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Papas Boot

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Papas Boot war eine limettengrüne Jolle für zwei Personen. Er hatte die alte Schiffsdame von einem Freund geschenkt bekommen, und sie war tatsächlich nicht mehr die Jüngste. Ihre weiße Außenhaut hatte schon kleine Haarrisse, und vieles quietschte und klemmte. Auch das Segel hatte schon bessere Zeiten gesehen, aber trotzdem fuhren wir immer mit ihr raus auf den Schluchsee, denn eins konnte sie noch: übers Wasser gleiten.

Dort wurde selbst dieses gebrechliche und behäbige Boot beinahe schwerelos. Es glitt über den See, und das Wasser sprudelte durch den Schwertkasten und surrte. Die kleinen Wellen brachen am Bug, und man konnte die hellen Blubberblasen auf der dunklen Wasseroberfläche an sich vorbeirauschen sehen.

An diese ersten Segelerfahrungen denke ich zurück, wenn man mich fragt, wie ich denn dazu komme, mit einem Motorboot aufs offene Mittelmeer hinauszufahren, um Flüchtlinge und Migrantinnen vor dem Ertrinken zu retten. Ich habe das Element Wasser sehr früh lieben und auch fürchten gelernt. Meine Eltern erzählen, dass ich mich mit drei Jahren das erste Mal auf unser Segelboot gewagt habe, vorne sitzend und schützend umschlossen vom Rumpf. Ich war eingepackt in eine riesige, knall­orange Schwimmweste, aus der mein runder Kopf, bedeckt von einem großen Sonnenhut, herausschaute. Meine blauen Augen lugten vorsichtig zwischen Rettungswestenkragen und Sonnenhutkrempe hervor und beobachteten den schmalen, schwarzen Streifen Wasser, unten begrenzt durch das limettengrüne Deck und oben durch die dunkelgrünen Tannen des Schwarzwaldes.

Meistens fühlte ich mich auf unserer Jolle sicher, weil ich wusste, dass Papa das Boot im Griff hatte. Und dennoch: Mein Vater durfte das Boot nicht zu hoch am Wind fahren, damit der Rumpf nicht zu arg krängte und sich der schmale Streifen Seewasser nicht vergrößerte und zu einem pechschwarzen, alles Licht verschluckenden breiten Band wurde. Ich war mir wirklich nicht sicher, ob ich es auf diesem gleitenden kleinen Boot, ausgeliefert und angetrieben durch die Kraft der Natur, toll oder tollkühn fand.

Auf dem frisch betankten Motorboot der Iuventa, das allen technischen Standards entsprach, fühlte ich mich sicher. Aber ich würde nicht gerne in der Haut der Flüchtenden stecken, die auf der Umrandung eines überfüllten Schlauchbootes saßen und sich damit auf dem Meer in Lebensgefahr begaben. Würde ich selbst eine solche Gefahr in Kauf nehmen, um vor schrecklichen Lebensumständen zu fliehen? Hatten sie überhaupt eine Chance, sich das zu überlegen? Hatten sie überhaupt eine Alternative?

Wäre ich meinem Schicksal auf einem Flüchtlingsboot ausgeliefert, würde ich dankbar und überglücklich sein, gerettet zu werden.

Wie kam ich dazu, mich bei einem Seenotrettungsschiff zu bewerben? Im Frühsommer 2015, noch bevor die vielen fliehenden Menschen infolge des Syrienkriegs auch meine Heimatstadt Freiburg erreichten, engagierte ich mich in einem Helferkreis, zusammen mit meiner Mutter. Eine Zeitlang half ich nachmittags in der Flüchtlingsbetreuung. Meine Erfahrungen, die ich auf dem Kinderbauernhof, im Segelverein und anderen Sportvereinen gesammelt hatte, kamen mir hier zugute. Außerdem konnte ich Fußball spielen, und so verbrachte ich viele Nachmittage auf der nahe gelegenen Wiese und kickte zusammen mit Kindern aus Afrika, dem arabischen Raum und anderen Ecken der Welt.

Als sich im Jahresverlauf die Nachrichten von sinkenden Flüchtlingsbooten im Mittelmeer häuften, ließen mich die Bilder nicht mehr los. Ich wollte mir gar nicht vorstellen, wer alles von den fußballbegeisterten Kindern in einem solchen Boot gesessen hatte …

2016 hörte ich von einer Jugendorganisation, die mit dem Ziel gegründet wurde, Bootsflüchtlinge im zentralen Mittelmeer vor dem Ertrinken zu retten. Während ich für mein Abitur lernte und nach einem Ausbildungsplatz suchte, hatten sich also diese jungen Leute, die etwa so alt waren wie ich, zusammengetan und Spenden gesammelt. Das Crowdfunding von »Jugend Rettet« war so erfolgreich, dass sie einen alten Fischkutter kaufen und renovieren konnten, und so wurde im Sommer 2016 die »Iuventa« auf ihren ersten Such- und Rettungseinsatz vor der libyschen Küste geschickt. Übersetzt hieß das Schiff »Jugend«, ein schöner Name, wie ich fand. Es brauchte allerdings immer wieder neue Besatzungen.

Also schickte ich irgendwann eine Mailanfrage an »Jugend Rettet«.

Zoe heißt Leben

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