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Biggi Breitner zitterte heftig. Sie war auf Turkey, wie man in ihren Kreisen sagte, und die Entzugserscheinungen waren kaum noch auszuhalten. Es hatte Schwierigkeiten gegeben. Sie konnte keinen Stoff auftreiben, weil ihr Dealer aus triftigen Gründen in der Versenkung verschwinden musste. Und einen neuen Dealer aufzutreiben, hatte Zeit gekostet. Aber nun hatte Biggi, was sie brauchte. Sie gierte nach dem Schuss, den sie sich gleich in der Damentoilette des Europa Centers machen wollte. Dieses Center, vor drei Jahren durch den regierenden Bürgermeister Willy Brandt eröffnet, erfreute sich schon rasch großer Kundenresonanz. Täglich kamen mehr als 20.000 Besucher hierher, kauften ein, besuchten eines der vielen Restaurants oder arbeiteten hier in den Büroetagen. Seine günstige Lage in unmittelbarer Nähe des Zoologischen Gartens und der Drogenszene zwischen Bahnhof Zoo und dem Tiergarten brachte allerdings auch immer mehr unerwünschte Besucher in das Center. Obdachlose, Stricher, Prostituierte und Drogensüchtige entdeckten die sanitären Anlagen des Centers für sich und nutzten sie für ihre Zwecke.

Die Sicherheitskräfte hatten ihre liebe Not und die Polizei unterstützte sie bei ihren Kontrollgängen mit regelmäßiger Präsenz.

Seit zwei Monaten war Brigitte Breitner, von allen nur Biggi gerufen, voll auf „H“ - und das mit siebzehn Jahren. Sie wusste nicht, wie es dazu gekommen war. Die Clique, in die sie geriet, riet ihr davon ab, „es mal zu probieren“. Sie sagte, sie würde nur mal ein bisschen sniefen, da wäre doch nichts dabei.

Nach dreimal Sniefen war sie jedoch schon abhängig, ohne es zu wissen. Die erste Spritze oder, wie man in ihren Kreisen sagte, der erste Druck, war die logische Folge. Seit dieser Zeit „ballerte“ sie sich täglich ihre Ladung, und ihr Konsum nahm dabei beträchtlich zu.

„Nur mal versuchen“, meinte sie immer wieder. „Ich kann damit jederzeit aufhören.“

Aber damit belog sie sich selbst. Was wirklich mit ihr los war, merkte sie, als sie einmal zwei Tage ohne Heroin auskommen musste.

Seither wusste sie, dass sie süchtig war, aber es machte ihr nichts aus.

Ihr Verantwortungsbewusstsein existierte nicht mehr. Sie belog und bestahl ihre Eltern, war bereit, alles zu tun, um sich den nächsten Druck zu sichern. Und dabei war sie die Tochter des Millionärs E.W. Breitner, der keine Ahnung hatte, wie es um sie stand.

Biggi eilte auf die Toiletten zu, ein sehr schlankes, blondes Mädchen, bleich, knochig, mit langen blonden Haaren, in Jeans und Rollkragenpullover. So lief sie am liebsten herum.

Im überweiten Pullover trug sie bei sich, was sie brauchte, um sich einen Schuss zu setzen. Diesmal hatte sie etwas Besonderes aufgetrieben: Snow White. Das Nonplusultra. Die Szene war verrückt nach Snow White. Ganz geil könne man darauf abfahren, hieß es allgemein. Es sollte total rein sein, ungestreckt mit irgendwelchen anderen Substanzen. Und es war der Schneemann, der es auf den Berliner Markt warf. So nannten ihn alle – oder auch den Drogenkönig von Berlin: Freddy Kehrmann. Kehrmann hatte alles im Programm – Kokain, Heroin, Morphium, rezeptpflichtige Schmerzmittel. Man nannte ihn den Schneemann, weil er als einer der ersten Händler in Berlin ungeheure Mengen von Kokain – in der Sprache der Dealer ‚Schnee‘ genannt – auf den Markt geworfen hatte. Zu Preisen, die deutlich unter denen der Konkurrenz lagen. Bis er, nachdem er den Markt praktisch beherrschte, die Preise wieder nach oben trieb.

Und nun also der neue Stoff. Snow White. Diesmal Heroin.

Aber der Stoff war nicht ungefährlich. Man musste bei der Dosierung höllisch aufpassen, sonst trat man eine Reise ins Jenseits an. Seit Snow White in größeren Mengen in Berlin abgesetzt wurde, häuften sich die Drogentoten, was die Süchtigen jedoch nicht davon abhielt, sich um den Stoff zu reißen.

Biggi flippte beinahe aus. Sie konnte es kaum noch erwarten, sich das hochprozentige Zeug in die Ader zu jagen.

Aufgeregt betrat sie den Waschraum. Cremefarbene Kacheln reichten bis an die Decke. Obszöne Sprüche und Zeichnungen. Telefonnummern, mit dem Hinweis: Ich tue alles.

Politische Parolen ...

Biggi warf einen Blick in den gesprungenen Spiegel, der neben der Tür an der Wand hing. Sie gefiel sich schon lange nicht mehr. Egal, die Talfahrt war nicht mehr zu stoppen. Sie wusste, wo sie eines Tages enden würde, und auch wie. Es war ihr gleichgültig.

Hastig schloss sie sich in eine der Zellen ein. Fiebernd traf sie die Vorbereitungen. Dann band sie sich den Oberarm mit dem Gummischlauch ab, setzte die Kanüle zitternd an, schob sie zwischen vielen Einstichen in die Vene.

Mit dem nächsten Herzschlag schien etwas in ihr zu explodieren.

Sie riss erschrocken die Augen auf, kippte zur Seite.

Es gab ein Rauschgiftopfer mehr in der Stadt.

Der Schneemann mordet nicht! Berlin 1968 Kriminalroman Band 36

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