!!!!!!!
Wir schreiben den 19. Januar 1596: Ich grüße Dich von der „Defiance“ herzlich - in der großen Hoffnung, dass es Dir und unserem Kind gut geht! Mich quält diese verdammte Ungewissheit: Was ist es geworden: ein Junge, ein Mädchen? Bist vor allem Du wohlauf? War es eine schwere Geburt? Dieses Rätselraten macht mich noch verrückt. Ich bin sehr traurig, nicht bei Euch sein zu können. Heute weiß ich: Ich bin ein großer Idiot, dass ich auf diese Fahrt bestanden habe. Dickköpfiger Steinbock eben! Idiot eben auch! Mir geht es seit ein paar Tagen nicht gut, ein teuflisches Fieber, ein heißes Brennen rumort in meinem Unterleib. Eine stinkende Brühe scheide ich unten und oben aus. Ich spüre, wie ich schwächer werde. Auch mein Urin ist rot gefärbt. Wir versuchen alles, um diese Pestilenz einzudämmen. Hoffentlich gelingt uns das sehr bald! Solange ich noch atme, hoffe ich. Ich würde alles hergeben, wenn ich in diesem Moment bei Euch sein könnte!
Es wird wohl ein langer Brief . . . Liebes, ich habe Dir so viel zu erzählen! Meine Gedanken sprudeln nur so aufs Papier. Gedanken eines glücklichen Mannes und eines stolzen Vaters! Aber auch die Gedanken eines kranken, einsamen Kapitäns: Wer hätte je gedacht, dass der gefürchtete Pirat eines Tages friedlich im Bett stirbt. Müde, schlapp und hilflos . . . immer hilfloser. Ich schreibe wie in einem Fieberwahn - all das, was mir gerade so einfällt. Ich will Dir Mut machen: In meinem Ende kann ein neuer Anfang für Dich, für Euch liegen . . .
Ich quäle mich heute mit der Frage: Was hat von meinem Leben Bestand? Was, um Gottes Willen, wird aus unserer Liebe, unseren Schwüren, Ideen und Zielen? Ich erkenne: Alles Gescheite ist schon einmal gedacht worden, man muss nur versuchen, es noch einmal zu denken! Ich versuche es, deshalb dieser lange Brief an Dich. Denn ich kann nicht sagen, wo und wie das alles hier enden wird . . .
Ich spüre zum ersten Mal, was Ohnmacht bedeutet, Schwäche. Zum ersten Mal spüre ich ein blamables Versagen, die Kraft des Verlierens, des Aufgebens. Ich bin kein Held mehr, sondern ein erbarmungswürdiger Greis. Ich erkenne daher: Nicht jeder große Mann ist auch ein großer Mensch. Ich habe Angst vor dem Ergebnis unserer Reise. Ich, der gefeierte Seeheld, der Pirat, der furchtlose Korsar. Was für ein fluchwürdiger Hunger nach Gold war das, der mich immer trieb. Was nützt mir nun all mein Gold? Man nennt mich heute schon den „Mann mit den zwei Gesichtern“, weil ich als Abenteurer und als der erste englische Weltumsegler geehrt worden bin, dessen Verdienste für die englische Seefahrt und den Aufbau der englischen Seemacht gar nicht hoch genug eingeschätzt werden können. Das sind die Worte unserer Königin. Ich war immer der Seefahrt mit Herz, Leib und Seele verschrieben, ein Mann, der dafür geboren war, sich dem ständigen Kampf mit den wütenden, nassen Elementen zu stellen. Doch der Preis, den ich dafür zu zahlen bereit war, wird eines Tages mein Bild trüben: Plünderung, Mord und Sklavenhandel. Noch sind meine Bewunderer dem romantischen Bild verfallen, das man sich in England immer noch vom „Piraten im Dienste der Königin“ malt. Doch hat dies alles bestand vor dem erbarmungslosen Urteil der Geschichte? Vielleicht sagen sie: Er hat bewiesen, dass die Welt rund, dass sie eine Kugel ist! Du wirst Dich wundern, warum mich gerade jetzt diese Gedanken quälen: Ich weiß es nicht . . .
