Читать книгу Art of Fake. - Zulehner Christoph - Страница 31
„ICH LERNE NOCH“ – WER EIGENTLICH NICHT?
ОглавлениеEs hätte nur ein winziges Detail am Outfit von Johannes Stangl anders sein müssen und sein mutiger Fake wäre ihm unmöglich gewesen. Ahnen Sie, was ich meine? Bestimmt sind Sie als Kunde irgendwo schon einmal von einem jungen Menschen bedient worden, der einen Anstecker mit dieser Aufschrift trug: „Ich lerne noch.“ Was macht ein solcher Anstecker mit Ihnen als Kunde? Keine Frage: Er schraubt Ihre Erwartungen auf die Höhe der Auslegeware herunter. Sie glauben sofort zu wissen: Der kann noch nichts – und der wird deshalb auch nichts für mich tun können. Vielleicht geben Sie dem Lehrling dennoch eine kleine Chance, einfach weil Sie ein fairer, höflicher und geduldiger Mensch sind. Aber selbst dann wünschen Sie sich insgeheim, dass Ihr Ansprechpartner bald von einem erfahrenen Kollegen abgelöst wird.
Johannes Stangl konnte unerkannt faken, weil er ein Namensschild trug wie alle anderen Mitarbeiter. Darauf stand lediglich: „Herr Stangl“. Er fakte insofern bewusst, als er sich zu Beginn des Verkaufsgesprächs noch nicht als Lehrling zu erkennen gab. Sicher, er sah sehr jung aus. Doch die Lebenserfahrung lehrt: Es gibt 16-Jährige, die aussehen wie 26 – und 26-Jährige, die aussehen wie 16. Ich jedenfalls zweifelte keine Sekunde an Herrn Stangl. Weder an seiner Fachkompetenz noch an seiner Berechtigung, mir ein Auto zu verkaufen. Am Ende kaufte ich nicht nur einen neuen Geschäftswagen, sondern wurde Stammkunde in diesem Autohaus. Das bin ich übrigens bis heute. Die Grundlage dafür hat Herr Stangl gelegt. Getreu dem Motto: Es gibt keine zweite Chance für einen ersten Eindruck. Ob ich einem Lehrling mit dem Anstecker „Ich lerne noch“ einen Satz wie „Rechnen Sie in der Praxis mit etwa 7,5 Litern Verbrauch“ geglaubt hätte, ist dagegen sehr fraglich. Selbst das zartest aufkeimende Flämmchen fachlicher Autorität erstickt dieser Anstecker doch sofort wieder.
Trotzdem habe ich den Eindruck, dass solche Buttons bei Arbeitgebern gerade immer beliebter werden. In meinen Augen ist das ein Unding. Und dies nicht allein wegen des Paradoxons, dass in Zeiten immer kürzerer Halbwertzeiten des Wissens so gut wie alle arbeitenden Menschen noch, wieder oder jetzt erst recht lernen. „Ich lerne noch“ – wer eigentlich nicht? Schlimmer noch als dieser Denkfehler ist, dass der Kunde durch den Kennzeichnungsirrsinn um einen Gesprächspartner auf Augenhöhe betrogen werden soll. Der informierte, zumindest jedoch der vorinformierte Kunde ist im Internetzeitalter nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel. Auch ich wusste, bevor ich Herrn Stangl begegnete, schon einiges über die Modelle von VW und Audi. Der Konfigurator, den ein Autoverkäufer nutzt, unterscheidet sich ja nicht einmal von dem, der auch dem Kunden online zur Verfügung steht. Ich wäre maßlos enttäuscht gewesen, keinem echten Fachmann zu begegnen, der mein Vorwissen vertieft und ergänzt.
Wenn ich einen Anstecker mit der Aufschrift „Ich lerne noch“ sehe, dann denke ich mir: Na ja, da kenne ich mich dann wahrscheinlich besser aus als der. Manchmal stimmt das ja tatsächlich. Wer als Vielreisender ständig Autos mietet, der dürfte die einzelnen Schritte des Anmietvorgangs und die Optionen – wie Versicherungsschutz, Winterreifen und so weiter – besser kennen als ein Lehrling in der Autovermietung an seinem ersten Tag. Bei einem gekennzeichneten Auszubildenden denke ich nur: Hoffentlich hält der mich jetzt nicht zu lange auf! Und der Lehrling? Der kann, gekennzeichnet wie tropisches Obst, eigentlich gar nicht anders, als befangen zu sein: Ich lerne noch, ich kann noch nichts, alle sehen es – also ist es auch so. Eine klassische sich selbst erfüllende Prophezeiung. Im besten Fall wird der Lehrling hoffen, dass der Kunde besonders nett zu ihm ist. Im schlechtesten Fall wird er sich sagen: Ich habe das Recht, keine Ahnung zu haben – es sieht ja eh jeder, also soll sich auch keiner beschweren. Eine Chance, sich zu beweisen, bekommt er so oder so nicht.