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Kapitel 7 Beschützer

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Mein nervender Wecker klingelte und zwang mich aufzustehen. 6:30 Uhr. Wieder Zeit für die Schule. Eingekuschelt blieb ich länger auf der Couch liegen und schaute mich um. Nassira war schon fertig angezogen und betete gerade.

Es ist unglaublich, wie sie ihre Schönheit verstecken kann. Gestern im weißen Kleid, sah sie wunderschön aus. Es ist nicht so, dass sie jetzt nicht hübsch ist, aber man müsste sie lange anschauen, bis man sieht, wie schön sie eigentlich ist unter ihren großen unauffälligen Klamotten. Erst später lernte ich, dass genau das der Sinn einer Verschleierung ist. Man sollte sich vor den Blicken anderer Männer hüten, um die Lust von anderen Männern zu vermeiden. Die Schönheit einer Frau sollte einzig und allein für den Ehemann ein Genuss sein.

Als sie fertig war, räumte sie alles weg und schaute zu mir. Als sie bemerkte, dass ich wach war, lächelte sie mir zu und verließ das Zimmer. Dieses Schweigen..

Ich seufzte und setzte mich auf. Ich wusste nicht, dass man eine Person kennen, aber gleichzeitig auch nicht kennen kann. Als ich bedrückt runter schaute, blieb mein Blick an meinem teuren Ring hängen. So habe ich mir meine Ehe nicht vorgestellt.

Die Hochzweit gestern war nicht schlimm. Es war sogar schön. Wir hatten Spaß und haben auch zusammen getanzt. Wir haben beide versucht uns nicht anmerken zu lassen, dass es mehr oder weniger Zwang war. Es war sogar auch etwas magisch. Nur fehlte mir ihre Stimme etwas mehr. Wenigstens gestern hätte ich es mir etwas mehr gewünscht. Aber ich bin dabei mich daran zu gewöhnen.

Nach ewigem Sitzen, stand ich endlich auf und machte mich in paar Minuten fertig. Dann betete ich und machte mich auf dem Weg runter um etwas zu essen. Am Tisch begegnete ich Rislan, die müde ihr Gesicht an der Hand abstützte. Ich musste schmunzeln. Ich will auch noch schlafen.

Gerade als ich mich setzte, kam Nassira und brachte Rislan und mir Omlet. Überrascht, dass sie mir etwas zu essen gemacht hatte, bedankte ich mich. Wie erwartet lächelte sie als Antwort.

Nach dem kurzen Essen lief ich nach oben, um meine Sachen zu holen. Nassira folgte mir.

„Sollen wir mit dem Auto fahren oder zu Fuß gehen?“, fragte ich als wir draußen standen.

„Was ist die lieber?“, stellte sie mir dann die Gegenfrage und schaute mich mit ihren großen verzaubernden Augen an. Bevor ich mich darauf konzentrieren konnte, wie dankbar ich für jeden Satz, den ich von ihr höre, bin, lenkten mich ihre wunderschönen Augen ab. Auch viel zu selten schaut sie mir in die Augen. Deswegen verschlägt es mir auch immer wieder die Sprache, wenn ich in ihre Augen schaue. Es ist wie eine Hypnose, ihre helle Iris auf dem perlenweißen Augapfel umrandet von dichten schwarzen langen Wimpern.

„Ich laufe jeden Tag zu Schule, die frische Luft tut mir gut und sie macht mich wacher. Aber wir können auch mit dem Auto fahren“.

„Laufen ist mir auch lieber“, antwortete sie und wir fingen an zu laufen. Still liefen wir zusammen bis zu Schule. Nassira ist Still, daran habe ich mich jetzt gewöhnt. Aber ich habe dieses Mal auch nicht versucht ein Gespräch aufzubauen, weil die Stille ausnahmsweise angenehm war. Eine schöne ruhige entspannte Atmosphäre.

In der Schule angekommen, waren meine Jungs auch schon da. Auch Rabia und Lina saßen bei uns am Tisch. Als ich Rabia sah, musste ich daran denken, wie Rabia am Freitag herausgefunden hatte, dass ich ein Radwan bin. Ich sollte es auch den anderen sagen. Sie sind meine Freunde, sie haben das Recht dazu und ich vertraue denen. Ich habe es verheimlicht, um Freunde zu finden, jetzt sind sie meine Freunde und ich brauche es nicht mehr länger zu verheimlichen.

„Hey, guckt mal wer wieder da ist“, bemerkte mich Zain.

„Warum warst du gestern nicht in der Schule du Schwänzer“, lachte Onur.

„Du siehst gut aus, warst du beim Friseur?“, fragte Rabia. Ich nickte ihr zu und begrüßte jeden bevor ich mich auch setzte. Ich schaute Rabia zögernd an und sie verstand, dass ich die anderen nun auch aufklären möchte. Motivierend nickte sie mir zu, weshalb die anderen und verwirrt anschauten.

„Leute, ich muss euch was sagen“, fing ich an und alle schauten mich erwartungsvoll an.