Ich weiß nicht, wie lange ich geschlafen habe, Liebes, aber Dein Held ist sehr verzweifelt. Was ist aus mir geworden? Ein Jammerlappen! Fast hilflos, wie ein alter Segler, der irgendwo gestrandet ist. Fieberwellen durchlaufen meinen abgemagerten Leib. Mein Geist denkt wirr: Solch ein Ende für einen gefeierten Admiral? Ja! Meine Gedanken trüben sich ein, dann, Stunden später, sehe ich wieder klar. Für ein paar Minuten keimt neue Hoffnung auf, um kurz danach zu erkennen, dass es keine Rettung gibt: Dein Mann und Admiral der Königin ist nur noch ein stinkendes Etwas. John schiebt mir ein Kissen unter meinen rechten Arm, damit ich noch schreiben kann. Die Krämpfe in den Beinen zeigen mir, dass ich noch lebe und gegen den Tod ankämpfe. Meine Füße sind doppelt so dick, ich kann sie nicht mehr anheben. John gibt mir Alkohol, in den er eine Droge mischt, wahrscheinlich Opium, um die Schmerzen im Unterleib zu lindern. Das hilft für eine gewisse Zeit . . . Aber ich erkenne: Was reif ist, ist schon halb verfault! Oder: Kaum ist der Verstand zu einer gewissen Reife gelangt, beginnt der Körper zu verwelken . . . Wir müssen diesen Bauchfluss endlich stoppen . . .
Heute erinnere ich mich – ich denke, ich habe einen klaren Moment - an unsere ersten Tage in Buckland im Jahre 1585, wie Du unsicher durch das große, fremde Haus geschritten bist. Ich zeigte Dir die Räume, unsere privaten Gemächer ebenso wie die Nebengebäude, Stallungen, Lagerräume. Buckland wirkte wie eine graue, große Festung auf Dich – von außen, aber als Du ins Innere kamst, merkte ich Dein Staunen über all den Luxus, der uns umgab. Wie gerne säße ich jetzt auf der Terrasse mit Dir, die von vielfarbigen Hortensien eingerahmt ist, ein Glas Wein vor uns, den Untergang der Sonne genießend. Es machte mir immer eine große Freude, wenn wir gemeinsam in den Weinkeller, ein großes, kühles Rundgewölbe, gingen, um einen guten Tropfen für den Abend auszusuchen. Manchmal liebten wir uns spontan dort auf dem kleinen Sofa. Weißt Du noch? Es war der Reiz des Verbotenen, der uns vereinte, denn wir wurden nicht einmal von einem Bediensteten zufällig ertappt. Wir waren aufgeregt, atemlos, vital und beeilten uns danach, mit zwei Flaschen wieder nach oben zu gehen. Es waren herrliche Momente, Augenblicke einer körperlichen Erfüllung und ein wohliger Kitzel, den wir beide genossen.
Ich schreibe wieder wie ein Verrückter, um mich wach zu halten. Ist es schon das erste Anzeichen eines Wahns? Oft unterbreche ich das Schreiben, schlafe nur kurz, fange erneut an. Meine Arme schmerzen, die Beine sind fast taub und geschwollen, ich schwitze vom Fieber. Mir ist von dem bestialischen Gestank an Bord noch übler. Wir liegen hier fest, angeschlagen und ohne große Hoffnung, doch noch Portobelo erobern zu können. Es fehlt der Wind, auch Poseidon und der Gott des Windes, Aeolos, scheinen uns verlassen zu haben. Meine Männer halten noch zu mir, sie spüren meine beginnende Schwäche. Mich plagt ein heftiges, ein verdammtes Feuer, das von der heimtückischen Ruhr, einem fürchterlichen Durchfall, herrührt, der auch unseren Vetter und Freund John Hawkins hingerafft hat. Ja, Liebes, John starb bereits im November . . . vor zwei Monaten. Wir haben erst vor drei Tagen von seinem Tod erfahren. Ich bin sehr traurig. Unser beider Ehrgeiz fordert nun den Tribut. John war ein feiner Kerl, ein mutiger Kapitän, ein reicher Pirat und ein unruhiger Geist. Wir beide mochten ihn sehr.
