Читать книгу Und ich war nie in der Schule - Andre Stern - Страница 7

Mama

Оглавление

Mama wurde 1939 im algerischen Guelma geboren. Michèle ist das zweite Kind und das erste Mädchen von Simone und Franois Arella. Ihre Eltern, ein schillerndes Paar von elegantem Auftreten, sind beide in Nordafrika auf die Welt gekommen: François in Guelma, Simone, geborene Girard, in Tunesien.

François' Vater hat seine Heimat Italien verlassen, um in Algerien zu leben und dort Straßen und Brücken zu bauen. Seine zahlreichen Kinder kommen in der großen, im italienischen Stil errichteten Villa zur Welt. Man führt ein arbeitsreiches, aber glanzvolles Leben. Das Geschäft floriert, mutige Innovationen zahlen sich aus, und auch mit den arabischen Algeriern versteht man sich aufs Beste.

François kann so ziemlich alles und arbeitet viel. Als er die wunderbare Simone trifft, ist es für beide Liebe auf den ersten Blick. Sie heiraten.

Simones Eltern gehören zu den ersten französischen Siedlern, die in Nordafrika geboren wurden. Ihrer Berufung gemäß arbeiten sie als Landwirte. Simone ist eine Frau ihrer Zeit – kultiviert, kunstsinnig, elegant und zurückhaltend. Sie führt ihr Haus meisterhaft, mit Umsicht und Großzügigkeit.

Michèle liebt alle Winkel des großen Anwesens, auf dem sie gemeinsam mit dem großen Bruder Pierre und der kleinen Schwester Nicole aufwächst: die Hitze Algeriens und die üppige Natur mit Orangen- und Feigenbäumen, die es umgeben, die Schatten spendenden rosa- und beigefarbenen stillen Hallen mit ihren herrschaftlichen Proportionen und wie das afrikanische Licht dort waagerecht hineinfällt.

Ob in Guelma oder auf dem wundervollen Hof ihrer Großeltern mütterlicherseits in Sedrata – Michèle ist es bereits in sehr jungen Jahren bewusst, im Paradies zu leben, umgeben von Liebe und Heiterkeit.

Die Jahre vergehen. Michèle leidet, als sie für den Besuch des Lycée ihren Garten Eden verlässt. Aber sie ist eine eifrige Schülerin. Und nach den beiden Abiturprüfungen muss sie für ihr Literaturstudium an der Pariser Sorbonne das geliebte Land sogar ganz hinter sich lassen.

Angesichts der beunruhigenden Nachrichten vom Algerienkrieg unterbricht Michèle das Studium, um zu ihrer Familie zurückzukehren. Es herrscht eine große Verunsicherung unter den Menschen, viele verlassen das Land, und es besteht Lehrermangel. So beginnt Michèle zunächst an einer Mittelschule zu unterrichten, bald schon wird sie als Grundschullehrerin verbeamtet. Aber nach der Unabhängigkeitserklärung Algeriens bleibt nur die überstürzte Flucht nach Frankreich. Mit der gesamten Familie verlässt sie für immer ihre Heimat und das Glück ihrer Kindheit.

Die entwurzelte Familie Arella findet zunächst Unterschlupf bei einem Onkel in Vichy. Dann bauen Michèles Eltern gemeinsam mit ihrem Sohn Pierre einen landwirtschaftlichen Betrieb in Camarés auf. Ihren Lebensabend verbringen sie später in einem sonnigen Haus in Lézan in der Provence.

Michèle, die ledige Beamtin, erhält dagegen von der Schulbehörde die Weisung, sich im Großraum Paris niederzulassen und dort eine Anstellung als Lehrerin zu finden. Eigentlich fühlt sie sich für den Lehrberuf nicht recht gemacht, und so empfindet sie es als besonders schmerzhaft, darüber hinaus ohne richtiges Heim und fern der Familie zu sein. Doch zumindest hat sie das Glück, eine Stelle wählen zu können, die ihr zusagt: mit ganz kleinen Kindern in einer Vorschule in Asnières.

Michèle durchlebt eine düstere Zeit; ihr Leben liegt in Trümmern und sie übt einen Beruf aus, für den sie nicht ausgebildet wurde, auch wenn diese Arbeit ihr Freude macht. Sie wird mit gut gemeinten Ratschlägen überhäuft, doch diese haben nichts mit der Wirklichkeit der Kinder zu tun. Vor allem der Zeichenunterricht macht Michèle unglücklich; die grafischen Übungen, welche sie mit den Kleinen durchführen soll, erscheinen ihr vollkommen absurd.

Eines Tages spricht sie mit der zuständigen Schulrätin über ihre Ratlosigkeit und darüber, dass sie gerne wüsste, wie man den Zeichenunterricht besser gestalten könne. Die Rätin schickt sie in eine pädagogische Bibliothek, mit dem Auftrag, sich dort in die Materie zu vertiefen. Die zuständige Bibliothekarin teilt ihr mit Bestimmtheit mit, dass es auf diesem Gebiet nur einen lesenswerten Autor gebe: Arno Stern. Michèle kehrt mit all seinen Büchern nach Hause zurück.


Und die Werke sind für Michèle eine Offenbarung, ein Manna, ein Lebenselixier: Sie findet darin alles, was sie je gesucht hat. Ein Jahr lang liest sie die Bücher wieder und wieder. Ihr Leben und ihre Arbeit verändern sich von Grund auf.

Fast zufällig kommt sie eines Tages an einer Galerie mit Kinderbildern vorbei. Als sie durch die Tür tritt, wird ihr bewusst, dass es sich um die Académie du Jeudi handelt und dass der Mann, der vor ihr steht, Arno Stern ist.

Und ich war nie in der Schule

Подняться наверх