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Kapitel 7

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Die Straßen Bethels waren mit Schnee bedeckt. Aiden führte uns zu einem alten Fabrikgelände, das in der Nähe meiner ehemaligen Highschool lag. Dort befand sich noch bis vor einigen Jahren die Produktionsstätte einer Waschmittelmarke, die vom Markt genommen worden war. Seitdem stand die Halle leer. Auf dem Parkplatz war ein einzelner Truck abgestellt, dessen giftgrüne Farbe abblätterte. Am Himmel zeichneten sich erste Sonnenstrahlen ab. In der Luft lag der Geruch nach Winter und ... Heimat, dachte ich mit einem Lächeln auf den Lippen. Ich konnte es fast spüren, dass dort meine Familie auf mich wartete. Warum hielten sie sich an so einem Ort auf? Und wie würden sie auf meine neue Gestalt reagieren?

»Hier sind sie also«, flüsterte ich.

Aiden hob die Hand und strich mir über den Unterarm. Dann zog er sie abrupt zurück, als hätte er sich daran erinnert, dass er das nicht länger tun wollte: Mir seine Gefühle offenzulegen. Er räusperte sich und fragte: »Bist du bereit?«

Hinter uns schnaubte Finley, der sich auf den Schnee gesetzt hatte und eine Burg aus Matsch anhäufte, aus offensichtlicher Langeweile. »Natürlich ist sie bereit. Ihre Aufregung ist so greifbar, sie hinterlässt selbst bei mir ein Kribbeln im Bauch, was mir nicht gefällt. Also, bitte. Jetzt beeilt euch mit eurer gegenseitigen Trösterei.«

Mit seinen ungeduldigen Worten entlockte er Aiden ein leises Lachen. »Allmählich wirst du mir sympathisch, Professor Doktor.«

Ohne mich weiter um ihre (freundschaftliche) Auseinandersetzung zu kümmern, stapfte ich auf den Eingang der Fabrikhalle zu. Sobald ich näher kam, flackerte ein automatisches Licht an einer Säule auf. Ich hob die Hand, um zu klingeln. Am Türschild stand noch immer der Name der Waschmittelkette »Clean & Soft: Manufacture«.

Ich zögerte. War es wirklich richtig zurückzukehren? Brachte ich meine Geschwister damit nicht in Gefahr?

»Nein«, sagte Finley, der mir genauso wie Aiden gefolgt war. Diesmal war er es, der mir Mut zusprach. »Wir werden nicht irgendwo anders hinreisen. Das ist das Ziel gewesen. Jetzt sind wir hier. Ich kehre mit Sicherheit nicht mehr um. Also, los. Trau dich. Oder soll ich es für dich machen?«

Ich schüttelte den Kopf und ließ meinen Zeigefinger auf der Klingel verweilen, viel zu lange. Bis mir bewusst wurde, dass sie mich vermutlich längst gehört hatten. Ich riss die Hand zurück und wartete.

Es sollten die gefühlt längsten Sekunden meines Lebens werden.

Stille hüllte mich von allen Seiten ein, ich starrte auf die Tür, fragte mich, ob mir jemand mit vertrautem Gesicht öffnete oder jemand anders? Ich fürchtete mich vor den Reaktionen, vor dem Zusammentreffen mit all dem Alten, wo ich doch im Grunde zu etwas Neuem geworden war. Nicht verbessert, sondern einfach nur anders. Eine Art restaurierte Quinn, die noch die Erinnerungen von früher in sich gespeichert hatte. Eine andere Version von mir.

Als es so weit war, und ich die Schritte auf dem Steinboden hörte, die sich allmählich näherten, hielt ich den Atem an. Ich ahnte mit einem Mal, wer mich empfangen würde.

Die Tür öffnete ... mein Vater, Richard Donovan.

Er war nicht mehr der Mann, den mir Lucien vor einigen Monaten vorgestellt hatte. Seine Seitenschläfen waren grau geworden, Falten zogen sich über seine Stirn, tiefe Augenringe ließen ihn müde erscheinen ... und alt. Sobald er draußen auf der Türschwelle erschien, fiel sein Blick zuerst auf Aiden.

»Ach, du bist es«, sagte er und schien darüber noch nicht einmal überrascht zu sein.

»Und ... sie«, entgegnete Aiden mit einem Nicken in meine Richtung.

Dann erst streifte mich der Blick meines Vaters, er sah mich flüchtig an, von Kopf bis Fuß, murmelte ein: »Ich habe dich schon mal gesehen ... Folgt mir.«

Und das war alles. Keine Begrüßung, keine Umarmung, natürlich nicht. Wer war ich schon für ihn? Eine Fremde. Nein, das war noch untertrieben. Eine fremde Vampirin, die zufälligerweise einige seiner Gene in sich trug. Nicht mehr, nicht weniger. Also warum sollte er mir mehr Aufmerksamkeit schenken?

