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Der Anruf

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Es gibt nichts Friedlicheres als die Stille an einem schwedischen See im Juli. Sogar die Mücken werden träge, und auch Ylvy, meine muntere vierbeinige Reisebegleiterin, verkriecht sich vor der Sonne ins Businnere. Ein leichter Wind bewegt die geblümten Gardinen und ich spüre, wie mir mein Buch aus den Händen gleitet. Erst seit einer Woche bin ich hier im Norden unterwegs und habe mich schon an diese verschlafenen Nachmittage gewöhnt. Endlich Ruhe und Zeit, die Anspannung der vergangenen zwei Jahre abzuschütteln.

Umso lauter das Klingeln meines Handys. Anruf aus Deutschland, es ist meine Mutter, normalerweise ruft sie nie von der Arbeit aus an. Ihre Stimme ist aufgewühlt. Nein, keine schlimmen Nachrichten vom italienischen Anwalt, auch zu Hause alles gesund. Ein Verlag hat angerufen, wegen der Iuventa. Sie wollen meine Geschichte veröffentlichen.

Meine Geschichte? Sofort bin ich hellwach. Auch Ylvy spürt, dass etwas los ist. Sie springt aus ihrem Körbchen und hebt ihre zierliche Schnauze fragend zu mir. Es hilft nichts, vorbei ist der Mittagsschlaf.

»Komm, Ylvy, lass uns eine Runde drehen«, sage ich zu meiner kleinen, grauweiß gescheckten Hündin, die mich mit ihren großen, kastanienbraunen Augen beobachtet.

Wie froh bin ich, dass ich einen Grund habe, mit Ylvy jetzt um den See laufen zu können. Denn es tut gut, sich die Beine zu vertreten, wenn man Entscheidungen treffen muss.

Ist es richtig, meine Erlebnisse und Erinnerungen an meine Zeit auf dem Seenotrettungsschiff wieder hervorzuholen? Alles auszubreiten? Und dann die oft gehässigen und ekelhaften Kommentare auf Facebook und Co! Will ich mir das antun? Und wie viel haben wir, die Seenotretterinnen1, im Vergleich mit den geflüchteten Menschen zu erzählen? Und nun soll ich mich ins Licht der Öffentlichkeit stellen … Habe ich überhaupt etwas zu sagen?

»Na, Ylvy, was soll ich tun?«

Ylvy weiß, was zu tun ist. Sie hechelt mich lächelnd an, wedelt mit dem Schwanz und stürzt sich auf das Stöckchen, das ich ihr ins Gras werfe.

Als ich zwei Jahre zuvor den Anruf erhielt, dass in einer Woche mein erster Einsatz losgeht, gab es Ylvy noch nicht. Ob es an jenem Tag sonnig war, weiß ich nicht mehr, ich weiß nur, dass ich abends in den Himmel über dem Bodensee starrte und mich fragte, wie hell wohl die Sterne über dem libyschen Küstengewässer leuchten werden.

Letztendlich ist man mit sich und seinem Gewissen allein, wenn man Entscheidungen trifft.

Zoe heißt Leben

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