Читать книгу Mein Name ist DRAKE. Francis Drake - Wulf Mämpel - Страница 9

EINS EINS.

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Buckland Abbey, Landsitz der Familie Drake.

Ich liebe dieses alte Gemäuer, seine grauen, verwitterten Steine, in denen man die Gesänge der Mönche noch zu hören glaubt, wenn man es denn vermag. Wo man das Lachen der Klosterbrüder wahrnimmt, wenn sie ihr selbstgebrautes Bier trinken. Oder die Gebete der Männer ahnen kann, wenn sie ganz nah bei Gott sein wollten. Ihr Flehen, ihre Inbrunst, wenn sie ihre Sünden beichten und ihre Verzweiflung, wenn ihre Geilheit sie heimsucht und keine Erlösung findet! Wenn sie sich mit der Peitsche ihre Rücken blutig schlagen, um Buße zu tun und Gnade zu finden. Eines fernen Tages. Klostermauern könnten sehr viel erzählen von Verführung, Liebe unter Männern, Vergewaltigung und sexuellen Abhängigkeiten. Mir sagen sie ab und zu: Lebe Dein Leben, Francis Drake!

Die Sonne, die den Himmel färbt, mit Farben, die kein Maler zu mischen vermag, stimmt mich froh. Endlich ist das verhasste englische Sauwetter, über das Fremde ständig Witze machen, vorüber. Ich liebe meine Heimat, mein Land und die Menschen – aber dieser Nebel und der ständige Regen sind dunkle Meilensteine, um trotz aller Begeisterung depressiv zu werden. Ist das schon eine erste Fehlinterpretation? Meine Frau Elisabeth, deren gleichbleibende Fröhlichkeit mich heute kaum anzustecken vermag, lächelt mich etwas gequält an und trinkt einen kleinen Schluck aus dem roten venezianischen Pokal, den ich ihr aus Venedig mitbrachte. Cheers! Zum Wein essen wir kleine, frischgebackene Eierkuchen mit Schmand und Marmelade. Dann fragt sie besorgt und blickt mich mit ihren schönen, wasserblauen Augen nachdenklich an:

„Glaubst Du denn all das, was die Leute der sogenannten Gesellschaft über sie erzählen?“

Ich schüttele belustigt den Kopf, denn ihre Stimme hört sich gereizt an, so, als ärgere sie der Klatsch, der über Königin Elisabeth verbreitet wird. Mein Frau setzt ihre zornige Rede fort: „Francis, Du kennst doch die Menschen und ihre Freude am Klatsch und an der üblen Nachrede und Du kennst die Königin. Das Gerücht ist ein beliebtes Gespenst, das immer dann und dort eingesetzt wird, wenn der oder die zur Zielscheibe werden soll, dem man schaden will. Ein Gerücht verbreitet sich schnell und findet dort bereitwillig Gehör, wo es willkommen ist. Wir Menschen sind offenbar gerne bereit, falsche Dinge gerne aufzunehmen – ein übler Charakterzug, gewiss, doch eben menschlich. Die Menschen ändern sich in dieser Beziehung nie, mein Lieber. Sie ziehen Leistung, Erfolg und Ehre in den Schmutz. Sie sind nun einmal respektlos und undankbar. Sie kritisieren aus der Ferne, ohne Amt, ohne Verantwortung. Wenn ich schon höre: Man sollte . . . So ist der dumme Untertan nun einmal! Das war zu jeder Zeit so. Die Menschen – egal welcher Klasse sie entspringen - neiden den Erfolgreichen den Erfolg. Es sind immer die gleichen Typen, die das tun, die in der Intrige ihre eigene Unzulänglichkeit überspielen und doch letztendlich scheitern. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf! Das wussten schon unsere Großväter. Es war übrigens noch nie eine englische Tugend, neidfrei auf Erfolg und Wohlstand und große Karrieren anderer zu blicken. Die Reichen und Erfolgreichen, also die Mächtigen, sind – egal was sie auch leisten mögen für ihr Land und damit für alle Bürger – eine stets angefeindete Minderheit. Das ist wohl so in allen Ländern unserer schönen Erde: Der Neid ist für viele eine Tugend geworden. Die Empörung der Gescheiterten, der Pfeifen und Pflaumen und Hinterbänkler folgt stante pede. Es ist ein Auf und Ab und es bleibt es auch zukünftig. Menschen zufrieden zu stellen, ist nicht möglich. Sie wollen immer mehr, sie sind nie zufrieden. Die Feinde vermehren sich weitaus schneller als die Freunde. Damit muss man leben können!“

„Ja, ich kenne diese große Gruppe Mensch“, antworte ich, „ich stamme ja selbst aus dieser Schicht, habe meine Herkunft aber nie verleugnet oder vergessen. Ich bekämpfe heute diese aufmüpfigen, militanten Plebejer, wo und wie ich es nur kann. Und doch können sie gerade in diesen wirren Tagen viel Unheil anrichten. Ihre Sprecher verführen ein Volk wider besseres Wissen, um an die Macht, um selbst an die fetten Fleischtöpfe zu gelangen. Ohne Arbeit und Streben. Sie handeln nach dem alten Neid-Rezept: Man nehme - am besten von den anderen, den erfolgreichen Reichen. So entsteht eine Ideologie der Miss-Günstlinge. Sie hat es zu allen Zeiten gegeben – heute sind sie aus vielerlei Gründen aktiv: Aus religiösen, machtpolitischen und - wie immer – aus persönlichen Gründen. Sie denken nicht an das Volk, das sie angeblich vertreten, sie behaupten Dinge, die nicht wahr sind und gehen dabei sehr geschickt ans Werk. Sie lullen die Menschen ein, indem sie Behauptungen als Wahrheiten hinstellen. Das Volk fällt immer wieder darauf herein, obwohl es gebildeter ist als noch im Mittelalter. Immer wieder erneut geht es den Rattenfängern auf den Leim, weil es nichts dazu lernt aus dem, was war und was ist. Die Scharlatane können Menschen in einen Krieg, in den Ruin, ja, sogar in den Selbstmord treiben.“

