Читать книгу Die Stones sind wir selber - Zepp Oberpichler - Страница 7
5. Kapitel
ОглавлениеVon einem TÜV-geprüften Geschoss, zwei samthäutigen Katheten und einem verpassten Bus
Ein Picknick im Stadtpark hatte noch keinem geschadet. Auf ihrer Decke lagen Käse, billiger Rotwein und die Reste vom letzten Schnee. Ein kalter Tag, der in Erinnerung blieb, und ein heißes Mädchen, das vorbeilief. Wie sich das für Willi gehörte, pfiff er ihr nach. Pflichterfüllend, aufrichtig und völlig ohne Hintergedanken.
Niemand konnte ahnen, dass sich das Mädchen umdrehen und die Decke ansteuern würde. Kinder fielen mit ihren Rädern auf die Schnauze, Mütter betrachteten keifend die Wunden, und sie fragte: »Was willst du, Dicker?«
Willi sagte nichts, war so stumm wie sein verbeulter Turnschuh, wusste nicht wohin mit seinen Blicken.
Theo beschaute sie sich etwas genauer und fragte sich, was seine Mutter wohl sagen würde, wenn er mit so einem Geschoss im Gepäck bei ihr antanzte.
»Wer ist denn das?«
Er hatte Glück gehabt. Nach ein paar seltsamen Blicken war der Mieze im Park plötzlich ein Schnürsenkel gerissen. Da musste sie eben dringend mit zu Theo, wo sie Ersatzteile in rauen Mengen vermutete.
»Das ist Inge.«
Seltsam. Er hatte gar nicht erst mit seiner Briefmarkensammlung anfangen brauchen, um sie mit nach Hause zu bringen.
»Wie ... Inge?«
»Inge Kuballa. 16 Jahre. Evangelisch. Ledig. Darf ich vorstellen: Meine Mutter.«
»Guten Tag, Fräulein Inge.«
»Hi.«
Verlegenes Auf-der-Stelle-Treten. Seine Mutter nahm ihn beiseite. Grundsätzliche Dinge waren zu klären. »Sag mal, ist das eine Klassenkameradin von dir? Hilfst du ihr bei den Schularbeiten?«
»Bin ich bekloppt?«
Noch bevor seine Mutter genug Luft holen konnte, klingelte das Telefon und bewahrte ihn vor weiteren blöden Fragen. Vorläufig. Er sah das Elternteil zum Apparat flitzen, er sah Inge und er sah zu, dass er sich schnell mit ihr nach oben verzog.
»Schönes Zimmer hast du«, sagte Inge, als sie in Theos guter Stube standen und noch nicht wussten, wohin mit ihren Händen. Sie pflanzte sich auf sein Sofa und bot ihm einen Panoramablick auf ihre appetitlichen inneren Werte. Sie war von graziöser Gestalt und hatte ein hübsches Gesicht mit großen, blauen Augen. Ihre Nase war von altägyptischer Bauart, ganz zu schweigen von den vollen Lippen, die aussahen, als kämen sie durch jeden TÜV.
Sie drückte ihren Oberkörper etwas tiefer in die Sofalehne und riskierte einen Schlafzimmerblick. Ihr Mund ging zum Angriff über. »Hast du mal Feuer?«
Warum nicht? Die besten Liebesgeschichten fingen so an.
»Würdest du’s mir auch mal geben?«
Mit oder ohne Extras? Er war sich noch nicht sicher.
»Mach mir endlich Feuer, Mann!« Sie wurde ungeduldig, schaute flehentlich zur Zimmerdecke, gab lautstarke Seufzer von sich.
Fest entschlossen, es bis zum Äußersten zu treiben, falls dies erforderlich würde, griff er sich die Streichholzschachtel und schlenderte auf die Hauptspeise zu, die auf seinem Sofa darauf wartete, endlich vernascht zu werden.
»Na also«, flötete Inge.
Im selben Moment drückte er ihr einen feuchten Kuss auf die Wange.
Doch anstatt sich vor Begeisterung an seinen Hals zu werfen, ließ sie plötzlich die schüchterne Dorfkuh raushängen. »Ey, du gehst aber ran!«
Und er – ganz James Bond: »Das liegt mir im Blut, Lady.«
Theo gefiel sich in der Figur des erfahrenen Kavaliers, dem die Frauen scharenweise zu Füßen liegen. Er war gut im Geschäft. Aber er wollte sie noch etwas zappeln und sich nicht anmerken lassen, dass diese wilde Romanze seine Premiere war. Wenn dann noch offensichtlich werden würde, dass er einen hervorragenden Musikgeschmack hat, umso besser. Fresh Cream von Cream sollte ihr den letzten Rest an Gewissheit einbringen, dass nur er, nur er allein zu ihrem Romeo tauge.
