Читать книгу I#mNotAWitch - Yuna Stern - Страница 8
Kapitel 6
Оглавление»Lasst es uns verbrennen«, flüsterte Finley um Mitternacht.
Gemeinsam standen wir auf dem Hof der Anlage, die hintere Wand war durch meinen Sturz eingerissen, Schutt und Scherben lagen überall verstreut auf dem Boden, einige Fenster im oberen Geschoss waren durch unseren Kampf zerstört worden. Über dem Dach schwebte der Mond, wie ein Unglücksbote schimmerte er das Hospiz von der Rückseite an. Silbernes Licht tauchte uns ein.
»Bist du dir sicher?«, fragte ich. Meine Tränen flossen nicht mehr, schon lange nicht mehr seit meiner Verwandlung, stattdessen schien sich ein Knoten in meinem Hals gebildet zu haben, der es mir erschwerte, frei zu atmen. Dass Jack noch da drin war, dass er nie wieder mit mir durch die Welt reisen würde, erschütterte mich.
Der Vampir, der sich umgezogen hatte - jetzt trug er einen Smoking aus den Siebzigern -, nickte. »Absolut.«
Im Keller hatten wir seine Geschwister gefunden, denen Trixie und Zach dasselbe Gift verabreicht hatten wie Jack. Beide rührten sich nicht mehr. Im Gegensatz zu Jack waren ihre Augen voller Entsetzen. Hand in Hand waren Bruder und Schwester gestorben, zusammen.
Ich dachte an die Hexe Emilia Murdock, die ihre einzige Freundin verloren hatte. Ich nahm mir vor, mein Versprechen einzuhalten. Dass ich sie an Weihnachten besuchte, auch wenn mich die Erinnerung an Cork vermutlich schmerzte.
Aiden stand etwas abseits von uns, er lehnte gegen den Maschendrahtzaun, sein Gesicht war der Straße zugewandt. Zu so später Stunde waren kaum noch Autos unterwegs, insbesondere nicht in dieser abgelegenen Gasse.
»In Ordnung«, sagte ich zu Finley. »Hast du ein Feuerzeug?«
»Ja.« Er kratzte sich am Kinn, ergänzte: »In der Abstellkammer im Erdgeschoss müssen auch noch ein paar Benzinkanister sein. Felicia war immer vorbereitet, weißt du, auf den Fall, dass so etwas ...« Er unterbrach sich und senkte den Blick. »Jetzt hat alles keinen Sinn mehr.«
»Sag doch nicht so etwas«, knurrte Aiden von hinten. »Was hat schon einen Sinn?!«
»Die Wissenschaft«, murmelte Finley. »Die Medizin. Die Physik. Die Che ...«
»Schön für dich«, schnitt ihm Aiden das Wort ab. »Du hast unzählige Jahre studiert und etliche Doktortitel gesammelt. Gehen wir jetzt endlich?!«
»Gleich«, sagte ich. »Hab doch ein wenig Geduld. Die Zeit wird uns schon nicht davonlaufen.« Dann wandte ich mich an Finley, der sich mit den Fingern über die Augen rieb, so als ob er gleich zu weinen anfing, und fragte behutsam: »Möchtest du, dass ich die Benzinkanister hole und alles vorbereite?«
»Nein, ich denke, das muss ich selbst erledigen.« Finley O'Donoghue ballte seine Hände zu Fäusten, schickte ein Stoßgebet in den Himmel und marschierte zurück ins Gebäude.
Wenige Minuten später kehrte er zurück, schmiss die leeren Benzinkanister achtlos auf die Sträucher im Hof, zückte aus seiner Jackentasche ein silbernes Feuerzeug, das er mir mit zitternden Händen überreichte, und sagte: »Es ist alles bereit. Doch ich habe mich geirrt. Das kann ich nicht. Tu du es bitte.«
»Okay.« Mit dem angezündeten Feuerzeug folgte ich seiner verschütteten Treibstoffspur, auf der Treppe vor dem Eingang hatten sich Pfützen aus Benzin gebildet, die bis hinein ins Foyer des Gebäudes reichten und noch viel weiter. Dort ließ ich das Feuerzeug aus meiner Hand fallen, sprang zurück.
Es dauerte nicht lange, bis sich das Feuer einen Weg hinauffraß, das Gebäude erreichte, woraufhin Flammen die Türrahmen bestiegen, und weiter hinein wanderten, bis sie sich überall verbreitet hatten. Sobald der Brand die Etage erreichte, in der sich Jack - nein, nur noch seine leblose Hülle - befand, schloss ich die Augen, denn ich konnte es mir nicht länger ansehen.