„Nur zu wahr, lieber Francis, denke an die grausamen Hexenprozesse, an die Verfolgung vieler unschuldiger Frauen, die vergewaltigt, gequält, deren Leiber geschunden werden mit heißem Stahl, denen Verhältnisse mit Satan nachgesagt werden. Wie sollen diese armen Frauen denn ihre Unschuld beweisen? Oft werden sie angeklagt, weil sie ihren Männern im Wege sind, weil sie aus nachbarschaftlicher Eifersucht und Missgunst der Hexerei angeklagt werden oder weil sie als Heilerinnen mehr wissen als die Ärzte und Mönche. Sie werden brutal aus dem Weg geschafft, es sollen inzwischen Tausende sein. Unter den Bürgern des Reiches herrschen große Angst und Schrecken, denn die fanatischen Hexenjäger hinterlassen eine Blutspur des Grauens. Das kann doch unsere Königin nicht gutheißen! Geheimdienstchef Walsingham und Lordkanzler Cecil treiben da, so vermute ich, ein grausames Spiel. Ich habe den Eindruck, sie führen inzwischen einen privaten Hexenkrieg, aus dem eine Art Sport geworden ist. Es ist schon schlimm: Der Mensch ist zu großen Leistungen fähig, aber auch zu großem Leid. Je älter ich werde, je mehr bin ich von der Gewalt entsetzt, die oft nur die Schwachen trifft. Kann das gut gehen für alle Zeiten? Werden die Menschen nicht eines Tages aufbegehren gegen die Tyrannen, gegen die Gewaltherrscher und Despoten? Die Menschen aus allen Schichten wollen doch nur Glück erfahren, wollen ihr Auskommen haben und glücklich sein. Glück und Liebe sind ja nicht nur die Privilegien der Reichen!“

Elisabeth und ich sitzen auf unserer großen Terrasse in bequemen Bambus-Sesseln, die ich aus der Karibik mitgebracht habe, und genießen die wärmende Sonne des Nachmittags. Die üblichen Frühjahrsstürme, die in diesem Jahr besonders heftig über unsere Insel fegten, weichen den freundlichen Maienlüften. Der Wonnemond, der Lenz ist da! Fernando Pareira, mein einarmiger Piratenfreund, der, wenn wir an Land sind, die Rolle eines treuen Butlers übernommen hat, bedient uns mit allem Respekt und liest uns jeden Wunsch von den Lippen ab, während der Pirat und Freund John McFinn erklärt hatte, er wolle sein Glück bei der Jagd auf Niederwild versuchen. Es hätte seit längerem kein Hasenragout mehr gegeben. . .

Elisabeth nickt. Sie blickt mich mit ihren schönen blauen Augen an, in denen ich einen Hauch von Ängstlichkeit erkenne: „Warum hast Du mir Deine Sorgen um unsere Königin so schonungslos erzählt? Ist sie in Gefahr? Schon wieder?“

„Eine Frau wie sie ist immer in Gefahr. Das ist unsere Zeit. Jeder kämpft gegen jeden, das geht bis in die untersten Schichten unseres Volkes. Neid macht gewalttätig. Sogar der Papst hat den Kirchenbann nach der Hinrichtung der Mary Stuart über sie verhängt: Sie sei, so der Pontifex, die angebliche Königin von England, sie sei eine Dienerin des Bösen , ja, des Teufels selbst. Ihre Thronansprüche seien unrechtmäßig und deshalb sei sie zu recht exkommuniziert. Das erfreut natürlich die Katholiken in Europa. Stell Dir vor, der Papst fordert sogar uns Engländer auf, unseren Treueeid gegenüber der Königin zu brechen, sie als Usurpatorin zu stürzen oder, man glaubt es kaum, zu töten. Was ist das nur für ein Christentum, was ist aus der Nächstenliebe geworden? Es geht noch weiter, Elisabeth: Wer sie schützt, also wie wir beide, verfällt selbst dem päpstlichen Bannfluch. Also sind auch wir irgendwie gefährdet. Man nennt das wohl vogelfrei.“

