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Kapitel 4 Neuigkeiten

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Endlich Samstag. Ich habe zwar ausgeschlafen, aber blieb weiter im Bett liegen. Ich bin ein Langschläfer. Bis ich mich auf die Beine bekommen hatte und mich fertig gemachte hatte, hatten wir schon 13 Uhr.

Müde und gelangweilt lief ich die vielen Treppen runter und eine Köchin brachte mir Essen. Um 13 Uhr frühstücken, das macht auch nicht jeder. Außer Rislan. Sie setzte sich gerade still zu mir und wir aßen zusammen. Wir beide sind die einzigen, die in diesem Haus lange schlafen. Alle anderen sind schon längst unterwegs.

„Na, sind die Schlafmützen auch mal wach“, kam Badr und kniff Rislan in die Wangen, weshalb ihr fast das Essen aus dem Mund fiel und ich laut anfing zu lachen.

Badr setzte sich zu uns und nahm sein Handy in die Hand während er auf uns wartete. Erst jetzt bemerkte ich wie still es im Haus ist.

„Wo sind eigentlich alle anderen?“, fragte ich dann. Es müssten schon längst mindestens zwei mir über den Weg gelaufen sein, gerade zu dieser Uhrzeit. Oder man würde wenigstens Stimmen im Hintergrund hören.

„Alle sind auf einer Einladung von irgendeiner Firma und Younes und Yassin sind auf einem Geburtstag“, klärte er mich auf.

Younes und Yassin sind Zwillinge, die zwar Identisch aussehen, aber große Unterschiede haben, an denen man sie auseinander halten kann. Interessen, Verhalten oder die Frisur zum Beispiel. Sie sind die Söhne von Musa und Salima.

„Also sind wir allein?“, fragte ich, nachdem wir den Angestellten etwas beim Abräumen halfen. Badr fing breit an zu grinsen und ich ahnte schon sein Vorhaben.

„Ja sind wir“, sagte er und fing an Rislan zu kitzeln, die bis jetzt kein Wort gesprochen hatte, aber jetzt hellwach wie verrückt schrie und lachte. Sofort eilte ich zur Hilfe. „Lass sie“, rief ich heldenhaft und hielt ihn fest. Sofort ergriff sie die Chance um loszurennen. Badr schlug mich harmlos, um sich so zu befreien.

„Ej, du darfst mich nicht schlagen. Ich bin älter“, beschwerte ich mich.

„Nur ein paar Monate“, lachte Badr und rannte Rislan hinterher und ich gleich mit. Ohne Probleme holte er Rislan ein, aber noch bevor er sie fangen konnte, hielt ich ihn erneut fest. Er stolperte und wir flogen zusammen auf dem Boden. Lachend standen wir sofort wieder auf und rannten weiter um die Wette. In ihrem Zimmer hielt Badr sie auf ihrem Bett fest, aber noch bevor er sie anfangen konnte zu kitzeln, sprang ich auf ihn. Lachend lagen wir auf einem Haufen.

„Bilal? Bist du da?“, ertönte Babas Stimme aus dem Vorhof und wir verstummten sofort alle. Abgesehen davon wie ich es bewundere, wie kräftig seine Stimme war, sodass sie von unten im Eingangsbereich durch die ganze Villa schallte, bis sie in Rislas Zimmer ankommt, haben wir alle Angst ärger zu bekommen. Unsere Onkel mochten es nie wenn wir drei uns so kindisch benahmen und Unsinn machten. Salima sagt immer wir sollen uns unserem Alter entsprechend benehmen, aber da sie weder meine Mutter, noch Risalns und Badrs Mutter ist, hörten wir auf sie am wenigsten.

Panisch versuchten wir alle aufzustehen, wobei ich auf dem Boden knallte. Ich hatte aber keine Zeit, um darauf zu reagieren. Schnell rannte ich in den Gang und stellte mich ordentlich hin. Wie ich vermutet hatte, war er noch nicht oben angekommen. Es ist eine riesen Treppe die nach unten führte. Als wir 12 waren, haben Badr und ich uns abwechselnd in die breite gelegt, um zu messen, wie breit die Treppe war. Zusammen passten sechs und halb Badrs und fünf ichs rein. Rislan hatte 64 Stufen gezählt, wenn ich mich richtig erinnere.