Finley neben mir versuchte sein Schluchzen zu unterdrücken, was ihm misslang. »Wieso haben sie mich am Leben gelassen?«, fragte er sich zum wiederholten Mal an diesem Tag. »Das erschließt sich mir nicht.«
Ich legte ihm den Arm um die Schulter. »Egal. Was auch immer sie mit dir vorhatten, sie können dir nichts mehr antun.«
Als der Rauch bis in den Himmel stieg und die ersten Feuerwehrsirenen zu hören waren, kehrten wir dem Anwesen der O'Donoghues den Rücken zu.
Es war Zeit, um zurück nach Bethel, in meine Heimat, zu reisen.
Finley begleitete uns, denn er sagte, dass er seine Heimat für immer verloren hatte. Er konnte nicht länger in Cork bleiben. Ich hinterließ eine hastig niedergekritzelte Nachricht für Emilia Murdock, in der ich ihr erklärte, was mit den O'Donoghues geschehen war. Vermutlich hatte sie damit schon gerechnet. Und dass ich abreisen musste, um zu sehen, was mit meiner eigenen Familie passiert war. Zum Schluss dankte ich ihr für ihre Gastfreundschaft, die ich gerne irgendwann wieder aufgreifen wollte.
Unsere Rückreise verlief größtenteils schweigend. Wir alle waren in unseren eigenen Gedanken versunken. Und teilweise waren die Landschaften, selbst zu späteren Stunden, dermaßen atemberaubend schön, dass es auch gar nicht nötig war, Worte darüber zu verlieren.
Wir durchquerten Island, dessen unberührte Natur mich immer wieder aufs Neue faszinierte. In einer Nacht begegneten wir Polarfüchsen, die sich auf ihre Beute stürzten. Aiden jagte sie, kümmerte sich nicht um meine Einwände, um ein wenig Blut zu sich zu nehmen.
Finley hingegen schlürfte ständig aus seiner Thermoskanne, in die er das Gebräu seiner Familie geschüttet hatte. Ich probierte es einmal, doch es schmeckte bitter und gefiel mir überhaupt nicht.
Stattdessen ging ich eines Tages, den wir in Reykjavík verbrachten - innerhalb einer finsteren Höhle, die hinter einem Wasserfall versteckt lag -, alleine zu einer Tankstelle. Geld besaß ich keines. Und da ich nicht stehlen wollte, fragte ich um eine Möglichkeit, wie ich dem Besitzer den Sandwich, den ich mir ausgesucht hatte, bezahlen könnte. Misstrauisch war er zuerst, doch schließlich ließ er sich erweichen und bot mir an, mir die Mahlzeit zu spendieren, wenn ich seinen Kleinbus wusch. Als ich innerhalb weniger Minuten fertig war, staunte er nicht schlecht und überreichte mir das in Plastik verpackte Brötchen, das mit Käse und Salat belegt war.
Stolz trat ich aus seinem Geschäft und biss herzhaft in das Essen, das ich mir eigenständig verdient hatte. Die Sonne schien mir ins Gesicht, vor mir lag eine weite hügelige Ebene, die zu einem Vulkan führte. Auch wenn ich die Hitze auf meiner Haut nicht spürte, auch wenn mir das Essen nicht schmeckte, so genoss ich doch den Umstand, am helllichten Tag draußen herumspazieren zu können. Mich mit meiner üblichen Nahrung versorgen zu können. Im Gegensatz zu Finley und Aiden.
Denn ja, Emilia Murdock hatte recht behalten: Zwar fand ich die Speisen der Menschen scheußlich, doch sie halfen mir über meinen Durst nach Blut hinweg. Und sie sättigten mich, sodass ich nicht mehr ganz so schwach auf den Beinen war wie noch einige Monate zuvor.
Sobald ich in die Höhle zurückkehrte, wartete Aiden mit verschränkten Armen auf mich. Ich hatte ihm von der Theorie der Hexe berichtet, dennoch schien er seine Zweifel zu haben.
Finley lag beim prasselnden Wasser, das uns als Eingang diente und gleichzeitig die Sonne abschirmte.
»Das hat ja lange gedauert«, sagte Aiden.
»Ich habe gearbeitet«, erklärte ich knapp.
Er legte seine Stirn in Falten und schien über meine Worte nachzudenken. »Ich verstehe dich nicht.« Sein Blick war wie hypnotisiert vom Feuer, das er in der Höhle angezündet hatte.
»Was denn? Vielleicht kann ich dir einiges begreiflicher machen«, bot ich an und setzte mich zu ihm.
Seine Nähe irritierte mich nicht mehr. Es fühlte sich richtig an. Seine Hand zuckte an meinem Knie vorbei, er wich jedoch nicht vor mir zurück. »Ich habe ...«, begann er und überlegte es sich offenbar anders.