»Und?«, fragte er mit einem triumphierenden Unterton, während das Trio auf der Platte mit großem Kaliber sein Pulver verschoss.
»Ganz nett.«
»Ganz nett?«
Worte zerfielen zu Staub. Diesen Trumpf war er los. War sie am Ende eine von den Frauen, die auf Cliff Richard standen und Blockflöte spielten? Er musste es wissen, und sollte ihn die Antwort auch einen schönen Abend kosten.
»Interessierst du dich für Musik?«
»Hin und wieder. Die Stones find ich ganz gut.«
»Die Stones! Wirklich?«
»Was dagegen?«
Um Himmels willen, nein! Er hechelte zum Plattenspieler, schmiss die Cream-Scheibe wieder in die Hülle und legte eine Stones-Platte auf. Erste Gemeinsamkeiten wollten gepflegt werden. Dann setzte er sich wieder zu ihr auf das Sofa. Alles andere war ihm zu weit weg.
»Sag mal, wer war eigentlich die Pfeife?«, fragte Inge gequält lächelnd.
»Das war Willi, so ein Kumpel von mir.«
Aber wer war schon Willi, wenn sich neben ihm Inge dazu entschloss, das Gespräch in die Horizontale zu verlagern? Während die Platte weiterlief, lernten sie sich besser kennen. Inge zeigte ihre süßesten Seiten gern, Theo seine Beule in der Hose eher unfreiwillig.
Er musste beim Fummeln an Jagger denken und daran, dass er ihm mit jedem verbotenen Früchtchen ein Stückchen näher kam.
Sie gingen zusammen durch die Straßen ihres Viertels. Theo hielt ihre Hand so fest wie sonst nur Plastiktüten mit LPs, die aber im Gegensatz zu Inge nicht so schön nach Vanille rochen. Er schwer begeistert, sie leicht angesäuert.
»Und gleich da vorne ist die Pommesbude, wo die Portionen so groß sind, dass du ...«
»Theo, ich esse keine Pommes, das weißt du doch!«
»Aber da hinten der Wasserturm, oder hier, guck mal, das alte Fabriktor! Gusseisen, was meinst du?«
»Theo, das interessiert mich nicht. Aber wenn du mir endlich mal verraten könntest, wo hier die Milchbar ist, wäre ich dir sehr dankbar.«
Sie streifte seine Hand ab und fingerte in den Taschen ihrer Pelzjacke nach Zigaretten. Was sie fand, war ein leeres, zerdrücktes Päckchen, auf dem jemand eine Telefonnummer gekritzelt hatte.
»Theo, ich will nach Hause!«
Er blieb stehen und verdrehte die Augen, als ein dröhnendes »Ey, du Sack!« seinen Wandertag mit Dame rüde unterbrach. So konnte nur jemand schreien, der sich selber gerne schreien hörte. Willi, wer auch sonst?
»Na, ihr Granaten! Hör mal, Theo, ich muss mal kurz mit dir sprechen.« Er zog Theo beiseite, bis er Inges Ohren außer Hörweite glaubte. »Hast dir vorgestern aber einen bösen Jux mit mir erlaubt, was? Ziehst einfach mit dieser Perle ab und lässt Old Willi schmachten. Das war mein Fisch, Theo! Aber gut, ich hab dir einen Gefallen getan. Keine Ursache. Wenn du mal wieder was Schmuckes siehst und dich nicht traust oder so, sag’s mir einfach und ich regel das schon, okay? Und? Wie ist sie denn so?«
»Lecker, Willi.«
»Habt ihr schon ... ich meine ... na, du weißt schon?«
»Moment, lass mich nachdenken, alter Freund. Mittwoch dreimal, gestern waren’s sieben, macht zusammen zehn, plus die Summe von heute ... pfft ... Fünfzehn? Zwanzig? Keine Ahnung. Aber mach dir keine Sorgen, unsere Bilanz ist noch steigerungsfähig. Wir sind ja noch jung. So, Willi, bis die Tage! Tschüss!«
»Tschüss«, fauchte sie ihn an, »du kannst gehen.« Und wenn er sich noch mal hier blicken lassen würde, gäbe es sofort was auf die Glocke. Sie warf ihn hinaus wie einen kaputten Fußball, dem man den letzten Tritt verpasst.