„Ja Baba, ich bin hier“ antwortete ich und die anderen stellten sich rechts und links hinter mich. Baba stand noch immer unten und gab mir ein Zeichen, dass ich runter kommen soll.

„Ich habe Neuigkeiten“, ergänzte er und ich eilte die Treppen runter. Rislan und Badr folgten mir. Als ich vor ihm stand lächelte er mich an.

„Kannst du dich an dein Versprechen erinnern, dass du mir vor einigen Jahren gabst“, fragte er mich und ein unwohles Gefühl machte sich in mir breit. Ich habe in meinem Leben nicht viele Versprechen gegeben. Bitte lass es nicht das sein woran ich denke. Vor Angst schluckte ich schwer. Mein Lächeln von eben verschwand in Zeitlupe.

„Mein Sohn, du bist mittlerweile schon 20, langsam wird es Zeit. Ich kenne ein Mädchen, die ich gern in die Familie aufnehmen möchte“, fing er an meine Befürchtung wahr werden zu lassen.

„Badr ist auch 20“, antwortete ich Trocken.

„Bilal!“, flüsterte Badr von meiner rechen Seite direkt verärgert.

„Bilal.. du hattest mir versprochen, sollte es soweit kommen, dass ich ein Mädchen dir bringe, wirst du es akzeptieren“, sagte er mit einer ruhigen Stimme.

„Du hattest mir versprochen du wirst nicht gezielt suchen, sondern es mir überlassen“, versuchte ich genauso ruhig wie er zu sprechen.

„Mein Sohn ich habe nicht gezielt gesucht, ich habe es dir überlassen, ich schwöre es dir. Aber vertrau mir mein Kind, ich weiß, es wird keine bessere geben. Du bist mein einziger Sohn. Ich will nur das Beste für dich“, sagte er sanft und strich mir einmal behutsam über mein Kopf.

„Was ist mit Mama?“, fragte ich und schluckte wieder schwer, aber der Klos, der sich in meinem Hals gebildet hat, löste sich einfach nicht.

„Ich werde es ihr gleich erzählen, aber sie wird nichts dagegen haben. Deine Mutter und ich kennen das Mädchen schon seit sie klein ist. Deine Mutter hat sie schon immer geliebt. Heute Abend wird sie schon kommen und gleich werden alle Verlobungsvorbereitungen getroffen, wenn du mir jetzt das Ja gibst“, sagte er und schaute mir tief in die Augen.

Mein Vater hat mir mein Leben lang alle Wünsche erfüllt, er hat mich nie ungerecht behandelt und er hat mich noch nie, noch nie um etwas gebeten. Wieso muss es ausgerechnet das sein? Alles andere hätte ich ihm ohne ein Wimpernzucken erfüllt. Aber Versprechen sind mir heilig. Ich mache extrem selten irgendwelche versprechen, aber wenn ich welche mache, dann halte ich sie ausnahmslos. Ich habe keine Wahl… Es hat so viele Gründe, dass ich dem gegen meinen Willen zustimmen muss. Ich muss…

Ich atmete tief durch und schloss meine Augen. Mit zittriger Stimme antwortete ich dann „Wenn Mama einverstanden ist, werde ich es tun“.

Baba umarmte mich kurz, aber herzlich. „Das ist mein Junge. Du wirst es nicht bereuen“, sagte er und machte sich dann direkt davon. Erst jetzt öffnete ich meine Augen und schaute durch einen Tränenschleier auf den Boden.

„Entschuldigt mich“, flüsterte ich und eilte ohne auf eine Antwort zu warten die Treppen hoch.

„Ich habe Bilal noch nie weinen gesehen“, war das letzte was ich Rislan viel zu laut flüstern hörte. Wäre die Situation nicht so wie sie ist, würde ich wahrscheinlich lachen oder schmunzeln, aber jetzt konnte ich nicht. Als die erste Träne den Weg aus meinem Auge fand, wischte ich sie sofort weg und fing jetzt an zu rennen. In meinem Zimmer schloss ich mich ein und weinte lange auf meinem Bett.


Das Mädchen, das nie spricht

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