»Ich auch«, sagte ich, denn ich meinte zu wissen, was ihm auf der Zunge lag. Ich hatte ihn auch vermisst. Erst jetzt begriff ich es, spürte es in meinem gesamten Körper, das sich bei seiner Anwesenheit irgendwie vollständig anfühlte. So als ob ich freier war, mich nicht mehr davor hüten musste, was ich tat oder sagte. »Wie hast du mich eigentlich gefunden?«
»Ich habe dich nie verloren«, raunte er, so als ob es vollkommen selbstverständlich war, dass er mir durch die halbe Welt gefolgt war.
Danach verzogen sich seine Lippen zu einem schiefen Grinsen. Seine Augen fixierten mich, seine linke Braue schoss in die Höhe. »Und wie ich sehe, hast du letztendlich doch Gefallen am Vampirsein gefunden.« Wie? Was meinte er? Mit betont ruhiger Stimme fragte er: »Liam, so hieß er doch, richtig?«
Ich spürte, wie mir die Röte das Gesicht flutete. Oh, nein. Als er lachte, stieß ich ihn sanft mit dem Ellbogen an. Und schämte mich unheimlich.
»Ich habe ja noch nie Mitleid verspürt«, rief er, »bis zu jenem Moment, in dem du dem frisch verliebten Jungen all seine Illusionen geraubt hast. Das war wirklich ... erbarmungslos kalt. Selbst für meine Verhältnisse.«
Selbst für seine Verhältnisse? Ach, bitte. Jetzt machte er mir etwas vor. »Das war nicht ... du machst das auch ...«, versuchte ich mich mit wild durcheinander geworfenen Sätzen zu verteidigen. Mir fiel jedoch nichts ein, was das rechtfertigte, was ich getan hatte. Außer meiner Lust in dem Moment dazu.
»Nein«, sagte er, »ich habe noch nie Frauen Versprechungen gemacht, die ich nicht gehalten habe. Und meistens schaue ich immer mal wieder vorbei, also abwechselnd, wenn du verstehst, was ich meine ...«
»Hast du etwa extra einen Stundenplan dafür angefertigt, oder was?«
»Vielleicht ...« Er zuckte mit den Achseln. Dann ließ er sich zurück gegen die Steinwand fallen und meinte: »Nein, mal im Ernst, was hast du ihm noch mal gesagt?« Er kniff die Augen zusammen. »Irgendwann vielleicht? Der arme Typ steht immer noch vor dem Pub und wartet darauf, dass du zurückkommst.«
»Jetzt übertreib mal nicht.«
Es war das erste unbefangene Gespräch zwischen uns beiden, seitdem wir uns wiedergetroffen hatten. Beinahe fühlte es sich so an wie damals, als ich ihn gerade kennengelernt hatte.
In den darauffolgenden Nächten wanderten wir durch die Schneelandschaften Grönlands, trafen sogar einmal auf eine Inuit-Familie, die uns jedoch ignorierte und weiterziehen ließ. Wir bestiegen die Berge Kanadas, brauchten länger als geplant, um weiterzukommen, da Finley sich regelmäßig über unsere Geschwindigkeit beschwerte. »Ich möchte mir diese Orte einprägen. Es ist so wundervoll hier«, war seine Ausrede, in Wirklichkeit war er nur sehr schwach, wie mir auffiel. Bis wir endlich fast angekommen waren ...
Als wir in einem Wald in Alaska übernachteten, befielen mich erneut die Sorgen um meine Familie. Was hatte Zach gemeint, als er davon gesprochen hatte, dass der Teufel sie malträtiert hatte? Lebten meine Geschwister überhaupt noch?
Ein Hirsch raschelte durch das Dickicht und blieb bei unserem Lager stehen. Ich merkte, wie Aiden ihn nachdenklich musterte.
»Probier doch endlich mal das Getränk, das Finley dir angeboten hat«, schlug ich vor, weil mir die unschuldigen Tiere leidtaten, die ihm in den letzten Tagen als Nahrung dienten. Doch natürlich konnte er nicht anders und das musste ich akzeptieren.
Mit hochgezogenen Brauen sah er mich an. Ohne dass er es sagen musste, ahnte ich, woran er dachte. »Jaja, Liam«, murmelte ich. »Ich weiß, dass ich ihn tief getroffen habe. Wenn du so sehr darauf bestehst, werde ich ihm bei meiner nächsten Reise nach Cork einen wiedergutmachenden Besuch abstatten. Das wird ihn hoffentlich wieder glücklich stimmen.«
»So hab ich das ja gar nicht gemeint«, knurrte er. »Das ist überhaupt nicht notwendig, dass du ihn wieder triffst.«
»Nein, du hast mich überzeugt«, log ich. »Yep.«
»Lass das lieber. Wahrscheinlich hat er dich sowieso längst vergessen.«
»Denke ich nicht.« Ich lächelte. »Du hast mich schließlich auch nicht so einfach vergessen.«
Er stöhnte und warf einen Blick zu Finley, der ihm seine Trinkflasche aus Edelstahl hinhielt.