Fast wollte ich ihn anschreien. Stattdessen biss ich mir auf die Unterlippe und lief ihm hinterher. Doch in mir brodelte die Wut. Wie lange ich auf diesen Moment gewartet hatte, auf Erklärungen, auf irgendetwas, nur um festzustellen, dass er genauso war, wie meine Mutter ihn all die Jahre lang bezeichnet hatte. »Er war abwesend«, hatte sie damals schon gesagt, auch wenn sie nicht gerne über ihn sprach. »Schon immer. Noch bevor er gegangen war. Ihm hat unser ... gemeinsames Leben nicht zugesagt. Unsere Bestimmung. Für ihn war immer nur wichtig, dass er sich anpasste. In der Menge unterging. Nicht auffiel.« Feige hatte sie ihn damals genannt, doch dass sie ihn trotz allem vermisste, war dadurch offensichtlich, dass sie sich bei dem Thema meist sträubte, sich weigerte, über die Zeit ihres Kennenlernens zu sprechen.

Die Flure der Fabrikhalle, durch die er uns dirigierte, fühlten sich kalt an. Die Mauern schienen vom winterlichen Wind gequält aufzuächzen. Die Decke rumpelte. Ob es hier wirklich sicher war?

In einem Nebenraum brannte Licht, dort stand eine Frau mit einer Schürze und kochte Tee. Sie kam mir bekannt vor. Als neben ihr ein Mädchen erschien, dessen Haare so rot wie Feuer waren, wusste ich es natürlich wieder. Das war meine Halbschwester. Und die Frau, die gerade mit einem Tablett leerer Tassen aus der Küche trat, das war die neue Lebensgefährtin meines Vaters. Sozusagen meine ... Stiefmutter.

Bei ihr war es anders. Sobald sie mich entdeckte, erstarrte sie. »Geh zurück. Warte in der Küche auf mich, Celine.« Das Mädchen gehorchte nicht und versteckte sich hinter dem Rücken seiner Mutter, lugte zu uns hervor.

»Hi, Jane«, rief Aiden so laut, dass seine Worte von den Wänden der Fabrik widerhallten.

Die Frau zuckte zusammen. Ihre blonden Strähnen fielen ihr ins Gesicht. Sie strich sie nicht beiseite, nickte ihm nur zu, ohne mich aus den Augen zu lassen. Wie ein seltenes Tier beobachtete sie mich, teils fasziniert, teils verängstigt. Mit ihrer freien Hand packte sie nach der Schulter ihrer Tochter, damit sie nicht in unsere Richtung lief. Was erwartete sie? Dass ich das Kind angriff?

Bevor ich ihr sagen konnte, was ich davon hielt, hörte ich weitere Schritte. Im Flur erschien ... Savannah. Genauso wie früher, in ihren Armen balancierte sie mehrere leere Teller und eine Teekanne, die sie mit ihrem Kinn zusätzlich stabilisierte. Bei meinem Anblick ließ sie, vermutlich zum ersten Mal in ihrem bisherigen Leben, all das Geschirr fallen. Einzig die Teekanne schnappte sie noch in der Luft, während die Teller auf dem Boden zerschepperten.

Ich hörte nur, wie sie ungläubig meinen Namen aussprach. Dann trat sie näher auf mich zu und blieb vor mir stehen. Sie schien keine Angst zu haben, im Gegenteil. Mein Anblick schien sie auf gewisse Weise zu beruhigen.

»Oh, Quinn«, wiederholte sie, ehe sie mich in die Arme schloss. »Dir geht es gut, oder. Sag mir, dass es dir gut geht.«

Ich versteifte mich angesichts ihrer Herzlichkeit, obwohl ich mich darüber freute. Doch so nah bei ihr zu sein, ihren flatternden Herzschlag zu spüren, ihr Blut unter ihrer Haut zu ertasten, das erschien mir alles doch zu viel auf einmal.

»Vielleicht«, sagte ich. »Oder auch nicht.«

Sie brach nicht in Tränen aus, obwohl ihre Augen glänzten. Stumm dankte sie Aiden, der etwas abseits stand. Dann packte sie nach meinem Handgelenk und zog mich über den Scherbenhaufen. »Du musst Phoebe sehen. Und Samuel. Du glaubst ja nicht, wie sehr wir dich vermisst haben. Wir haben jeden Tag über dich gesprochen. Wirklich, jeden Tag.«

Wir erreichten ein ehemaliges Büro mit einem Schreibtisch in der Ecke des Raums und Aktenschränken auf der anderen Seite. Auf dem grauen Teppichboden waren Matten ausgelegt worden, sowie Schlafsäcke. Dort saßen ... meine weiteren Geschwister.

