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Augustinus über Geschichte

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Das umfangreichste und arbeitsintensivste Werk des Augustinus war sein Gottesstaat, an dem er von 413 bis 426 arbeitete. Geschrieben zu einer Zeit, in der das römische Weltreich durch wiederholte Invasionen von Barbaren bedroht war, stellt es die erste große Synthese des klassischen und christlichen Denkens dar. Dies ist schon dem Titel des Werkes zu entnehmen. Die christlichen Evangelien machen viele Aussagen über das Reich Gottes, doch für Griechenland und Rom war das Paradigma einer politischen Institution nicht das Königreich, sondern die Stadt. Selbst Kaiser sahen sich vorzugsweise als erste Bürger einer Stadt, und der philosophische Kaiser Marcus Aurelius glaubte, dass die Stadt, die wir vor allen anderen lieben sollten, die Stadt des Zeus sei. Der Gottesstaat stellt Jesus, den gekreuzigten König der Juden, an die Spitze des idealisierten Stadtstaates der heidnischen Philosophie.

Wie Aristoteles in seiner Metaphysik gibt Augustinus einen Überblick über die Geschichte der Philosophie seit den längst vergangenen Tagen von Thales und zeigt, wie frühere Philosophen sich der Wahrheit, in deren Besitz er nun ist, zwar genähert, sie jedoch verfehlt hatten. Während Aristoteles hauptsächlich an den physikalischen Theorien seiner Vorgänger interessiert war, ging es Augustinus vor allem um deren philosophische Theologie – ihre „natürliche“ Theologie, wie er sie nannte und womit er einen Begriff in Umlauf brachte, der noch eine lange Geschichte haben sollte (DCD VIII. 1–9). Im Verlauf des gesamten Werkes stellt Augustinus christliche Lehren der besten antiken Philosophie gegenüber, und insbesondere den Schriften seiner Lieblingsphilosophen, der Neuplatoniker, von denen er meinte, sie stünden den Christen am nächsten (DCD VIII. 8f.). Ein schönes Beispiel hierfür ist der folgende Text:

„Der Platoniker Plotin wenigstens, der von der Vorsehung handelt, beweist, daß sie sich erstrecke vom höchsten Gott angefangen, dem die nur dem geistigen Schauen erkennbare und unaussprechliche Schönheit eigen ist, bis herab zu den irdischen und ganz geringfügigen Dingen, und er beweist es an der Schönheit der Blüten und Blätter; er versichert, daß all diese sozusagen verächtlichen und in kürzester Frist vergehenden Dinge eine so herrliche Harmonie ihrer Formen nicht haben könnten, wenn sie ihre Form nicht von daher hätten, wo die übersinnliche [intelligible] und unwandelbare Form verharrt, die alles zumal in sich schließt. Darauf weist der Herr Jesus hin in den Worten: ‚Betrachtet die Lilien auf dem Felde, sie arbeiten nicht und spinnen nicht. Und doch sage ich euch, daß selbst Salomon in all seiner Herrlichkeit nicht so bekleidet gewesen ist wie eine von ihnen. Wenn nun Gott das Gras auf dem Felde, das heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird, also kleidet, wieviel mehr euch, ihr Kleingläubigen!‘“ (DCD X. 14; vgl. Plotin, Enneaden 3. 2. 13; Matt. 6: 28f.)3

Doch während Augustinus bereit ist, Platonismus in die Bergpredigt zu lesen, zeigt er kein Verständnis für Versuche, der traditionellen römischen Religion eine philosophische oder allegorische Interpretation zu geben. Der äußere Anlass für die Abfassung des Gottesstaates – an dem Augustinus 13 Jahre lang arbeitete – war die Plünderung Roms durch gotische Invasoren. Heiden sahen die Ursache dieser Katastrophe darin, dass die Christen die Anbetung der Götter der Stadt abgeschafft hatten, die sie daher in der Stunde der Not fallen gelassen hatten. Augustinus widmete die ersten Bücher seiner Abhandlung dem Beweis, dass die Götter des klassischen Rom bösartig und machtlos gewesen und ihre Verehrung abstoßend und verderblich gewesen seien.

