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Kapitel 10

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Laupen, Wührenweg, drei Tage zuvor, 16. November 2019, 10:00

Die Kaffeetassen stapelten sich im Spülbecken. Als er den kleinen Küchenschrank öffnete, um sich eine saubere Tasse zu schnappen, fluchte er. Der Schrank war leer. Missmutig säuberte er eine Tasse aus der Deponie im Spültrog. Kurz darauf saß er am quadratischen speckigen Küchentisch und grübelte.

Sein rechtes Ohrläppchen, beziehungsweise die Überbleibsel davon, hatte wieder zu jucken begonnen. Bei einem Unfall vor einigen Jahren wurde ihm fast das gesamte rechte Ohr abgetrennt. Bei Nervosität, Angst, Frustsituationen oder auch bei schlechter Laune plagte ihn seither ein starker Juckreiz in seinem Ohrstumpf. Vor einem Jahr hatte er sich dabei dermaßen an seinem verkrüppelten Ohrläppchen zu schaffen gemacht, dass er aufgrund einer nicht zu stillenden Blutung ins Spital eingewiesen werden musste.

»Weshalb konnte diese hochnäsige Italo-Zicke nicht einfach die Ermittlungsergebnisse der Polizei akzeptieren? Die Ermittlungen waren offensichtlich abgeschlossen: Suizid. Perfekt. Er hatte alles meisterhaft inszeniert. Sich minutiös an seinen Plan gehalten. Suizid wie aus dem Lehrbuch, die Polizei hat applaudiert.«

Gestern Abend überfiel ihn plötzlich dieses dumpfe Gefühl. Zweifel.

Hatte er nicht doch vielleicht Spuren hinterlassen? Spuren am Fangnetz bei der Kirchenfeldbrücke? Nein, das war unmöglich. Er machte keine Fehler. Nie. Oder doch?

Kurz nach 21.30 Uhr hatte er den Kampf gegen seine Selbstzweifel verloren. Im strömenden Novemberregen hat er sich aufgemacht. Auf zur Kirchenfeldbrücke. Dort war er auf dieses arrogante Weibsbild gestoßen. Er beobachtete sie, wie sie mitten auf der Brücke mit einer kleinen Taschenlampe die dortigen Fangnetze ausleuchtete. Trotz der Dunkelheit konnte er zweifelsfrei erkennen, dass es sich bei der Frau um ein Mitglied dieser elenden Manaresi-Sippe handelte. Als die Zicke kurz darauf die Übung abbrach und Richtung Innenstadt davonging, war er ihr gefolgt. So hatte er herausgefunden, dass es sich um Lisa Manaresi handelte und dass sie in einer Studiowohnung im Länggassquartier wohnte. Der Rest war ein Kinderspiel. Dank seinen Beziehungen zu einschlägigen Hackerkreisen wusste er in der Zwischenzeit beinahe mehr über Lisa als ihre Eltern. Die geilste Information lieferte ihm Branko Dangvac. Branko gehörte zum innersten Kreis der kroatischen Dark Cyber Community. Er hatte die IP-Adresse von Lisas iPhone herausgefunden. An die Handynummer von Lisa zu kommen, war noch einfacher gewesen – lächerlich einfach. Mit diesen Informationen konnte er, GPS-gesteuert, zu jeder Zeit wissen, wo sich Lisa aufhielt. Genial.

Deshalb war er ihr auch gefolgt, als sie zum zweiten Mal ans Schwarzwasser ging. Von der Brücke aus hatte er beobachtet, wie sie unten in der Dunkelheit das Gewässer absuchte. Hatte die oberschlaue Möchtegernpolizistin etwas entdeckt?, fragte er sich. Es ärgerte ihn, dass er sich tatsächlich Sorgen machte. Natürlich hat sie nichts gefunden!, versuchte er, sich einzureden. Es blieb ein Zweifel, der ihn wie ein Dornenstachel quälte.

Zum richtigen Zeitpunkt würde diese Tusse ihre Strafe bekommen. Er spürte, wie sich bei dem Gedanken in seinem Schritt etwas regte. Er stand auf, schüttete den kalt gewordenen Kaffee in die Spüle und gönnte sich einen kräftigen Schluck aus der Jack-Daniels-Flasche. Diese stand immer irgendwo in Griffnähe. Zur Feier des Tages.

Der Whiskey brannte ihm in der Kehle, löste aber kurz darauf ein wohliges, wärmendes Gefühl im ganzen Körper aus. Er entspannte sich und begann zu überlegen. Je mehr er nachdachte, desto mehr hellte sich sein Gesicht auf. Er war schon fast wieder in Hochstimmung. Kein Grund zur Beunruhigung. Alles war perfekt.

Fast alles.

Das Schweigen der Aare

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