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Zurück zu den improvisierten Zeiten

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Nicht selten steckte ich unerwartet mitten in der Erforschung eines neuen Gebietes, dem ich innerhalb eines Themas begegnet war, mit dem ich mich gerade befasste. So verhielt es sich beispielsweise mit der Algebra, als ich eigentlich nur die nötige Anzahl von Verzahnungen für eine Konstruktion berechnen wollte.

In meinem so frei gestalteten Alltag geschah es oft, dass sich unverhoffte Möglichkeiten ergaben: Ein Freund oder Verwandter wollte eine Ausstellung sehen und bot an, uns mitzunehmen; mein Onkel plante seinen Besuch der Modellbaumesse so, dass er mit mir gemeinsam hingehen konnte; Delphine hatte zwei Karten für eine Tanz- oder Theatervorstellung erhalten, kam mich abholen und ich entdeckte etwas mir vollkommen Neues...

Unsere Zeitplanung war so flexibel und offen, dass es in der Mehrzahl der Fälle möglich war, ein solches Angebot spontan wahrzunehmen. Wie viele Begegnungen und großartige Momente wurden mir auf diese Weise geschenkt!

Sehr häufig passierte es auch, dass ich beim Durchstöbern der Buchlieferungen eine ungeahnte Entdeckung machte und für eine Weile meine derzeitigen Beschäftigungen auf Eis legte, um mich in dieses neue Thema zu vertiefen.

Ich erinnere mich insbesondere an ein Buch über die amerikanische Raumfähre und ein anderes über die Bezwingung des Mount Everest.

Die Raumfähre stand noch in direktem Zusammenhang mit meinem generellen Interesse an Spitzentechnologien und Astronomie (darauf komme ich später zurück), und somit war es wenig überraschend, dass ich das Buch herausgriff. Aber die Faszination für den Mount Everest kam aus dem Nichts und führte zu nichts Weiterem. Ich las mehrere Werke und spezialisierte mich vorübergehend auf dieses Thema. Die Begeisterung ist geblieben, aber wie so viele andere Interessen blieb es eine unabhängige Insel, zu der ich auf meinem Weg lediglich einen Abstecher machte.

Ein weiteres Beispiel für die Improvisationen: Als ich wohl ungefähr sechs Jahre alt war, sagte mir Papa eines Tages, dass er mich ins Planetarium mitnehmen werde. Ich hatte keine Ahnung, was mich dort erwartete, und Papa klärte mich bewusst nicht auf, um die Überraschung nicht zu verderben. Aber wie immer war ich voller Zuversicht und Begeisterung.

Ich weiß noch, wie wir im Palais de la Découverte eintrafen und wie mich das, was ich dort sah, beeindruckte. Doch wir trödelten nicht, meine Aufmerksamkeit war auf das Unbekannte gerichtet, das mich erwartete. Ich erinnere mich an das Warten vor dem großen Eingangstor, daran, wie wir unter die Kuppel traten, die mir riesig erschien. Ich war mit Abstand der Jüngste im Saal.

Während der Vorführung folgte ich den Erläuterungen kaum, denn ich war von zwei Dingen fasziniert: Zum einen von der Entdeckung der Gesetzmäßigkeiten und Verhältnisgrößen des Himmels, seiner unermesslichen Weite, seiner extremen Schlichtheit und übermenschlichen Komplexität. Ich betrachtete das Ganze auf meine eigene Art, wie ein Schauspiel, ohne mich auf den Sprecher zu konzentrieren. Zum anderen war ich gefesselt von dem seltsamen Apparat, der sich im Zentrum des Planetariums bewegte. Ich ließ ihn nicht aus den Augen und beobachtete seine Funktionen.