Die Römer hatten ihre obersten Götter – Jupiter, Juno, Venus und die anderen – mit den Charakteren des homerischen Pantheon identifiziert, d.h. mit Zeus, Hera und Aphrodite. Augustinus folgt Platon und Cicero darin, dass er die Mythen, die diesen Gottheiten ein willkürliches, grausames und anstößiges Verhalten zuschreiben, als Gotteslästerungen verwirft. Außerdem macht er sich über die Vielzahl geringerer Götter im Aberglauben des römischen Volkes lustig. So fragt er beispielsweise: Ist der Himmel so bürokratisiert, dass – während ein menschlicher Wächter für ein Haus ausreicht – nicht weniger als drei Götter benötigt werden: Forculus zur Bewachung der Türen, Cardea für die Angeln und Limentinus für die Schwelle? (DCD IV. 18) Die Beschreibung und Individuation dieser nachgeordneten Gottheiten wirft eine Reihe philosophischer Probleme auf, die von Augustinus veranschaulicht werden. Häufiger setzt er gegen das späte römische Heidentum jedoch die Waffe des gelehrten Sarkasmus ein, die Gibbon, 13 Jahrhunderte später, auf solch stichelnde Weise gegen das historische Christentum wenden sollte.

Eine kurze, eloquente Übersicht über die Geschichte der römischen Republik genügt, um zu zeigen, dass die Verehrung der alten Götter keinen Schutz vor Katastrophen garantierte. Dass das römische Weltreich schließlich zu so beispielloser Größe aufstieg, war Augustinus zufolge der Lohn des einen wahren Gottes für die Tugenden der besten seiner Bürger: „So haben auch sie ihre privaten Interessen zugunsten der gemeinsamen, das ist des Staates und seiner Machtmittel hintangesetzt, sie haben der Habgier widerstanden, haben das Beste des Vaterlandes mit unbefangenem Rate besorgt, nicht behindert durch Sünde vom Standpunkt ihrer Gesetze aus, noch durch Leidenschaft; mit all diesen Künsten als mit den rechten Mitteln strebten sie nach Ehren, Herrschaft und Ruhm.“ (DCD V. 15) Der Lohn, den sie erstrebten, wurde ihnen zuteil: Es gelang ihnen, ihre Gesetze vielen Nationen aufzuerlegen, und in den Annalen zahlreicher Völker stehen sie in Ehre und Achtung. An der himmlischen Stadt haben sie jedoch nicht teil, denn sie haben den einen wahren Gott nicht verehrt. Ihr Ziel war lediglich die Selbstverherrlichung.

Ein Großteil von Augustinus’ Kritik der römischen Religion konzentriert sich auf die erniedrigende Natur der öffentlichen Spektakel, die zu Ehren der Götter abgehalten wurden. Viele moderne liberale Menschen wären von dem, was sich in römischen Theatern und Arenen zutrug, zweifellos nicht weniger abgestoßen worden als Augustinus. Wahrscheinlich wären sie jedoch stärker von der Grausamkeit der römischen Unterhaltung als ihrer Schamlosigkeit schockiert, während es bei Augustinus umgekehrt gewesen zu sein scheint.

Augustinus hält die Götter der heidnischen Mythen nicht für rein fiktive Wesen. Er sieht in ihnen im Gegenteil böse Geister, die den menschlichen Aberglauben ausnutzen, um die Verehrung, die dem einen wahren Gott geschuldet wird, auf sich selbst umzulenken (DCD VII. 33). Mehrere Platoniker hatten von einer dreiteiligen Klassifikation rationaler Wesen gesprochen und Götter, Menschen und Dämonen unterschieden. Gott wohnte im Himmel, die Menschen auf der Erde und die Dämonen in der Luft zwischen ihnen. Dämonen waren gottähnlich, insofern sie unsterblich waren, glichen jedoch den Menschen, da sie von Leidenschaften bewegt wurden. Viele Dämonen sind böse, doch einige sind gut, wie zum Beispiel derjenige, von dem Sokrates als seinem Helfer sprach.4 Gute Dämonen konnten nach Meinung dieser Platoniker als Vermittler zwischen den Menschen und Göttern dienen (DCD VIII. 14, IX. 8, X. 9).