Elisabeth blickt mich entsetzt an: „Woher weißt Du das?“

„Ich weiß es . . . von ihr selbst.“

Ich nehme meine Frau kurz in den Arm, um sie zu beruhigen. Dann stoßen wir beide an und lachen wieder. Ich fahre dennoch nachdenklich fort: „Elisabeth und ihre nachzuweisenden Erfolge wecken Neidfantasien und Raubgelüste. Bei Herrschern ist das ja generell der Fall. Ihr Vater, aller teuflischen Sünden, besonders der der Fleischeslust, völlig verfallen, musste sich ständig neuen Attentaten erwehren. Der maßlose Weiberheld und Sadist, sein Hofmaler Hans Holbein reiste durch Europa und musste willige Kandidatinnen für des Königs Lotterbett porträtieren, um ihm dann die Bewerbungsbilder der Damen zu präsentieren. Was für ein raubtierhaftes Gehabe! Ebenso diensteifrig war sein brutaler Kettenhund Thomas Cromwell, der missratene Sohn eines dummen Schmiedes. Er ließ Menschen auf brutalste Art zu Tode rösten. Er war der Hexenmeister! Der Teufel war in ihm wiedergeboren, sagt man heute über ihn. Ich weiß nicht, wie viele Mordanschläge allein er überlebte, denn der Zorn – besonders der Adeligen im Reich – wurde immer größer. Er terrorisierte seine Umwelt so lange, bis der König ihn köpfen ließ. Gewalt und Gegengewalt bestimmen ja durchaus oft die Regierungszeit eines Königs – und einer Königin. Nur, wer einen König, in diesem Fall unsere Königin, ermorden will, der muss das Zeug dazu haben. Bisher sind alle Versuche gescheitert - und es sind nicht wenig! Die lange englische Historie ist voll von Morden in den königlichen Dynastien. Der Bruder tötet den Bruder – wie Kain den Abel. Seit diesem biblischen Ereignis ist das böse Spiel der Neider, Emporkömmlinge, enttäuschten Günstlinge, falschen Berater und Freunde, ja, sogar Familienmitglieder aus königlichem Haus, keine Ausnahme: Sie morden mit Dolch, Schwert, Pistole und Gift. Ich denke, es wird immer so sein. Nero hat in jeder Zeit einen Nachfolger! Heute aber weiß ich es genau: Die Königin ist in höchster Gefahr. Ich habe Kenntnis von einem geplanten Attentat, das die schottische Katholikin Mary Stuart noch vor ihrem Tode veranlasste: Einer ihrer Mordbrenner, sie sandte gleich mehrere aus, konnte durch unsere Spionageabwehr gefasst und sofort hingerichtet werden, nachdem er gestanden hatte, im Auftrage der Mary Stuart zu handeln. Die anderen haben wir noch nicht erwischt.“

„Mich würde mal interessieren, wie Elisabeth über ihren Vater denkt!“

„Nun, wie jede Tochter bewundert sie ihn sogar ein Stück weit, vielleicht kennt sie aber auch nicht sein wahres Gesicht oder verdrängt es. Fest steht, sie ist Zeit ihres Lebens von Feinden umgeben. Ihre königliche Habschwester, man stelle sich das vor, lässt sie in den Tower sperren, der Papst schließt sie aus der Kirche aus, ihr spanischer Schwager, König Philipp, droht ihr, eine gewaltige Flotte in den Kanal zu entsenden, um England zu erobern, doch sie übersteht alle diese Angriffe bisher unbeschadet.“

„Ja, es ist kaum zu fassen: Trotz dieser Unbill ist es ihr gelungen, den Grundstein für ein neues Weltreich zu legen. Ich sage es deutlich: Ich bewundere diese Frau, nicht nur, weil ich zu ihren wenigen echten Freundinnen zähle, die offen mit ihr reden können. Doch beim Thema Hexenverfolgung sind wir sehr kontrovers. Ich habe beschlossen, dieses Thema künftig auszuklammern. Es wird ihr peinlich, doch ich glaube, sie lässt diese Welle der Vernichtung zu, um ihrerseits freie Bahn für ihre großen Pläne zu haben. Dennoch ist das Handeln barbarisch! Sogar Priester werden im Rahmen dieser Katholikenhetze gevierteilt. Das ist doch barbarisch, mittelalterlich und passt nicht in unsere angeblich aufgeklärte, moderne Welt. “

Ich proste meiner Frau zu. Sie verteidigt die Königin oft gegenüber den unbotmäßigen schandmäuligen Angriffen anderer, die über den Spitznamen „Virgin Queen“ insgeheim lachen. Meine Frau nennt Elisabeth eine Ikone, die eigenwillig und brutal auf der einen, behutsam auf der anderen Seite ihren Weg geht. Sie sei ein sakrosankter, protestantischer Gegenpart der Jungfrau Maria, meinte unser Freund Shakespeare vor kurzem, als wir über die Königin sprachen, was wir oft tun. Aber sie ist auch von einer Härte erfasst, wenn es darum geht, Verräter zu bestrafen. In allen wichtigen Fragen bespricht sich Elisabeth mit William Lord Cecil. Er ist ihr Berater von frühester Jugend an. 1571 erhält er von Elisabeth den Titel Earl of Exeter. 1572 wurde er zum Lord Schatzmeister befördert. Seinen alten Posten als Chefsekretär erhielt danach Sir Francis Walsingham, der seine Stellung umgehend nutzte, um den englischen Geheimdienst weiter auszubauen. Er gilt als der Erfinder der modernen Spionage. Ein fähiger Mann, gewiss, doch ewig mürrisch, ein Rattengesicht und mir wenig sympathisch. Er war es, der als erster die Informationen über die unmenschliche Aktion des französischen Königs besaß, als dieser gnadenlos die Protestanten in seinem Land abschlachten ließ, als in der Bartholomäus-Nacht im Jahre 1572 etwa 6000 Protestanten diesem religiösen Wahn zum Opfer fielen. Der Massenmord in Paris und in anderen Teilen Frankreichs belastete natürlich das Verhältnis zwischen England und Frankreich sehr. Dieses Zerwürfnis nutzte der spanische König, um gegen England vorzugehen, zumal unsere Kaperfahrten und die Hinrichtung der schottischen Königin Maria Stewart den Zorn des despotischen Spaniers steigerten.