»Eher bring ich mich eigenhändig um«, sagte er, »als dass ich mir das Zeug durch die Kehle spüle.«
»Es schmeckt gar nicht so schlecht«, beteuerte Finley.
»Nach Pferdeurin«, fügte ich hinzu.
Finley starrte mich entrüstet an. »Das ist nicht wahr«, schwindelte er. »Probier es doch wenigstens einmal, mein Freund.«
Aiden riss ihm die Trinkflasche aus der Hand und schnupperte an der Deckelöffnung. Dann schüttelte er den Kopf. »Nie werdet ihr mich dazu bringen. Eher trinke ich jeden einzelnen Menschen leer, bis keiner mehr übrig bleibt, als dass ich ... das hier für immer zu mir nehme.« Anerkennend blickte er Finley an. »Du musst entweder sehr stark sein. Oder du spinnst.«
Finley ließ den Kopf sinken und zeichnete mit einem Ast auf dem Erdboden herum. »Tja, deshalb auch die Drogen, nicht wahr. Dann war alles einfacher. Dem Drang nach Blut zu widerstehen und stattdessen das von Francis erfundene Getränk einzunehmen.« Er seufzte und hob den Kopf: »Morgen werden wir deine Familie erreichen, richtig, Quinn?«
»Ja«, nickte ich. »Falls sie alle überhaupt noch in Bethel sind.« Und wenn nicht? Wie sollte ich sie auftreiben?
»Sind sie«, bestätigte Aiden, ohne mit der Wimper zu zucken. »Ich werde dich zu ihnen bringen.«
»Wie? Du weißt, wo sie sich aufhalten?«
Er nickte nur hastig, antwortete mir nicht mehr, denn der Hirsch entfernte sich gemächlich. Mit gebanntem Blick stand er auf und sagte: »Ihr könnt ja weiter faulenzen. Ich geh jagen.« Dann sprang er los, stürzte sich auf das Tier, das im letzten Moment wohl die Gefahr spürte und zu fliehen versuchte. Doch es war zu spät. Aiden packte ihn am Geweih und zerrte den Hirsch in eine finstere Ecke, in der wir beide nicht mehr sehen konnten. Einzig die röhrenden Schreie waren noch zu hören, während der Hirsch um sein Leben kämpfte.
Woher wusste Aiden, wo sich meine Familie befand? Was hatte er mir noch nicht erzählt? Fast verspürte ich das Verlangen, ihm zu folgen, um ihn zur Rede zu stellen. Doch dann dachte ich, dass er es mir mit Sicherheit bald, wenn nicht spätestens morgen, erklären würde.
Um mich von meinen Sorgen abzulenken, machte ich mich alleine auf zu einem Waldspaziergang, wie damals, als alles angefangen hatte.
Sobald die Sonne am Horizont verschwunden war, brachen wir auf. Die Gegenden, durch die wir stürmten, kamen mir immer bekannter vor. Irgendwann spürte ich, dass wir Bethel erreicht hatten. Die Luft war an diesem Ort irgendwie anders, eisiger. »Wohin führst du uns?«, fragte ich Aiden, als wir einen Moment lang auf einem Hügel voller Tannen anhielten, weil Finley eine Pause machen wollte.
»Zu deinem Vater«, antwortete er und lächelte. »Dort sind sie ... fast alle.«
Fast alle?! Ich sank auf dem Gras zusammen, weil ich meine Beine nicht mehr spürte. Sollte das heißen, dass Lucien es geschafft hatte? Wen hatte er mir genommen? Doch nicht etwa ... Phoebe? Ich war kurz davor, aufzuschluchzen. Die Anspannung der vergangenen Tage hatte mich aufgewühlt.
Aiden hockte sich zu mir und hob mein Kinn vorsichtig, damit ich ihn ansah. »Deine Geschwister sind wohlauf, Quinn. Es ist ... deine Mutter.«
Meine Mutter war tot?
Ich erstarrte, spürte den frostigen Wind, der mich erzittern ließ. Nein, es war nicht der Wind, es war die Erkenntnis, die mit solcher Heftigkeit auf mich einschlug. Ich konnte es nicht glauben. Die verbissene Frau, die mich all die Jahre lang unterdrückt hatte, die mich an den Teufel verkaufen wollte, war tot?