Oder nein, ich musste mich korrigieren. Phoebe schnarchte, lehnte mit dem Hinterkopf gegen die Heizung. Und Samuel lag auf dem Rücken, mit einem Rucksack hinter dem Nacken, und blätterte durch ein Buch. Ebenso befand sich dort ein Junge, den ich auch schon einmal gesehen hatte. Mein Halbbruder, dessen Namen ich noch nicht kannte. Oder auch einfach nicht mehr wusste. Hatte Lucien ihn mir gesagt?

Er saß mit verschlafenen Augen in seinem Schlafsack und blinzelte zur Tür. »Dad, wer hat geklingelt?«

»Niemand«, sagte sein, auch mein Vater. »Schlaf ruhig.« Er beugte sich über den Jungen, gab ihm einen Kuss auf die Wange und murmelte: »Dann kriegst du morgen zur Belohnung einen Schokoriegel.«

»Aber Mom hat gesagt, dass alle Süßigkeiten schon aufgegessen sind.«

»Ich habe ein Geheimversteck«, zwinkerte er. »Also, Dean ...«

Obwohl ich es mir nicht eingestehen wollte, so tat es weh, ihn so fürsorglich zu sehen. Eifersucht ließ mich einen Moment lang vergessen, weshalb ich hier war. Doch Savannahs Zischen erinnerte mich wieder daran.

»Steh auf, Phoebe. Komm schon.«

Sie trat mit dem Knie nach unserer Schwester, die stöhnte und die Augen halb aufriss, ohne mich bei der Tür zu entdecken. »Lass mich, Hexe. Es ist ... unendlich Uhr. Ich will endlich schlafen. Ich verstehe nicht, wieso wir immer so spät aufbleiben.«

»Du bist so dumm«, entgegnete Savannah und wandte sich Samuel zu, der das Buch senkte und mich fassungslos anstarrte. »Und nein, du träumst nicht«, sagte sie in seine Richtung. »Das ist wirklich Quinn.«

»Quinn?« Phoebe war mit einem Mal hellwach. Sie sah mich, sprang auf, torkelte.

»Quinn!« Auch Samuel stand sofort auf und stürmte zu mir. Ohne zu zögern, packte er mich und drückte mich so fest an seine Brust, dass ich zu ersticken glaubte. Also, wenn das die neue Vampirvernichtungstechnik war, die sie gelernt hatten, ahoi. Klasse.

Ich lachte.

Phoebe schimpfte und beleidigte ihn, damit er mich endlich losließ. »Geh schon weg, Dickschädel. Lass mich zu meiner Lieblingsschwester.« Savannah kniff sie offensichtlich in den Arm, denn sie schrie empört und schmerzverzerrt auf. »Aua.«

Einen Moment lang fühlte es sich so an, als wäre all das nicht passiert, als wäre all das noch so wie früher, und ich würde nur von einer sehr langen Reise zurückkehren. Doch als Phoebe unseren älteren Bruder endlich verdrängt hatte und mich umarmte, sogar weinte, und ich ihre Tränen auf meinen Lippen spürte, und dabei von diesem Durst überfallen wurde, der mich seitdem beherrschte, da wurde mir bewusst, dass nichts mehr so war wie früher.

Auch der jähe Fröhlichkeitsausbruch meiner Geschwister legte sich so schnell, wie er gekommen war. Sobald Phoebe zu weinen anfing, hörte Samuel auf zu sprechen. Und Savannah ließ sich auf die Matte vor der Heizung sinken und starrte auf den Boden, so als ob sie ebenfalls von den Erinnerungen heimgesucht wurde, die mich in den letzten Monaten so drangsaliert hatten.

»Oh, du weißt ja nicht, was alles passiert ist«, keuchte Phoebe. Ihre schwarzen Haare hatte sie kurz geschnitten, sodass sie sich nicht mehr dahinter verstecken konnte. Plötzlich lagen alle ihre Emotionen frei. Ihr Blick wanderte zu Aiden. »Er hat uns geholfen, weißt du. Seitdem ... du fort bist. Er hat gesagt, dass du es dir wünschst, obwohl du es nicht weißt. Die anderen ... Hexenfamilien sind geflüchtet, weil sie wohl ahnten, was passieren würde. Doch einige von ihnen hat es trotzdem getroffen. Seine Rache ist ... er hat uns jagen lassen. Und wir haben uns nicht mehr verteidigen können, weil er uns die Kräfte wieder abgesprochen hat, weil wir den Teil unseres ... Vertrages nicht eingelöst haben, und und ...«

Sie sprach von Lucien. Und von den Konsequenzen, die meine Verwandlung mit sich gebracht hatte. Dass meine Geschwister seitdem so viel Leid durchgemacht hatten, das konnte ich mir gar nicht anhören. Ich fühlte mich so schuldig. Letztendlich waren sie nicht dafür verantwortlich, was mit mir geschehen war. Doch ich ebenso wenig, wie ich mir mal wieder ins Gedächtnis rufen musste. Ich hatte nicht darum gebeten.