Ich weiß es genau:1586 wurde Maria Stuart wegen mehrerer Verschwörungen angeklagt, die das Ziel hatten, Königin Elisabeth zu ermorden und sich selbst auf den englischen Thron zu bringen. Maria Stuarts Beteiligung konnte einwandfrei durch verschiedene von ihr verfasste Briefe nachgewiesen werden. Im Oktober beschlossen daher das Ober- und Unterhaus gemeinsam ihren Tod durch das Beil. Königin Elisabeth ließ im Parlament nachfragen, ob es keine andere Möglichkeit gebe, als Maria zu töten. Ihr Unbehagen vor diesem letzten Schritt und ihr jahrelanges Zögern erklären sich durch ihren tiefen Glauben an das göttliche Recht eines Monarchen und dementsprechend durch die Auffassung des Königsmords als Verstoß gegen die göttliche Ordnung. Das Parlament überzeugte sie jedoch davon, dass die ständige Bedrohung, die Maria Stuart als Galionsfigur der katholischen Opposition darstellte, nur mit ihrem Tode zu beenden war: Am 8. Februar 1587 wurde Maria enthauptet (darüber werde ich noch im Detail berichten).

Ich erkläre meiner Frau die aktuellen Hintergründe immer gerne, weil ich das Gefühl habe, dass sie mich und mein Handeln dann besser versteht: „Die Raubzüge der englischen Freibeuter und die Hinrichtung Maria Stuarts gaben dem spanischen König Philipp II. natürlich den Anlass, eine Invasion in England zu planen. Doch während Philipp eine große Seestreitmacht ausrüstet, habe ich der Königin ein Unternehmen vorgeschlagen, mit meiner kleinen Flotte in den Heimathafen der spanischen Schiffe einzulaufen, um sie dort zu zerstören. Also noch bevor die Armada auslaufen wird. Ich denke, dieser Plan wird ein großer Erfolg und verschafft uns Zeit, unsere eigene Marine zu verstärken.“

„Wie findet Elisabeth Deine Idee?“

„Aus mehreren Gründen willigte sie ein. Die Schwächung der Spanier, wenn wir zwanzig bis fünfzig Schiffe zerstören und damit zusätzlich auch noch die Häfen durch die Wracks blockieren, ist eine Sache. Der zweite Vorteil: Unser Einsatz lenkt von den innenpolitischen Schwierigkeiten ab und soll das Volk zusammenhalten. Der unsinnige Glaube an die Magie des Bösen, verbreitet sich zurzeit wie eine Feuersbrunst in unserem Reich. Es ist der Wahn der Gewalt und Verfolgung. Tausende sterben für ihren Glauben auf beiden Seiten. Die Obrigkeit lässt die grausame Folter zu: Hilflosen Menschen werden Gliedmaßen und Geschlechtsteile abgehackt, Köpfe rollen in großer Zahl. Die Folter mit Feuer und Klingen ist nicht abgeschafft worden, weil die Königin diese Methode für notwendig hält, um ihre Herrschaft von Beginn an zu sichern. Und doch hat sie inzwischen ihre Regentschaft fest im Griff, ihre Macht ist unangefochten. Trotz der vielen brutalen Angriffe auf ihre Person und die Attentatsversuche.“

Ich ergänze gut gelaunt: „Ja, Liebling, sie hat unser Reich verändert zu einer inzwischen unabhängigen Nation, sie ging dabei sehr professionell, eigenwillig und auch rücksichtslos vor, was viele überrascht hat. Doch sie verfolgt unbeirrt aller negativen Meinungen über sie - auch aus den Königshöfen Europas - ihr Ziel und darf doch nicht ihrem Herzen folgen: Eine Seemacht auf dem Weg zu Weltmacht. Ihre Politik der Stärke wie der Diplomatie und Klugheit haben ihr Weltgeltung verschafft. Das war nicht leicht, denn die vielen Demütigungen innerhalb der Familie und die zunächst herablassende Meinung des Adels, das „Kind“ sei nicht in der Lage, das Königreich zu regieren, schienen oft ihr Ziel in weite Ferne zu rücken. Sie erlitt Niederlagen, Enttäuschungen und erlebte den Verrat in unmittelbarer Nähe.“

„Nun, mein lieber Francis, Du bist ja auch sehr gefährdet: Der spanische König hat, so seine letzte Offerte, für Deine Ergreifung die doch recht stolze Summe von 20 000 Golddukaten ausgesetzt. Das macht manchen ehrbaren Mann zu einem Verräter.“

„Vielleicht habe ich ja Glück, dass dies nie geschieht. Der spanische König ist ein finsterer Geselle, doch er verkörpert das spanische Ideal. Nur ist bei ihm alles übertrieben: Er pflegt seine Unnahbarkeit, seine Einsamkeit, den religiösen spanischen Absolutismus, der sich auch im normalen Leben ausbreitete, in der Mode, im Baustil, in der Arroganz des ständigen Siegers. Doch das wird sich ändern. Wir werden dafür sorgen, dass der neue Kontinent Amerika im Norden nicht ausgebeutet wird, wie es die Spanier im Süden veranstaltet haben, wir werden den Norden Amerikas zu einem abendländischen Kontinent machen. Mit all den Errungenschaften, die wir schätzen. Das unterscheidet unsere Königin von diesem hartherzigen Regenten, der den puren Katholizismus über die Menschen der bekannten Welt ausgießen will – mit Feuer und Schwert, mit Folter und Scheiterhaufen. Er bezeichnet sich selbst als der bedeutende Gegenreformator, der von Gott ausgewählte Anti-Luther. Die Spanier sind für ihre Härte bekannt, gerade gegenüber der Bevölkerung eroberter Länder. Sie haben Südamerika ausgeplündert und die Menschen abgeschlachtet. Sie werden eines Tages eine verbrannte Erde hinterlassen, wenn ihr unbestritten riesiges Reich und ihre Macht untergegangen sind. Die Menschen dieser geschundenen Länder werden die Spanier verfluchen, ihren Glauben und ihre Weltanschauung. Südamerika wird ein ständiger Unruheherd, davon bin ich überzeugt. Ich hoffe nur, wir machen nie die gleichen Fehler. Sie haben auch die Niederlande so behandelt, als wäre es eine Negerkolonie. Der verhasste Herzog Alba hinterließ eine Blutspur, die schließlich zur Revolte führte. Eines Tages stehen die unterdrückten Menschen auf, um ihre Ketten abzulegen. Das zeigt uns der Blick in die Geschichte. Jede Kette bricht, wenn das Maß voll ist. Ich weiß, dass mich die Spanier am liebsten vierteilen würden. Aber unsere Wachen sind fit und ich bin, wie Du weißt, an Land immer sehr vorsichtig.“

