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Lokomotiven

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Mein älterer Halbbruder Bertrand nahm mich mit in eine Ausstellung über Eisenbahnen im Centre Pompidou. Es war schon allein aufregend, dieses Gebäude zu betreten, das ich bislang nur von außen kannte, um dann festzustellen, dass man sich in schlichten Ausstellungsräumen befand, wenn man erst einmal die Fassade und das Gewirr an Röhren hinter sich gelassen hatte. Die Ausstellung war riesig: Es gab große Modellbahnanlagen, bei denen die elektrischen Züge durch beeindruckende Landschaften fuhren (ich weiß noch, dass eine aus gefärbtem Zucker bestand und ich schockiert war, als ein Junge seine Hand unter die Glasvitrine streckte und ein Stückchen Zucker abbrach und aß), Teile von Lokomotiven, Illustrationen, Nachbildungen und Filme.

Wir verbrachten den ganzen Tag dort und eine der großen Leidenschaften meiner Kindheit entstand: die für Dampflokomotiven.

Kurz nach diesem Ausflug schenkten mir Bertrand und Papa einen Satz mit erstklassigen Bauteilen für eine elektrische Eisenbahn, den Bertrand aus Deutschland mitgebracht hatte.

Es gab nur eine begrenzte Zahl von Gleisen und lediglich drei Waggons, aber das machte nichts. Ich war mit meiner Tandem – Lokomotive beschäftigt. Ich studierte die Bewegung der Pleuelstange und der Kolben und wusste, dass sie bei diesem Spielzeug verkehrt herum funktionierte, weil die Drehbewegungen der Räder die Pleuelstangen bewegten und nicht umgekehrt. Auf meine Fragen hin hatte mir mein Großvater erklärt, wie eine echte Dampflokomotive funktioniert.

Gewissermaßen nebenbei lernte ich mit der Polung beim Gleichstrom umzugehen; ich probierte aus, wie ich + und – handhaben und den Stromkreislauf öffnen oder schließen musste, damit die Schranken sich senkten, wenn der Zug vorbeifuhr, oder die Lokomotive vor einem Haltesignal zum Stehen kam.

Ich erfuhr auch, wie ein Elektromagnet funktionierte, indem ich mich daran wagte, die Karosserie meiner Lokomotive auseinanderzunehmen. Um zu überprüfen, ob ich die richtigen Schlüsse gezogen hatte, ohne erneut meine hübsche Maschine zu zerlegen, holte ich bei meinem Großvater und meinem Onkel Jean einige Informationen ein und umwickelte dann ein Stück Weißmetall, das ich gefunden hatte, erst mit Plastik und schließlich mit einem Kupferdraht. Beim ersten Mal scheiterte das Experiment und schnell wurde mir klar, warum: Ich isolierte den Draht mit Nagellack und bemühte mich, ihn anschließend völlig gleichmäßig um das Metall zu wickeln. Jetzt funktionierte der Elektromagnet ganz hervorragend.


Im Laufe der Zeit bekam ich eine zweite Lokomotive, mehrere Signale und einige ferngesteuerte Weichen. Neben dem Zerlegen, Reinigen und Ölen meiner Maschinen bestand meine Lieblingsbeschäftigung darin, mich auf den Boden zu legen und die Lokomotiven auf Augenhöhe vorbeifahren zu sehen. Oft schaltete ich das Licht aus und schloss die Fensterläden, um eine Nacht zu simulieren, in der nur das schwache grüne Licht des Flügelsignals schimmerte; langsam näherten sich dann die drei Lichter der Lokomotive, und sobald sie vorbeigefahren war – ich stellte mir ein donnerndes Geräusch dazu vor – folgte ich dem roten Fähnchen des letzten Waggons mit den Augen. Dieser letzte Waggon mit seinem Schlusslicht lag mir besonders am Herzen, ebenso wie die Innenbeleuchtung der anderen Wagen, die ich selbst installiert hatte. An dem beleuchteten Zug im Dunkeln konnte ich mich gar nicht sattsehen.



Ich baute zahlreiche Lokomotiven aus Papier oder Karton, wobei ich penibel das Material rollte, um den Heizkessel und die Röhren nachzubilden, oder ein Stück Wellpappe teilweise platt drückte, um mir Gleise zu basteln.

Später nahm ich einige alte Zahncremetuben aus Metall, schnitt sie auf, bearbeitete sie mit dem Hammer und glättete sie sorgfältig, bevor ich das Material zuschnitt und faltete, um eine Lokomotive »ganz aus Metall« zu konstruieren, auf die ich unglaublich stolz war.


Zahlreiche Bücher über Lokomotiven kamen ins Haus. Gemeinsam mit Delphine suchte ich die Bibliothèque Fornay auf, wo ich mich in die vielen Fachbücher vertiefte und unzählige Illustrationen fotokopierte. Ich studierte die Daten, die Systeme – ach, die großen Namen wie Compound oder Mallet! – die Geschichte der Eisenbahn (von Georges Stephenson bis zu den ersten elektrischen Triebwagen), die Entwicklungen, Strecken, die großen Bauprojekte und die zugehörigen Anekdoten.

Seite um Seite der mit herrlichen historischen Fotos illustrierten Bücher folgte ich meinen Lokomotiven quer durch Frankreich und bis in die entlegenen Winkel des Wilden Westens und erlebte die großen Momente der Geschichte nach. Die Lokomotiven, die ich unablässig zeichnete und malte, lenkten mich schließlich zu den eisenbahnbezogenen Werken der Literatur, darunter unweigerlich auch zu Zolas Die Bestie im Menschen, wo ich mit Tränen in den Augen meine Lieblingsszene der drei herannahenden Scheinwerfer in der Nacht wiederfand...

Und ich war nie in der Schule

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