„Ich bin B. Der anonyme Sohn von Khalid und Zara. Mein Name ist Bilal Radwan“.

„Ja ja?“, fragte Zain begeistert.

„Du machst Witze“, sagte Onur geschockt.

„Schwör“, sagte Anwar mit großen Augen.

„Ich schwöre Jungs, ich mache keinen Spaß“.

„Jetzt ergibt es auch Sinn warum er an der Kreuzung immer weiter hoch läuft. Er wohnt nicht in der Nähe von den Radwans, er wohnt mitten drin. Wie geil“, machte Lina die Erkenntnis.

„Scheiße, aber bitte sag deiner Cousine nicht, dass ich sie hübsch finde“, sagte Anwar peinlich.

„Oder dass ich ein Fan von Badr bin“, ergänzte Lina.

„Also du kannst ruhig sagen, dass ich die beiden hübsch finde. Das ist nur ein Kompliment und nicht ein Ich liebe dich“, sagte Rabia Schulter zuckend und ich stimmte ihr lachend zu.

„Also sind wir die einzigen hier, die von dir wissen?“, fragte Zain und ich nickte. Ihr und Nassira.

„Ich wusste doch, dass der letzte Radwan auch hübsch ist“, sagte Lina stolz und Rabia stimmte ihr zu.

„Danke“, lachte ich und schaute durch die Runde. Als ich sah, dass Anwar nachdenklich meine Hände musterte, merkte ich, dass er mein Ring anstarrte.

„Ich muss euch noch was sagen“, fing ich also erneut an.

„Ich denke wir sollten uns festhalten, immer wenn du mit Neuigkeiten kommst, erzählst du nicht normale Dinge“, machte Onur Witze aber ich nickte ernst.

„Oh mein Gott“, rief Rabia und ich sah, dass sie es jetzt auch entdeckt hatte. Schnell stoppte ich sie, bevor sie weiter schreien konnte: „pscht, schrei nicht so“. Sie hielt sich selbst den Mund zu und alle schauten uns fragend an.

„Ich habe geheiratet“, klärte ich auf und hielt meine rechte Hand leicht hoch. Alle Reagierten durcheinander mit verschiedenen Worten, weshalb ich nichts verstand.

„Wieso hast du es denn nicht vorher erzählt“, fragte Zain dann.

„Ich wusste es selbst erst seit Samstag“.

„Ich hab doch gesagt, der Junge erzählt keine normalen Sachen“, sagte Onur fassungslos.

„Hast du Samstag deine große Liebe gefunden und dann Montag geheiratet“, fragte Rabia belustigt.

„Schön wärs. Mein Vater hatte ein Mädchen, dass er schon lange kennt für mich“, erklärte ich dann.

„Du armer“, bedauerte Lina und Rabia nickte zustimmend.

„So schlimm ist es nicht. Mein Vater hat sie mir zwar ausgesucht, aber meine Mutter hat nicht dagegen gesprochen. Solange sie nicht gegen etwas spricht, ist es das richtige. Ich vertraue meiner Mutter“, erzählte ich.

„Kennen wir sie?“, fragte Anwar dann eine gute Frage und die anderen schauten neugierig auf. „Ja“, antwortete ich. „Ja?“, ertönte es überrascht im Chor.

„Aber ihr müsst es ignorieren. So tun, als wüsstet ihr es nicht“, bat ich bevor ich ihren Namen aussprach.

„Ja versprochen, jetzt sag schon“, sagte Zain ungeduldig.

„Nassira“, flüsterte ich fast schon, so leise sprach ich.

„Was? Nassira aus unserer Klasse?“, flüsterte Onur schockiert und ich nickte.

„Ja ich habe gesehen, dass sie Hennabemalung trägt, als ihr zusammen rein gekommen seid.. Stimmt, ihr seid zusammen reingekommen“, bemerkte Lina und ich lachte.

„Redet sie mit dir?“, fragte mich Rabia alleine und ich drehte mich zu ihr.

„Nein, leider nicht. Ich wüsste zu gerne, was hinter ihrem Schweigen steckt“, seufzte ich. Die Jungs hatten ein anderes Thema angefangen und Lina fing ein Telefonat an.

„Hab Geduld. Sie ist jetzt deine Frau. Bald wird sie dir vertrauen und sich dir öffnen, wenn du keine Scheiße baust“, motivierte mich Rabia. Ich denke sie weiß am besten wie es mit Nassira ist. Sie hat sehr oft versucht sich mit ihr anzufreunden.

„Kennst du Yara? Die jüngste aus der Familie“, fragte ich sie und sie nickte.

„Ich habe sie vorgestern zusammen mit Nassira gesehen. Mit ihr redet sie normal und sie sind sogar, laut Yara, beste Freunde. Okay, sie hat ihr jetzt nichts Privates erzählt oder ähnliches, aber sie hat ganz normal mit ihr geredet und Spaß gehabt“.

„Weil kleine Kinder einen die Sorgen vergessen lassen. Allein das Lachen von einem Kind kann einen glücklich machen“, antwortete sie und sie hatte Recht. Ich bin auch immer glücklich, wenn ich Zeit mit Yara verbringe.