Ich fühle mich einsam, schuldig, depressiv und schwach. Den Blick auf das Ende zu werfen - es gibt in unserem Leben kaum etwas, das den Menschen schwerer fällt. Was passiert in meinem Körper, schlägt mein Herz noch? Sind die Glieder noch voll von Leben oder schon kalt geworden, abgestorben? Verliere ich den Verstand? Ich habe keine Angst vor dem Tod, aber ich bin unendlich traurig, von Dir getrennt zu sein. Von Dir und von unserem Kind. Wem ähnelt es? Schreit es, lacht es? Wir sind erst elf Jahre verheiratet, zu kurz, um zu sterben. Zu lang, um dem Glück entsagen zu müssen.
Ich habe mir mein Lager auf Deck aufschlagen lassen. In meiner Kajüte halte ich es nicht mehr aus. Tagsüber liege ich unter einem Sonnensegel, nachts – um etwas Kühlung zu bekommen, damit das Fieber erträglicher wird – starre ich in den Sternenhimmel. Ich blicke in die fremde, unendliche Weite des Himmels über mir und stelle mir vor, wo und wie ich dort bald sein werde. Oder ist für mich doch ein Platz in der Hölle reserviert? Für den Seeräuber Drake? So intensiv habe ich den Sternenhimmel lange nicht mehr beobachtet – wir beiden taten das am Anfang unserer Beziehung und später in den ersten Jahren unserer Ehe, wenn wir nach einem Liebesspiel ermattet am Strand lagen. Wie unbekannt die Welt über uns doch ist! Welch göttliche Macht hat das alles erschaffen und eine Gesetzmäßigkeit diesen Planeten verordnet, um das Chaos am und im Himmel zu vermeiden?
Ich beginne zu grübeln, zu zweifeln und frage mich: Wo ist unser aller Gott dort oben zu finden? Wo ist sein Reich mit all den Toten, die in den Himmel wollten und auch dort gelandet sind? Auf einem der Sterne? So intensiv ich auch nach oben starre, ich kann Gott nicht sehen, keine Engel, keine Heiligen – nichts, nur leuchtende Punkte in unterschiedlicher Größe. Irgendwie macht mir das Firmament Angst, nachdem ich des Nachts oft segelte und Kurs hielt. Wie viele dieser Sterne gibt es dort, welche sind der Himmel? Der Nordsternhimmel ist anders als der Südsternhimmel. Ich habe Probleme, das Kreuz des Südens zu erkennen. Ist dort das Königreich der Himmel zu finden, denn der Himmel ist ja nun geteilt in Katholiken, Protestanten, Sektierer, Mohammedaner, Juden, Buddhisten, Hindi – können die vielen Millionen Toten alle dort oben Platz finden? Ich bin verwirrt, je länger ich darüber nachdenke. Solche Gedanken hatte ich früher nie . . . Als junger Bursche war ich ein Suchender in einem Strudel der Gefühle, wie die meisten meiner Kumpane auch. Ich suchte nach meinem Platz im Leben, nach der Wahrheit, nach Antworten auf die vielen Fragen, die mir so durch das spätkindliche Gehirn schießen. Was ist richtig, was ist falsch, wohin führt mich mein Weg? Welcher Weg ist der richtige? Und wenn man zudem in einem streng puritanischen Haushalt aufgewachsen ist, der Meinungen und Antworten vorgibt und weitere Fragen als Provokation empfindet, wurde diese Suche zum dominierenden Inhalt eines jungen Lebens. Meines Lebens. Ich las viel und suchte nach Antworten. Ich kam mir vor wie in einem Steinbruch, suchte und fand den schweren Brocken, der meinen jugendlichen Wissendrang befriedigten konnte. Irgendwie war ich glücklich auf dieser Suche nach dem Sinn, nach dem Wo und dem Wie und dem Warum. Wie die meisten Menschen, so träumte auch ich von Erfolg und Macht, von Ansehen und Reichtum. Ich sehnte mich nach der eigenen Freiheit und einem von mir bestimmten Glück. All das habe ich erreicht und mit und in Dir gefunden. An ein Scheitern habe ich nie gedacht! Und nun dieses Ende . . . Aufstieg und Fall eines Heldenlebens?