Im Gegensatz zu all den übereifrigen Eltern, die ich später erlebte, wenn sie mit ihren Kindern einen solchen Ort besuchten, versuchte mein Vater in keiner Weise mir etwas vorzumachen, mir zum Beispiel weiszumachen, es stecke irgendeine Magie dahinter, oder mir irgendeinen Nonsens zu erzählen wie »Sieh doch! Ein Stück vom echten Himmel, den sie in eine Dose gepackt haben, damit du alles verstehen kannst!«.

Er fand es auch nicht schlimm, dass ich der Technik eine so große Aufmerksamkeit widmete, die doch eigentlich vollkommen in den Hintergrund treten und mich »zu den Sternen entführen« sollte.

Als wir gingen, hatte ich mit der Astronomie ein neues Interessengebiet gewonnen und eingehend studiert, wie ein Planetarium funktionierte.

Einmal besuchten wir zu viert eine Abendveranstaltung mit Musik und Tänzen aus der Mongolei im Maison des cultures du monde(Haus der Kulturen der Welt), das wir regelmäßig aufsuchten. Zum Schluss wurde angekündigt, dass die Sänger am folgenden Tag einen Workshop für Obertongesang abhielten. Spontan beschlossen Eléonore und ich, uns einzuschreiben. Weder vor noch nach diesem Tag haben wir uns mit dem Obertongesang beschäftigt, aber wir können uns noch gut erinnern, was wir in diesem Kurs darüber erfahren haben.

Mein Onkel Pierre nahm mich einmal mit zu einer Landwirtschaftsausstellung. Ich vermag gar nicht zu sagen, was mir dort am besten gefallen hat: die Tiere, die riesigen Maschinen oder das Mittagessen im Restaurant? Wenig später lud mich Pierre – der damals Bauer war – dann zur Erntezeit auf seinen Hof ein. Am ersten Tag sah ich nur zu. Ich beobachtete ihn, wie er sich frühmorgens mit einer großen Spritze bewaffnet unter den riesigen Mähdrescher legte, um vor dem Arbeitstag auf dem Feld die Mechanik zu ölen, wie er die Traktoren manövrierte, die Pflüge vorbereitete und die Anhänger reinigte. Dann kletterte ich mit ihm ins Führerhaus, und er erklärte mir alle Handgriffe und Funktionen, alle Schalter, Knöpfe und Hebel. Gebannt sah ich zu, wie die Maschine Reihe für Reihe der Maispflanzen verschlang und die gelben Körner in hohem Bogen auf einen Traktoranhänger spuckte, der mit derselben Geschwindigkeit wie der Mähdrescher fuhr.

Ab dem zweiten Tag ließ mich Pierre ans Steuer, an ein riesiges, sehr schmales, sehr hartes Lenkrad. Er blieb an meiner Seite, um jederzeit eingreifen zu können, so wie er es bereits mit seinen eigenen Kindern gehandhabt hatte. Er brachte mir bei, die Höhe des Mähbalkens entsprechend den Unebenheiten des Terrains zu regulieren, beim Wenden am Ende des Feldes alles hochzuklappen und die Geschwindigkeit mithilfe eines Hebels der Dichte der Pflanzenreihen anzupassen. Ich war fasziniert von dem Gewicht und der Kraft dieser gelben Maschine, die sich auf meine Kinderhandgriffe hin bewegte.

Das Wenden am Ende des Feldes war ein kompliziertes Manöver für mich, denn man musste auskuppeln, den Rückwärtsgang einlegen, das Lenkrad drehen und das hochgeklappte Schneidwerk im Auge behalten. Vor allem das Treten der Kupplung bereitete mir Schwierigkeiten, denn ich war so klein, dass ich aufstehen und mein ganzes Gewicht einsetzen musste, um das Pedal hinunterzudrücken.

Am dritten Tag hatte sich Pierre von meiner Konzentration und meinem Geschick überzeugt und vertraute mir den Mähdrescher allein an, während er Traktor und Anhänger holte und dann neben mir herfuhr, damit ich meine »selbst geernteten« Körner darauf abladen konnte.

Und ich war nie in der Schule

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