Ich genieße diese Gespräche mit meiner Frau, weil sie früher selten waren. Doch heute ist es Vergnügen, mit ihr die Probleme unseres Alltags zu besprechen: „Besonders in London ist es zurzeit gefährlich. Viele Fremde sind in der wachsenden Stadt, deren Handel sich immer mehr ausdehnt. London explodiert, der Handel verändert die Stadt, sie wächst zu einem Zentrum heran, neue Häuser werden gebaut, Gaststätten und Herbergen schießen wie Pilze aus dem Boden. Die Kaufleute werden reicher, es soll sogar an guten Seeleuten fehlen. Manch ein Posten an Bord kann nicht besetzt werden. Und was viel schlimmer ist, die Laster beherrschen die Menschen: Habgier, Wollust, Zorn und Völlerei – den Menschen ist keine Todsünde fremd.“

„Und dennoch schleicht ein Gerücht durch die Straßen, durch die Villen und Paläste wie ein saugender, gieriger Wurm: Wird es Krieg geben, Francis?“

Ich staune über die Frage, denn bisher konnte ich die Gerüchte über eine drohende Kriegsgefahr in unseren Gesprächen ausklammern. Doch Elisabeth war vor einer Woche in unserer Londoner Stadtwohnung gewesen und an einem Nachmittag zum Tee bei der Königin eingeladen. Ihre Frage ist wohl das Ergebnis dieses Ausflugs.

„Ja, es wird Krieg geben! Auch weil wir den Aufstand der besetzten Niederlande unterstützen und dem Statthalter Herzog Alba viele Sorgen bereiten. Spanien will England erobern und zu einer katholischen Kolonie herabstufen. Das wird niemals geschehen!“

Ich gieße unsere beiden Gläser erneut voll und gehe nervös auf und ab: „Der Krieg ist nur noch eine Frage der Zeit. Unsere Spione haben definitiv erfahren, dass der spanische König die Eroberung unseres Reiches plant. Elisabeth, es geht dabei nicht um ein kleines Seegefecht. Philipp will England besetzen! Stell Dir das nur vor. Dieser katholische Falschspieler! Vor einigen Jahren wollte er die Königin noch heiraten, doch sie gab ihrem Schwager damals einen Korb. Was er durch Heirat nicht erreichen konnte, will er nun mit seiner riesigen Armada erledigen, denkt Elisabeth. Spanien ist immer noch die größte Seemacht der Welt, wir haben zwar aufgeholt, doch es reicht noch nicht, um der Aggression stand zu halten. Wir bauen täglich an neuen Schiffen, setzen das gesamte Gold ein, das die „Seefalken“ den Spaniern abgenommen haben. Unsere Werften arbeiten wie wild an der neuen englischen Flotte.“

„Was bedeutet das für uns . . . für Dich und mich?“

„Ich bin Admiral, Liebling. Ich werde ein Kommando übernehmen, ganz sicher. In den letzten Monaten haben erste geheime Konferenzen stattgefunden, von denen ich Dir ja erzählte. Die Pläne reifen nun noch schneller. Die Königin ist zwar bemüht, ihr diplomatisches Geschick spielen zu lassen, um Zeit zu gewinnen, was ihr ja bisher gut nutzte, doch ich bezweifle, dass der Spanier sich weiter täuschen lässt.“

„Nun, dass der Habsburger verärgert ist, kann ich verstehen: Ihr habt ihm gehörig in die Goldkiste gegriffen. Du und Deine Piraten-Freunde, die berüchtigten Seefalken. Kein spanisches Schiff war vor euch sicher. Und Du vorne weg, Du und John Hawkins.“

Elisabeth lacht und kommt langsam auf mich zu. Sie nimmt mich in den Arm und flüstert: „Du großer Freibeuter, Du hast auch mich gekapert.“ Wir küssen uns lange. Ich spüre ihr Verlangen in dem Moment, als John McFinn ins Zimmer stürmt und voller Freude berichtet, dass er zwei Hasen geschossen habe, die bereits in der Küche verarbeitet würden. Jetzt erst spürt der treue Kumpel, dass er stört und verschwindet schnell von der Terrasse.