Liebe Elisabeth: bete für mich! Ich glaube, unser gütiger Gott hat mich nun endgültig verlassen. Wir haben unser Ziel hier an der Küste von Panama nicht erreicht, wir haben verloren. Ich glaube, mein Stern sinkt, mein Ruhm verblasst. Ich bin sehr verzweifelt. Halte Dich künftig immer an die Königin, wenn Du Probleme hast. Sie wird Dich, unser Kind und unser Haus beschützen. Ich bin dann sehr weit fort von Euch . . .
Heute Morgen habe ich Gott verflucht, habe ihm meine Traurigkeit vor die Füße geworfen. Vielleicht war das falsch, aber ich spüre, wie ich schwach werde. Vielleicht war dieser Ausbruch ein letztes Aufbäumen, ein Schrei der Verzweiflung. Ich spüre den nahenden Tod, vor dem ich nie Angst hatte. Wir lachten über Freund Hein, machten unsere Witze über den Mann mit der Sense. Nun schreitet er suchend über mein Schiff. Der treue John hilft mir, so gut er kann. Ich sehe die Krankheit nicht als Strafe für meine Taten, meine Raubzüge, nein, so denke ich nicht. Ich hätte vielmehr zu Hause - bei Dir! - bleiben sollen! Mein Geburtstag – ohne Dich. Weihnachten – Ohne Dich. Ohne Dich. . .
Grausame Einsamkeit! Nun bin ich in der Karibik und sterbe langsam aber sicher vor mich hin. Ich habe das Gefühl, dass ich verfaule wie ein alter Braten. Das Schreiben macht mir letzten Mut, es lenkt mich ein wenig ab, obwohl ich Probleme mit den Augen bemerke. Mein Atem geht heute schwer, mal läuft mir der Schweiß in Bächen von der Stirn, mal friere ich sogar in der Karibiksonne. Unser treuer John kümmert sich mit Hingabe um mich, sein trauriges Gesicht verheißt nichts Gutes. Er weiß, wie es um mich steht. Ich verfluche die Abwesenheit von Dir – und unserem Kind. Der Gedanke macht mich verrückt, macht mich rasend. Ich glaube, ich spinne langsam. Meine Liebe zu Dir wird mit meinem Tod nicht aufhören, denke daran, Liebes. Ich wollte immer eine Familie haben, nun erlebe ich dieses Glück nicht mehr. Man sagt ja, glückliche Familien seien alle gleich langweilig, die unglücklichen unterschiedlich und damit interessanter. Ich bin da anderer Meinung: Meine Familie, meine Eltern und meine Geschwister, waren nie glücklich, sie glaubten das Glück durch ihren strengen Glauben gefunden zu haben – das war es aber auch schon. Es war ein Irrtum. Ich suchte mir damals mein eigenes, kleines Glück: Ich wurde als Kind schon zu einem Händler, ich verkaufte gesammelte Wildblumen an den Markteingängen, sammelte im Wald Eicheln, die mir die Schweinebauern abkauften, erntete mit Hilfe eines großem Holzkamms Wacholderbeeren, die ich in den Destillen anbot, wo sie zu Schnaps verarbeitet wurden. Ich tat das, um voran zu kommen . . . doch ich weiß heute: Ein Gentleman wird man erst in der dritten Generation!
