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Dinanderie

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Ich hatte Interesse an der Bearbeitung von Metall gezeigt, und meine Eltern, beide Liebhaber von Keramik und Dinanderie, hatten Kontakt mit Kunsthandwerkern aufgenommen – und Guy getroffen.

Guy war Metalltreiber. Zunächst zögerte er bei dem Gedanken, ein Kind in der Werkstatt aufzunehmen, aber schließlich willigte er ein, mich in sein Handwerk einzuführen.

Dinanderie nennt man die Kunst, Metall zu formen, indem man es mit einem Hammer bearbeitet, statt es zu schmieden. Es ist ein vom Aussterben bedrohtes Handwerk. Die wenigen verbliebenen Meister müssen sich oftmals wie Guy damit begnügen, Kurse für Rentner auf der Suche nach einem Hobby zu geben; diese sind gewiss motiviert, aber sie haben nicht die Ambitionen, mehr Kenntnisse zu erlangen, als zum Fertigen einiger Gegenstände vonnöten sind.

Guy schläferte die Routine der Kurse für den ADAC1 schier ein. Mit meiner kindlichen Begeisterung und dem Wunsch, sein Metier ernsthaft zu erlernen, sorgte ich für frischen Wind in seiner Werkstatt.

Vom ersten Augenblick an stimmte die Chemie zwischen uns. Guy vergaß seine anfänglichen Bedenken und bat Mama inständig, mich in der nächsten Woche wiederzubringen. Er fühlte sich wie ein Lehrmeister in alter Zeit und empfand innige Freude dabei, mir sämtliche Facetten seines Handwerks näherzubringen. Und ich saugte wissbegierig alles auf wie ein Schwamm. Ich durfte an beiden seiner Kurse teilnehmen, obwohl ich nur für den Donnerstagskurs angemeldet war. In der übrigen Zeit las ich alles, was Guy, meine Eltern und ich selbst zu diesem Thema finden konnten. Es wurde mir zum Anliegen, die Dinan- derie von anderen Arten der Metallbearbeitung abzugrenzen, und als wahrer Purist wetterte ich in regelrechten Pamphleten gegen Kunstschmiede, die sich selbst als Metalltreiber bezeichneten.

Damals mündete mein Enthusiasmus für eine Sache stets in ein kleines Buch oder ein anderes Schriftstück. Nun verfasste ich also ein Heft mit meinen Betrachtungen unter dem Titel Die Dinanderie oder über die Sublimierung von Metall. Es hatte mich viel Zeit gekostet, die Texte zu verfassen und anschließend ins Reine zu schreiben. Außerdem hatte ich Schwarz-Weiß-Illustrationen angefertigt, die ich nach der Vervielfältigung mit Filzstiften kolorieren wollte. Dann klapperte ich die Läden ab, um herauszufinden, wo ich die günstigsten Kopien bekam, und verbrachte lange Stunden mit dem Binden und Kolorieren meines kleinen Heftes. Meine Eltern nahmen dies ebenso ernst wie ich, und so durfte ich meine Publikation zwischen all den anderen Büchern, die mein Vater zum Verkauf anbot, aufstellen. Einige Hefte verkaufte ich gleich. Um alle Vertriebswege auszuschöpfen, hatte ich aber darüber hinaus einen Bestellcoupon vorbereitet – und die entsprechenden Exemplare versandte ich.


Eine bemerkenswerte Anekdote ist mir in Erinnerung geblieben: Mama wies mich oft daraufhin, dass in meinen Texten Akzente oder Satzzeichen fehlten. Ich war diesem Anliegen gegenüber jedoch offenbar wenig aufgeschlossen, und meine Mutter übte auch keinen Druck aus. Sie vertraute darauf, dass es für mich zur gegebenen Zeit selbstverständlich würde, Akzente und Kommas zu setzen.

Während eines jener langen Sommermonate, die wir bei meinen Großeltern in Lézan verbrachten, trug unser Freund, der Imker (den ich einige Jahre zuvor dabei beobachtet hatte, wie er mit bloßen Händen einen Schwarm von Wildbienen in einen Bienenstock strich), die Texte aus meinem Heft zur Dinanderie laut vor.


Er war ernsthaft an meinen Gedanken interessiert und sagte mir, als er die Lektüre beendet hatte: »Es ist ein sehr gutes, sehr interessantes Buch, es fehlt nur an Akzenten und Kommas...«

Von jenem Tag an arbeitete ich besonders aufmerksam daran, dass in meinen Schriften nie mehr ein Akzent oder Satzzeichen fehle – der Groschen war gefallen.