„Ich muss es immer wiederholen: Wir müssen schneller sein als die Spanier, unsere neuen Kriegsschiffe sind leichter und wendiger, das ist unser Vorteil. Vor allem ist es auch von großer Bedeutung, dass wir unsere Küsten schützen, also eine wichtige Aufgabe für die Generäle der Landtruppen. Die Häfen müssen noch besser gesichert werden. Wir müssen Soldaten rekrutieren und vieles mehr.“

„Wann . . . wann wird es so weit sein?“

„Ich weiß es nicht. Unsere Spione sind in vielen spanischen und französischen Häfen eingesetzt. Jede für uns wichtige Bewegung wird gemeldet. Sir Francis Walsingham, dieser clevere Jurist und Witwentröster, er heiratet nur Witwen, leistet gute Arbeit, obwohl ich den Kerl nicht leiden kann. Er ist ein ekeliger Bursche, verklemmt und spießig, aber sehr erfolgreich. Spione sind für mich irgendwie auch immer Verräter. Aber . . . seine geheimen Truppen, die er überall in Europa einsetzt, haben schon mehrere Attentate auf die Königin vereitelt. Das muss man anerkennen. Nun nützt er uns mit Informationen über unsere Gegner. Wir erwarten seine Berichte aus den feindlichen Häfen mit großer Neugierde. Ohne diese Spione wüssten wir nur wenig über die spanischen Pläne.“

„Es wird wieder viele Tote geben, Francis, – auf beiden Seiten. In einem Krieg leiden die Mütter und Ehefrauen am meisten, wenn ihre Söhne und Männer sterben. Auch ein Sieger ist irgendwie immer ein Verlierer. Hoffentlich geschieht Dir nichts. Ich möchte mein Glück mit Dir nicht verlieren . . . wegen dieser brutalen Spanier. Ich sehe aber ein, dass ein Land sich verteidigen muss. Du wirst mal wieder gebraucht. Ich möchte ja ebenfalls nicht eines Tages unter der spanischen Knute leben.“

„Wir müssen schneller sein als die Spanier, wir müssen ihnen zuvorkommen. Ich habe einen Plan, der sie überraschen soll: Wir werden sie in ihren heimatlichen Häfen angreifen und einen Teil ihrer Armada zerstören. Das ist mein Plan, den ich mit John und Walter Raleigh besprochen habe.“

„Ja, Du und John Hawkins und Walter, Ihr seid die Haudegen der britischen Flotte. Das Trio Infernale. Ich habe Angst um Dich.“

„Nun, wir sind erfolgreich, das ist wohl wahr. Ich denke, es wird bald soweit sein. Den Gegner zu überraschen, das ist mein Handwerk. Außerdem will ich Branderschiffe ausprobieren, brennende Schiffe, die wir in die Häfen treiben lassen, um die Schiffe unserer Feinde in Flammen aufgehen zu lassen und sie zu versenken, ohne dass wir kämpfen müssen.“

„Ich mache mir große Sorgen um Dich, Francis. Du hast in letzter Zeit hier in Ruhe leben können. Nur wird unser Leben wieder gefährlich werden. Ich habe Angst.“

„Mir wird nichts geschehen!“

X

Heute lasse ich mich von Fernando Pareira mit einem zweisitzigen Gig an den Strand südlich von Plymouth fahren. Ich kenne dort eine Stelle, die sehr einsam ist und wo ich oft schon trainiert habe, was ich heute ebenfalls plane. Es gibt solche Tage, da muss ich mich körperlich betätigen. Mir bekommen die Steinwurfübungen, die ich selbst für mich entwickelt habe, sehr gut, weil sie meinen ganzen Körpereinsatz erfordern. In meiner Begleitung sind entweder Fernando oder John. Sie trainieren dann ebenfalls ihre persönlichen Kampf- und Fitnessübungen. Außerdem bewundere ich an dem paradiesischen Ort die Farben des Meeres, die in dieser kleinen, steinigen Bucht besonders intensiv leuchten. Ich genieße den Geruch des Meeres, diese Mischung aus Salz, Fisch und Tang. Ich liebe die Geräusche, das monotone Krachen der großen Wellen, ihre unendliche Wiederkehr, die jede Zeitvorstellung sprengt. Den gleichen Effekt erlebe ich, wenn ich in die Feuer meiner Kamine starre. Wasser und Feuer – zwei Elemente, die mich faszinieren. Elemente, die mich beruhigen, hier kann ich vor mich hin dösen, Konzepte entwickeln und maßlos träumen.

Vor Jahren habe ich hier einen Landschaftsmaler getroffen, der Farbskizzen für ein großes Ölbild anfertigte. Ich habe seinen Namen vergessen, er soll aber in Italien, in Florenz, eine Karriere gemacht haben. An diesem Teil der Küste, sind die Wellen besonders mächtig, das Schwimmen erfordert daher eine gute körperliche Verfassung. Dieser stille Ort wird kaum von Menschen besucht, weil er außer der wilden Romantik wenig attraktiv ist. Ich hörte von Schmugglern, die vor Jahren an dieser Stelle ihre erbeuteten Waren an Land brachten. Meist wehen hier raue Winde, was ich liebe. Auch der gelbweiße Sand ist hier grobkörniger als an anderen Stellen. Das einzige, was diese Einöde an Land wirft sind Holzstämme und Berge von Muscheln, über die sich die Möwenschwärme freuen, die sich mit ihren kreischenden, wehklagenden Lauten voller Freude auf die tägliche Mahlzeit stürzen.