Ich muss wieder geschlafen haben. Ist das schon der kleine Tod, von dem Homer sprach? Welcher Tag ist heute? Die Sonne geht am Horizont unter und hüllt den Himmel in ein gelbrotes Inferno. Wie schön unsere Welt doch sein kann! Oder ist es schon das böse Omen für einen neuen Weltenbrand? Unsere Flotte ist stark geschrumpft. Wir sollten heimkehren . . . Elisabeth, wir haben keinen Erfolg. Drake, der Versager! Das werden sie nun sagen, schreiben, berichten. Vielleicht verfluchen sie mich auch. Doch mich quält die Frage: Was wird aus England? Werden diese egoistischen Eliten, die nur an sich und ihren Wohlstand denken, das große Ganze aus den Augen verlieren? Bleibt die Königin stark genug, ihre, unsere Pläne zu verwirklichen? Wichtig ist vor allem, erinnere die Königin immer daran: Wichtig ist die absolute Vorherrschaft auf den Weltmeeren. Beherrschen wir die Ozeane, beherrschen wir die Kolonien. Sage diesen Satz ihr immer wieder, immer wieder . . . Nur so können wir die größte Weltmacht der Neuzeit werden, größer als Rom!
Ich vermisse Dich sehr, liebe Elisabeth! Ich vermisse Dein Lachen, Deine heilenden Hände und Dein Wissen über die heilenden Kräfte der Natur, die ich jetzt nötig hätte. Das Schreiben fällt mir heute sehr schwer. Ich trauere um einen weiteren Freund: Unser treuer Mestize Fernando ist gestern Abend verstorben. Ich bin sehr deprimiert. Seine letzten Worte haben mir gezeigt, was Freundschaft auch mit Menschen aus anderen Kulturen bedeutet. Er sagte: „Kapitän, Du hast mein Leben verändert, bereichert und bestimmt. Ich danke Dir dafür. Aber grüße Deine Frau, die schöne Lady Drake, den Engel von Buckland, dort, wo ich meine neue Heimat fand. Dort, wo ich mich wohl gefühlt habe und glücklich gewesen bin, dort, wo ich ein Mensch sein konnte. Kein Indio, kein Mestize, kein Sklave, kein Kuli.“ Dann starb er friedlich - mit einem Lächeln auf den Lippen.
Ob wir uns wiedersehen, liebe Elisabeth, weiß ich nicht. Vielleicht im Himmel . . . John McFinn, dieser bärige Schotte, ist noch wohlauf, kümmere Dich bitte um ihn, wenn er wieder wohlbehalten nach England zurückgekehrt sein sollte. Wenn Treue einen Namen hat, dann ist es der von John McFinn. Schenke ihm ein Schiff, mit dem er in seine schottische Heimat segeln kann! Er hat es mehr als verdient. Grüße bitte unsere vertraute Freundin, die Königin, von mir, von ihrem treuen Untertan, Kapitän und Seeräuber. Ich habe mein Leben als Seemann ihr und ihren Plänen gewidmet. Ich wünsche ihr weiterhin große politische Erfolge und den schnellen Aufbau eines mächtigen Empire . . . und grüße unseren lieben Freund William Shakespeare, den unsteten Wirrkopf, das große Genie. Ich hoffe, er wird eines Tages den großen Erfolg bekommen, den er verdient - und sein eigenes großes Theater, sein Globe . . .
Ich muss eine Pause einlegen, meine geröteten Augen schmerzen. Tränen trüben den Blick . . . Ich verfluche meinen Zustand, meine Schwäche . . . wie klein ein großer Held doch sein kann, wenn er verkümmert . . . im Angesicht des Todes ist ein Held kein Held, sondern ein hilfloser Mensch. Ich habe lernen müssen: Nicht jeder große Held ist ein großer Mensch. Ich muss für meine vielen Fehler um Vergebung bitten . . . Elisabeth, bete für mich!