Aus, vorbei, zu Ende. Dieses Spiel hatte er verloren, und es sah nicht nach einer Verlängerung aus, geschweige denn nach einem Elfmeter. Das alte Lied von enttäuschten Hoffnungen, verflossener Liebe und sinnlos verprasstem Taschengeld – nun konnte er es mitsingen.
Mit Trauergefühlen hielt sich Theo trotzdem vornehm zurück, denn eine gute Partie war Inge sicherlich nicht. Sie hatte durchaus ihre Macken, die sich mit jedem weiteren Tag ihres Zusammenseins automatisch vervielfachten.
Pünktlichkeit! Das war nicht gerade eine Stärke von ihr und ihre Standardausreden auch nicht, wenn sie mal gar nicht kam. Feste Verabredungen hießen für Theo, mehrere Stunden am Fenster auf sie zu warten. Da konnte er den Vorhang so oft zurückziehen, wie er wollte – aufgetaucht war sie viel zu selten. Zwei Stunden Wartezeit sickerten vorbei wie ein halbes Schuljahr, und Theo wartete, wartete, fluchte.
Wie viele schöne Momente gab es mit ihr? Er schluckte. Manche Erinnerung machte die Trennung nicht gerade einfacher. Zumal der schönste Tag mit ihr noch nicht weit genug zurücklag. Sie waren jung, sie waren heiß, sie waren allein in ihrem Keller. Und sie hatten die Köpfe voller Ideen. Da unten zwischen dem Sperrholz hatte Inge ein altes Sofa stehen, den Plattenspieler brachte er mit. Guter Musik zu lauschen bereitete Freude, und mit den Geschlechtsteilen war es nicht anders. Für Theo ein untrügliches Indiz dafür, dass er inzwischen erwachsen war und sich nichts mehr erzählen zu lassen brauchte.
Inges Mutter war da ganz anderer Meinung. »Raus da!«, schrie die entsetzte Kuh, die just in dem Moment den feuchten Keller betrat, als der nackte Hintern von Theodor Bornbeck bereits rhythmisch dem Grande Finale entgegenzuckte. Ihre Tochter war hinter einem eher schmächtigen Rücken verborgen, nur zwei samthäutige Katheten, in deren rechtem Winkel sich ein fremder Boy vergnügte, winkten unablässig herüber.
Es mochte schönere Anblicke als diesen geben, aber dass Inges Mutter den liebevollen Akt mit einem Rauswurf quittierte, hielt Theo für völlig überzogen. Schließlich war er der Schwiegersohn in spe, und als solcher hatte er gewisse Rechte. Doch sie schrie, sie zeterte und hielt ihm einen Vortrag über Sitte und Anstand. Er verpasste den letzten Bus wegen nichts und wieder nichts.
Am Tag danach war Inge ein anderer Mensch. Sie ließ ihn stehen und ging weiter. Lief er hinterher, beschleunigte sie ihren Schritt. Hielt er an, entfernte sie sich etwas langsamer. Kurz vor den Pepsi-Fahrradständern bekam er sie endlich zu fassen. Er war außer Puste und sauer. Ideale Voraussetzungen, seiner Inge die Meinung zu geigen.
»Das war ja wohl blöd, was?«
Sie schaute flüchtig an ihm vorbei und meinte, ihr habe es auch nicht gefallen. »Also mach die Fliege!«
Tschüss, er war entlassen. Die Show war zu Ende, der Vorhang fiel. Das Stück war ein Misserfolg.
Er betrachtete Inge zum letzten Mal. Scheiße! Sie gefiel ihm immer noch, und er konnte nichts dagegen tun. Mein Gott, so einem Mädchen poliert man nicht die Fresse, auch wenn er mindestens fünfundzwanzig gute Gründe hatte, es doch zu tun.
»Mann, verdufte endlich! Hau ab, du Knilch!«
Sie schien ihm unmissverständlich klarmachen zu wollen, dass jede weitere Minute mit ihr pure Zeitverschwendung sei, aber Theos Groschen fielen nur pfennigweise.
»Können wir denn nicht ...«
»Zieh Leine und hör auf zu labern!«
Während in seinem Gesicht noch Dutzende Fragezeichen tanzten, drehte sie sich um und ließ ihn stehen. Ihr hübsches Popöchen wackelte zum Abschied den Cadillac-Walk, bis es langsam kleiner wurde und schließlich hinter einer Backsteinmauer ganz verschwand.