»Und Mutter ist ... tot«, flüsterte Savannah. Sie weinte noch immer nicht, doch ihre Stimme klang heiser.

Samuel schnaubte und ballte die Hände zu Fäusten. »Sie hat uns im Stich gelassen.«

»Wie? Wie meinst du das?«, fragte ich. Was war passiert? Hatte Luciens Rache auch sie getroffen?

Einen Moment lang schwiegen sie gemeinsam, sahen sich gegenseitig an, so als ob sie nicht wussten, was sie mir anvertrauen konnten.

»Sie hat sich noch in derselben Nacht, in der du verwandelt worden bist«, begann Samuel und schloss die Augen, »Gift in den Tee gemischt. Sie hat sich selbst umgebracht. Sie hat aufgegeben.« Seine Stimme bebte vor Hass. »Nach alldem, was sie uns angetan hat, nein«, er unterbrach sich, »nein, hauptsächlich dir, Quinn, hat sie einfach beschlossen, von der Bildfläche zu verschwinden und uns mit dem Chaos alleine zu lassen, das sie erst ausgelöst hat.«

Ein Schauer lief mir über den Rücken. »Warum?« Ich verstand es nicht. Hatte sie es bereut? Anzeichen dafür hatte es zum Schluss gegeben, doch ich hatte nicht gewusst, inwieweit sie sich wirklich für ihre Taten Vorwürfe machte.

»Nein, so ist es nicht, Quinn«, murmelte Phoebe, als ob sie mir meinen Gedanken ansah. »Leider.«

Wieder schwiegen sie. Warfen einen Blick auf Dean, unseren Halbbruder, dessen Lider flatterten. Er war wach und tat so, als ob er schlief, schnarchte sogar auf beinahe überzeugende Weise. Jedes unserer Worte bekam er mit. Er war wirklich ein Donovan, dachte ich und lächelte.

Samuel räusperte sich und schien zu überlegen, ob er weitersprechen sollte. Dann schüttelte er einfach nur mit dem Kopf und ließ sich neben Savannah auf die Matte sinken.

»Ich verstehe nicht«, flüsterte ich. »Wieso sollte sie ...« Einfach so ihrem Leben ein Ende setzen? Diese starke, ehrgeizige und manchmal geradezu wahnsinnige Frau? Die es hasste, wenn Leute frühzeitig aufgaben? Und dann begriff ich plötzlich. Es war offensichtlich. Wieso war mir das nicht sofort klar gewesen? »Deshalb also«, sagte ich, »weil ich mich verwandelt habe.« Weil sie es nicht ertragen konnte, dass ihre auserkorene Tochter, für die sie so viele Pläne hatte, in solch ein ... Monster verwandelt worden war.

»Ja«, meinte Phoebe und zog aus ihrem Sweatshirt ein benutztes Taschentuch, mit dem sie sich die rot angelaufene Nase schnäuzte. »Sie hat gesagt, dass nichts mehr Sinn macht. Dass du für immer verloren bist und sie sich dafür schämt, so als Mutter versagt zu haben. Doch ganz besonders war es ihr wohl zuwider, was aus dir ... werden würde. Das will ich nicht mehr erleben, hat sie gesagt. Wir haben natürlich nicht gewusst, dass sie das ernst meinte. Erst am nächsten Morgen, als es schon zu spät war, haben wir sie gefunden. Und dann sind auch die anderen Hexenfamilien abgereist.«

Ja, es war traurig. Und es verletzte mich, dass meine Mutter bis zum Schluss an ihren starrsinnigen Prinzipien festgehalten hatte. Doch darum ging es jetzt nicht mehr. Sie war fort, für immer und ewig. Ich verdrängte den Gedanken an sie und lächelte meinen Geschwistern zu. »Tut mir leid«, wisperte ich, »dass ich abgehauen bin.«

Doch dass ich mich nicht zu entschuldigen brauchte, konnte ich ihren Gesichtern ablesen. Das erleichterte mich ungemein, denn sie waren offenbar nicht wütend auf mich. Und ganz besonders: Für sie war ich kein Monster. Und das zählte doch schlussendlich, oder?

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