Wie lange ich geschlafen habe, weiß ich nicht. John behauptet, es sei eine lange Ohnmacht gewesen. Ich versuche wieder zu schreiben . . . Habe ich nicht schon alles gesagt? Es ist ein merkwürdiger, ein langer Brief geworden, konfus und lang. Aber es muss sein, immer wieder: Ich liebe Dich sehr, ich vermisse Dich, Dein Lachen und Deine Zärtlichkeit . . . Deine Küsse . . . Deinen wunderschönen Leib, Deine gute Küche ebenso, alles an Dir . . . und ganz besonders Deinen Babybauch. Wir werden endlich ein Kind haben . . . und ich bin nicht dabei. Nenne den Sohn Tristan, wird es eine Tochter, nenne sie Vivian . . . ich bitte Dich.
Ich bin heute sehr depressiv. Ich glaube, ich habe den Verstand verloren. John tröstet mich, indem er von unserem Haus erzählt, von Dir, von unseren Reisen, von der Königin. Ich leide. Ich fluche. Ich sterbe. Mich plagen Gewissensbisse, Sorgen um Dich und um unser Kind, um England. Um die Zukunft. Das Schicksal nagt nun heftig an mir, ich verfluche es nicht, aber ich hasse es . . . so weit fort von Dir, meiner großen Liebe zu sein, von Euch! Erzähle unserem Kind von seinem Vater, der ein Pirat, ein Seemann und ein Patriot gewesen ist. Lese ihm meine Memoiren vor, eines Tages, wenn es soweit ist! Denke an mich, denke an unsere Liebe, an unsere Nächte!
Ich schrieb einfach nieder, was mir so einfiel. Vielleicht war es nicht richtig, manche Dinge so offen und ehrlich preiszugeben. Aber es war mein Leben. Ich bereue nichts! Die Frage, die mich hier, weit von England entfernt, neuerdings quält: War ich nur eine der Schachbrettfiguren unserer Königin? Wurde ich benutzt als ein williger Spielball ihres Hofes? Hintergangen von ihr, von Elisabeth? Niemand wird mir darauf Antworten geben können. Daher war es richtig, mein Leben niederzuschreiben, bevor andere es beurteilen werden. Ich bin eitel genug, Dich zu bitten, mir ein Standbild aus Bronze errichten zu lassen - an der Kaimauer von Plymouth. Stelle es bitte so auf, dass mein Blick nach Westen gerichtet ist, nach Amerika, wo ich die Zukunft Englands sehe. Ich weiß, es ist der eitle Wunsch eines eitlen, sterbenden Mannes. Gerade die Vielseitigkeit eines lieben Menschen aber ist es, die in Erinnerung bleibt. Es ist – wie ich es gerne nenne - die „kleine Unsterblichkeit“ eines jeden Menschen, es sind seine Taten und seine Werke. Das hat Bestand! Ich bin sehr traurig, leide unter den dunklen Gedanken, aber ich sage auch: Ich habe gelebt! Vielleicht habe ich der neuen Welt, trotz einiger Pleiten und Pannen, etwas geben können, was Bestand hat. Nicht nur die Kartoffel! Jedenfalls ist England keine verarmte Insel mehr! Im Gegenteil, England wird eines Tages der Stolz des alten Europa sein, mächtig, reich, unübersehbar. Eine große Nation. Ich hoffe nur, sie gerät nicht in die Hände von verantwortungslosen Hasardeuren.
Wenn ich Euch in diesen Tagen . . . von oben . . . betrachte, werde ich Euch optimistisch zurufen: „He, Ihr da! Grad in der schönsten Lebenspracht war es vorbei - es wurde Nacht. Doch strahle oben ich als Stern. Schaut auf! Ich grüße Euch von fern.“
Ich spüre, wie mein Leben zerrinnt. Elisabeth, Liebes . . . ein letztes Aufbäumen, ein letztes Lebewohl. An meiner . . . Schrift erkennst Du meinen Zustand. Die Kraft geht zu Ende . . . ich bin irgendwie schon tot. Ja, John muss den Brief . . . vollenden . . . . Elisabeth . . . ich liebe Dich! Ich küsse Dich! Dein Ehemann für immer . . . Dein sterbender, Dein schon gestorbener Francis.