Wir sind heute ohne Eskorte unterwegs, was sicher leichtsinnig ist. Ich habe von Überfällen auf Landhäuser gehört, von Attacken auf Kutschen, Reitern und sogar auf Gottesdienstbesucher. Es sei zu Morden und Brandstiftungen gekommen. Auch an den Stränden und in den Wäldern soll es neuerdings Gesindel geben, das dort sein Unwesen treibt. Das Parlament verschärfte inzwischen die Gesetze, doch die Angst geht um im Reich. Ich selbst habe eine Aufstockung der Patrouillen angeordnet, um unsere Häfen besser zu schützen, denn auch dort hat es schon Gewalttaten gegeben. Vor zwei Monaten wurde eines unserer Schiffe durch gezielte Brandpfeile zerstört. Wir konnten zwei spanische Matrosen fangen und hinrichten, die in der Folter gestanden hatten, im Auftrage eines spanischen Admirals gehandelt zu haben. Zurzeit scheint es etwas ruhiger geworden zu sein, doch das kann täuschen. Das Böse ist immer und überall! Eine große Anzahl von Wegelagern, Dieben, Mördern und Betrügern wurde inzwischen hingerichtet oder zu grausamen Strafen im Schnellverfahren verurteilt: unter anderem zur Schwerstarbeit in Steinbrüchen und in den walisischen Zinn-Bergwerken.

Fernando packt den Inhalt seines Korbes aus, den er in unserer Küche hat bestücken lassen: Kaltes Huhn, ein Stück Schweinebraten, Brot, Obst, Küchlein, eine Flasche Wein: „Was darf es sein, Kapitän“, fragt er fröhlich. Ich antworte streng: „Nach der Arbeit kommt das Essen!“

Die geplante Strandwanderung verschieben wir erst einmal und beginnen bei herrlichem Sonnenschein mit dem Training: Fernando wirft mir in regelmäßigen Abständen mit seinem rechten Arm mittelgroße Kiesel zu, die ich auffange und mit all meiner Kraft weit von mir werfe. Diese Übung ist für mich einfach und effektiv, sie stärkt meine Muskeln und meine Reaktionsfähigkeit. Nach einer halben Stunde schwitze ich kräftig. Ich ziehe mich nackt aus und gehe in die Wellen, dann schwimme ich einige Meter entlang des Strandes und wir beginnen mit der Steinaktion von neuem. Dreimal Wurfübungen, dreimal schwimmen – dann fallen wir über die Köstlichkeiten aus unserer Küche her. Wir lagern uns in den Schatten eines mächtigen Granitfelsens, um uns zu laben.

Fernando fragt vorsichtig: „Ich habe von John gehört, dass die Spanier uns bedrohen. Sollte ich selbst in England keine Sicherheit vor diesen Ausbeutern finden? Ich kann es nicht glauben, Kapitän.“

Ich habe eigentlich keine Lust auf ein Gespräch, weil ich nachdenken möchte, nur in die Wellen starren will, was ich gerne tue. Doch das sorgenvolle Gesicht meines treuen Mestizen veranlasst mich zu antworten: „Ja, Fernando, es wird Krieg geben müssen. Spanien will tatsächlich unser Inselreich erobern. Wir werden Arbeit bekommen, Fernando. Ja, es stimmt, was John Dir erzählt hat. Wir sind bereits mitten in den Vorbereitungen für einen großen Seekrieg mit den Spaniern. Wann das sein wird, steht noch in den Sternen.“

Fernando zeichnet mit seinem linken Hakenarm ein Symbol in den Sand: einen Totenkopf mit zwei Knochen. „Sind sie stark genug . . . die Spanier, um England gefährlich zu werden? Stärker als wir?“

„Sie sind sehr stark, Fernando. Es wird schwer . . .“

„Aber wir haben Kapitän, pardon, Admiral Drake. Sie haben keinen Dragon. Ihre stolzen Nasen werden bluten.“

Ich muss lachen, denn Fernandos Formulierungen sind eigenwillig. „Sie werden sich ihre Hintern verbrennen. Das weiß ich.“

Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn plötzlich bemerke ich, wie mich jemand an den Schultern schüttelt. Fernando flüstert leise: „Wir werden beobachtet. Zwei Männer, dort drüben in den Dünen.“

Langsam ziehe ich meine Toledo-Klinge aus der Scheide. Fernando hat bereits zwei seiner gefürchteten Wurfmesser neben sich in den Sand gesteckt und seine Pistole bereit gelegt. Dann höre ich Stimmen, verstehe aber nichts. „Sie liegen jetzt dort hinter den Felsen, die Brandung übertönt alle Geräusche . . . gut für uns.“ Ich gebe Fernando ein Zeichen. Der treue Mestize nickt grinsend. Er will links, ich rechts um den Felsen herum unseren Angriff starten. Leise sage ich: „Klar zum Entern . . .“

Fernando nickt mir zu. Dann stürmen wir beide los. Unsere Überraschung gelingt, die Wegelagerer blicken entsetzt auf. Etwa zehn Meter vom Felsen entfernt stellen wir die beiden etwa 30 Jahre alten Banditen. Einer von ihnen hebt seine Pistole, bevor er aber abdrücken kann, trifft ihn der Wurfdolch Fernandos in den Hals. Stark blutend bricht der Angreifer zusammen. Der zweite Mann stürmt mit einem großen Säbel auf mich zu, doch nach einem kurzen Gefecht trifft ihn die Spitze meiner Klinge in sein linkes Auge: Sie fährt in seinen Schädel und ragt am Hinterkopf heraus. Seine letzten Worte verstehe ich: „Madre mia!“ Fernando sagt gelassen: „Keine Gegner für uns, Kapitän.“

Ich untersuche die beiden Leichen und stelle fest, dass dies keine armen Schlucker waren – ihre Kleidung ist aus wertvollem Material und die zwei Geldbeutel der beiden sind prall gefüllt. Sie müssen es auf uns abgesehen haben! Dies war also ein gezielter Auftragsüberfall, denke ich. Fernando säubert seinen Dolch und meint: „Wurden sie geschickt?“ Ich zucke mit der Schulter: „Sehr gut möglich. Einer der beiden sprach sicher Spanisch. Es wird schwer sein, die Hintermänner zu entlarven und ihre Identität festzustellen. Lass sie uns begraben.“