Ich sah mich als Dinandier. Wir kauften Werkzeuge – nur Hochwertiges, darauf achtete Guy – und viel Rohmaterial. Das war teuer, aber wir verzichteten dafür auf andere Dinge. Ich erinnere mich an meine Freude (die des Kindes und des Erwachsenen in mir), als Papa und ich meine frisch polierten Hämmer abholten. An der Gewissenhaftigkeit, mit der ich sie begutachtete, erkannte der Verkäufer meinen Sachverstand, und er behandelte mich nicht wie ein Kind.

Bei einem Ausflug aufs Land fand ich einen ausrangierten, speziellen kleinen Amboss. Ich ließ ihn polieren und gegen Rost behandeln. Das dauerte seine Zeit, aber es lohnte sich, denn der Amboss war sehr nützlich.

Guy fand immer größeren Gefallen an der ganzen Sache. Er brachte mir ohne zu zögern bei, einen Schweißbrenner mit einer riesengroßen Flamme zu bedienen (das Kupfer muss zwischen den Hammerzyklen bis zur Weißglut erhitzt werden) und anschließend den Metallgegenstand mit einer simplen Zange ins Wasser zu tauchen. Ich liebte das Geräusch und den Geruch beim Eintauchen des glühenden Kupfers. Er lehrte mich auch, Salzsäure (!) und Wasser zu mischen und den anderen Schweißbrenner mit dem gefährlichen Gemisch zu regulieren.


Ich glaube nicht, dass er sich jemals fragte, ob diese Tätigkeiten meinem Alter entsprachen. Er betrachtete mich stets als das, was ich war: ein leidenschaftlicher Schüler mit wachsender Kraft und Sachkunde.

Eines Tages musste er für einen Moment die Werkstatt verlassen, und ich erinnere mich noch gut daran, dass mein Herz höher schlug, als er von der Treppe aus in den Raum rief: »Ich bin kurz weg. Falls es Fragen gibt, wenden Sie sich an André!«

Die schwierigsten, aber gleichzeitig entscheidenden Schritte beim Metalltreiben bestehen darin, den Durchmesser der unbearbeiteten Kupferplatte – genannt Matrize – so präzise zu berechnen und die Platte dann so exakt mit dem Hammer zu bearbeiten, dass die Metalldicke konstant bleibt. Bei einem komplizierten Gegenstand wie einer eiförmigen Vase zum Beispiel ist im Idealfall nicht nur das Metall vom Fuß bis zum Rand der Vase gleich stark, sondern darüber hinaus entspricht die Metalldicke der ursprünglichen Matrize.


Eine Vielzahl von Parametern fließt in die geometrische Berechnung ein, um die Größe der Matrize so genau zu bestimmen, dass es bei der Verarbeitung weder an Material fehlt noch dass zu viel vorhanden ist. So erwarb ich auf ganz natürliche Weise zahlreiche Kenntnisse auf dem Gebiet der Geometrie und ebenso in der angewandten Chemie, um dem Kupfer verschiedene Farben zu geben.


Für einen dreizehnjährigen Jungen brachte ich es zu einiger Kraft, noch heute gebrauche ich einen Hammer mit stolzer Präzision.

Ich lernte auch Metalle zu bearbeiten, die anders als Kupfer behandelt werden mussten, und fertigte Auskleidungen aus lebensmittelbeständigem Zinn für Kupfergefäße an; für Letzteres muss man äußerst genau arbeiten und die unterschiedlichen Reaktionen auf die Hammerschläge kennen, damit die beiden Stücke sich gut ineinanderfügen.

Aufgrund persönlicher Probleme setzte Guy nach drei Jahren zum Schuljahresbeginn im September seine Kurse nicht mehr fort. Für mich war das ein Schock.

Der Mann, der ihn vertrat, hatte seine Werkstatt im hintersten Winkel des 13. Arrondissements, in einem düsteren Unterbau eines der Hochhaustürme in Chinatown. Der Weg dorthin war umständlich, aber meine Begeisterung war ungebrochen.

Ich war 14 Jahre alt und der neue Lehrer hatte seine Zweifel, doch die verflogen rasch. Trotz seines guten Willens habe ich aber bei ihm nicht viel gelernt. Er war ursprünglich Kupferschmied, ein erfahrener Schweißer, und er wandte Techniken an, die im Widerspruch zu meinen Überzeugungen standen.

Ich kam nicht weiter, harrte aber dennoch eine Zeit lang aus. Schließlich, nachdem ich ein besonders schwieriges Stück (eine Vase in Form einer Acht) geschaffen hatte, fasste ich den Entschluss, im folgenden Herbst die Lehre nicht fortzusetzen, sondern stattdessen für mich allein zu arbeiten, sobald sich die Möglichkeit ergeben würde, eine kleine Werkstatt einzurichten. Dieses Vorhaben wurde von anderen abgelöst und nie verwirklicht. Doch ich bin sicher, dass ich das Metalltreiben jederzeit wieder aufnehmen könnte.

Und ich war nie in der Schule

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