„Teilt ihr euch ein Zimmer?“, will sie Wissen und ich nickte.

„Ja, mein Zimmer ist groß genug. Ich lasse sie auf meinem Bett schlafen, ich schlafe auf der Couch. Ich will ihr Platz lassen und nicht zu Nah kommen“.

„Ist eine gute Idee. Finde ich gut“.

„Weißt du wie hübsch Nassira ist? Nicht mehr normal. Ich habe sie ohne Kopftuch gesehen, komplett Natur. Einfach wunderschön. Ich habe sie auch gestylt mit Schminke gesehen, wow, genauso schön“, sagte ich fassungslos, was Rabia zum Lachen brachte: „Ich habe auch mal entdeckt, wie schön sie ist. Sie will nicht auffallen“.

„Hat sie jemanden an den sie sich wenden kann, wenn was sein sollte? Eine weibliche Person?“, fragte sie weiter.

„Ja, Rislan verbringt sehr viel Zeit mit ihr und auch ihre Mutter Alia hat sich öfter um sie gekümmert“, konnte ich noch antworten, bevor Herr Hamlin die Stunde eröffnete.

Mein Blick huschte in die erste Reihe wo Nassira alleine saß. Jetzt sah ich sie wieder genauso wie ich sie zum ersten Mal sah. Alleine, still, und gut für den Unterricht vorbereitet. Auf dem Tisch lag ein Block aufgeschlagen und ein Stift bereit zum mitschreiben.

Anwar neben mir erschreckte mich in dem er nieste. „Gesundheit“, wünschte ich ihm leise und er bedankte sich leise. Wieder stützte ich meine Wange auf meine Hand und versuchte Herr Hamlin zuzuhören.

„Diese Woche wiederholen wir noch einmal das gesamte Halbjahr mit Station arbeiten. Weil die Zusammenarbeit bei den Vorträgen so gut geklappt hat, dürft ihr wieder zur zweit arbeiten. Ihr werdet dafür benotet, gebt euch Mühe. Die Aufgaben sind nicht gerade einfach“, erklärte ich und ich war erleichtert so früh am Morgen nicht viel zuhören zu müssen. Die Partner waren klar. Zain Onur, Rabia Lina, Anwar ich.

Ich holte uns die Blätter der ersten Station und wir fingen zusammen an zu arbeiten.

„Die Aufgaben sind zu schwer, lass und die erste Station überspringen“, sagte ich genervt.

„Die Aufgaben sind schwer, aber nicht zu schwer. Du bist heute sehr unkonzentriert“, sagte er und klang fast schon besorgt. Er hatte Recht. Ich musste die ganze Zeit zu Nassira rüber schauen. Sie arbeitete, aber ihr Partner Elias nicht. Stattdessen kam er ihr viel zu Nah, was mich aggressiv und unruhig machte. Ich mochte ihn sowieso nicht, jetzt noch weniger.

Ich schaute wieder zu meinen Aufgaben und sah, dass Anwar mich beobachtete.

„So kannst du nicht arbeiten. Du hättest die Aufgaben schon lange fertig, du bist ein Streber“, sagte er und hatte mit dem ersten Teil Recht.

„Hast du was dagegen, wenn du mit Elias arbeitest?“, fragte ich unsicher.

„Bruder frag nicht, geh zu ihr“, lachte er und ich wartete keine Sekunde länger. Mit direktem Weg lief ich zielstrebig auf Elias zu. Als er aufstand, um neue Blätter zu holen, änderte ich meinen Plan und setzte mich zu Nassira.

„Kommt er dir zu Nah?“, fragte ich sanft. Nassiras Blick schoss direkt zu mir und ich sah eine gewisse Erleichterung in ihren Augen. Sie schaute wieder runter und nickte dann.

„Nicht mehr lange“, murmelte ich und stand mit kontrollierter Wut auf. Elias war ein Meter vor mir auf dem Weg zu Nassira. Direkt fing ich ihn ab in dem ich meinen Arm um seine Schulter legte und ihn wieder umdrehte. Ich führte ihn auf meinen Platz und drückte dabei meinen Arm immer enger um seinen Hals. „Komm ihr nie wieder zu Nah“, flüsterte ich aggressiv dabei. „Er ist jetzt dein Neuer Partner“, ergänzte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Er löste sich aus meinem Griff und strich sich beleidigt sein T-Shirt glatt. Seinen undefinierbaren Blick ignorierte ich dabei. Ich klopfte Anwar auf die Schulter und bedankte mich dabei bei ihm, bevor ich wieder zurück zu Nassira lief.

„Danke“, flüsterte sie, als sie merkte, dass ich ab jetzt mit ihr arbeiten werde. „Nichts zu danken“ antwortete ich erleichtert.

Ich kann es nicht erklären, aber ich fühle mich, als müsste ich Nassira jetzt vor allem und jedem beschützen…


Das Mädchen, das nie spricht

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