Später, als wir in dem Zweisitzer den Heimweg antreten, meint Fernando: „Es waren die verhassten Spanier!“

Ich antworte: „Es waren Spanier, mein Freund. Doch kein Wort zu meiner Frau. John McFinn unterrichte ich selbst.“

Noch am gleichen Tag organisiere ich den Wachdienst auf meinem Landsitz neu. Außerdem heuere ich vier neue Wachsoldaten an, was meiner Frau natürlich sofort auffällt: „Gibt es einen Anlass, dass Du die Wachen verstärkst?“

„Sicher“, antworte ich, „die Überfälle in England nehmen zu. Also müssen auch wir auf der Hut sein. Ich möchte nichts unterlassen, um unsere Sicherheit möglichst perfekt zu machen. Ich habe heute eine Depesche erhalten, die vor weiteren Überfällen auf die Güter und Wohnsitze der britischen Elite hinweisen. Die Lage wird langsam ernst.“

„Was bedeutet das für uns, Francis?“

Ich sehe die Angst im Gesicht meiner Frau. Ich antworte: „Es wird ernst Liebling. Die Lage mit Spanien entwickelt sich zu einer kaum noch zu überbrückenden Lage: Es wird Krieg geben. Nun bin auch ich davon überzeugt.“

Wir hatten mehrfach diese Möglichkeit diskutiert, doch noch nie sind die Anzeichen so klar zu erkennen wie jetzt. Einen Tag später erhalte ich Order, mich unverzüglich in den Palast zur Königin zu begeben, wo in vier Tagen eine Konferenz des Kriegsrates stattfinden soll. Meine Gedanken rasen. Zum Schreiben komme ich in dieser Zeit nicht. Königin Elisabeth will von mir ein Konzept, sie will genau wissen, was wir planen und unternehmen können, wenn es zum Krieg kommt. Noch, so erfahren wir sehr bald, gibt es keine konkreten Hinweise auf eine zeitnahe Invasion. Doch es gibt viele Gerüchte, die uns die Spione von Sir Walsingham bestätigen. Der Spionagechef gibt sich bei unseren Konferenzen stets sehr geheimnisvoll, vielleicht will er sich auch nur wichtigmachen! Niemand erfährt in diesen Tagen meine geheimen Pläne, weder meine Frau, weil ich sie nicht unnötig beunruhigen will, noch John Hawkins, noch meine Königin. Ihre mir bekannte Ungeduld könnte mein Vorhaben eventuell gefährden. Der Zustand und die Stärke der britischen Flotte lassen noch nicht zu, dass ich meine Pläne durchführe. Klar ist aber: Wir müssen Zeit gewinnen, müssen die Spanier hinhalten oder mit Diplomatie besänftigen. Das wird Aufgabe der Königin sein. Würde mein aktueller Plan bekannt, wäre der kalkulierte Effekt nicht zu erreichen. Nur ein Mann erfährt, was ich vorhabe: Mein langjähriger Vertrauter, Butler, Pirat und Freund John McFinn, mit dem ich seit Jahren alle erfolgreichen Fahrten, Korsarenstücke und Seegefechte Seite an Seite erfolgreich durchgeführt habe. Es dauert eine Weile, ich bin inzwischen aus London zurück, bis ich eine passende Gelegenheit finde, John einzuweihen: Auf einem gemeinsamen Jagdausflug erzähle ich dem treuen Schotten meine Vision. Wir haben bereits zwei Wildschweine erlegt, John in alter Tradition mit einer Saufeder, deren Handhabe er perfekt beherrscht, ich mit einem glatten Blattschuss meiner Flinte. Wir legen eine Pause auf einer kleinen Lichtung ein, in der wir uns mit Bier und Wurst stärken. Als ich meinen Plan John erzählt habe, schweigt er lange, er trinkt und isst, rülpst dann laut und murmelt in seinen prächtigen roten Bart: „Kapitän, Du bist ein Genie. So werden wir es machen. Ich warte auf Deine Befehle, Kapitän . . . äh, Admiral!“

Der Plan: Ich habe vor, der Zeitpunkt ist noch nicht festgelegt, mit fünf bis sieben Schiffen und meinen besten Kapitänen, die bereits in Calais versammelten Kriegsschiffe der Spanier, ein Teil der gefürchteten Armada, in einer Blitzaktion anzugreifen, eine große Anzahl der Schiffe zu zerstören und damit den Hafen für eine lange Zeit durch die Wracks zu blockieren. Dadurch gewinnen wir viele Monate, um uns selbst noch besser zu rüsten. Dabei will ich „Brander“-Schiffe einsetzen, mit denen ich bereits in der Karibik erfolgreich gewesen bin. (Ich werde darüber noch zu berichten haben.)

John lächelt, trinkt einen kräftigen Schluck Bier auf mein Wohl und meint vergnügt: „Wer weiß noch von Deinem Plan?“

„Niemand außer Dir, John.“

Der Schotte wird ernst: „Es ist ein gefährliches Spiel, was Du da planst, Kapitän. Wir können ja nicht so tun, als würden wir zu einer gemütlichen Segelfahrt auslaufen. Irgendwann wird die Aktion bekannt.“

„Irgendwann werde ich den Plan einem kleinen Kreis verkünden. Der Königin, meiner Frau und den Kapitänen der Seefalken-Flotte, die ich für diesen speziellen Einsatz auswähle. Je weniger davon wissen, desto besser.“

Mein Name ist DRAKE. Francis Drake

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