Augustinus verwirft nicht die Vorstellung, dass die Luft voller Dämonen ist, er akzeptiert jedoch nicht, dass irgendwelche von ihnen gut sind, und noch weniger, dass sie zwischen Gott und den Menschen vermitteln können. In vieler Hinsicht stehen sie unterhalb des Menschen. Es sind Geister „brennend vor Begierde zu schaden, aller Gerechtigkeit bar, von Hochmut aufgeblasen, blaß vor Neid, in Ränken geübt, in der Luft […] hausend, weil sie wegen einer nicht mehr gut zu machenden Übertretung aus der Herrlichkeit des oberen Himmels herabgestürzt […] sind“ (DCD VIII. 22). Mit anderen Worten: Augustinus setzt die platonischen Dämonen den gefallenen Engeln gleich, denen die meisten englischsprachigen Leser zum ersten Mal in Miltons Paradise Lost begegnen. Tatsächlich war es Augustinus, der in die Vorstellungswelt des Christentums die Geschichte einbrachte, dass Gott – bevor er menschliche Wesen aus Fleisch und Blut erschuf – Ordnungen rein geistiger Wesen ins Leben rief, von denen sich einige vor der Schöpfung des Kosmos an einem Aufstand beteiligten, der zu ihrer ewigen Verdammnis führte.

Augustinus gibt zu, dass die Bibel über die Frühgeschichte der Engel weitestgehend schweigt. Im Buch Genesis werden sie in den sieben Tagen der Schöpfung nicht erwähnt, und wir müssen uns den Psalmen oder dem Buch Hiob zuwenden, um zu erfahren, dass Engel zu den Geschöpfen Gottes gehören. Wenn wir sie in der Schöpfungsgeschichte unterbringen wollen, sollten wir zu dem Schluss gelangen, dass sie am ersten Tag geschaffen wurden: An diesem Tag schuf Gott das Licht und die Engel, die als Erste an der göttlichen Erleuchtung teilnahmen (DCD XI. 9). Die Bibel teilt uns mit, dass Gott am selben Tag das Licht von der Finsternis schied, und hier sieht Augustinus göttliche Voraussicht am Werk: „da er allein schon vor dem Fall vorauszuwissen vermochte, daß sie [die unreinen Engel] fallen und des Lichtes der Wahrheit verlustig, in der Finsternis des Hochmutes verharren würden“ (DCD XI. 19). Es gibt zwei „unter sich verschiedene und einander entgegengesetzte Genossenschaften der Engel: die eine sowohl von Natur aus gut als auch ihrer Willensrichtung nach in Ordnung, die andere dagegen zwar auch von Natur aus gut, aber ihrer Willensrichtung nach verkehrt. Sie werden im Buch Genesis mit den Ausdrücken ‚Licht‘ und ‚Finsternis‘ angedeutet“ (DCD XI. 33). Diese beiden Kohorten von Engeln sind der Ursprung der zwei Bürgerschaften, die das vorgebliche Thema des gesamten Werkes sind, obwohl die Einzelheiten ihrer Geschichte erst ab dem 12. Buch behandelt werden. Es gibt gute und böse Engel und gute und böse Menschen, doch wir müssen nicht denken, dass es vier Städte gibt: Menschen und Engel können in den gleichen Gemeinschaften zusammenkommen.

Zwischen der Erschaffung der Engel und der Schöpfung der Menschen geschah Augustinus zufolge die Schöpfung der Tiere. Alle Tiere, seien es einsam lebende Wölfe oder Herdentiere wie Hirsche, wurden von Gott gleichzeitig in größerer Zahl erschaffen. Die Menschheit wurde jedoch in einem einzelnen Individuum erschaffen: in Adam, von dem Eva genommen wurde. Von diesem ersten Paar stammen alle Menschen ab. Diese einzigartige Erschaffung bedeutet nicht, dass der Mensch ein ungeselliges Tier ist. Im Gegenteil: „Es sollte ihm durch die Art der Erschaffung um so eindringlicher die genossenschaftliche Einheit ans Herz gelegt werden und das Band der Eintracht, wenn die Menschen nicht nur durch die gleiche Natur, sondern auch durch verwandtschaftliche Zuneigung miteinander verbunden wären“ (DCD XII. 22). Nach Augustinus ist die Menschheit geselliger als irgendeine der Tierarten. Doch ist sie auch – so fügt er hinzu – aus bösem Willen streitsüchtiger als jede andere (DCD XII. 28).

Menschen stehen in der Mitte zwischen den Engeln und den geistlosen Tieren: Sie haben einen Intellekt wie die Engel, doch sie haben einen Körper wie die Tiere. Dem ursprünglichen göttlichen Plan zufolge hätten sie den Engeln näher gestanden, denn sie seien unsterblich gewesen. Nach einem Leben des Gehorsams gegenüber Gott seien sie in die Gemeinschaft mit den Engeln übergegangen, ohne dass der Tod dazwischen getreten sei. Sterblich wurden die Menschen, weil Adam im Paradies gesündigt hatte, und sie teilten von da an den Tod des Körpers mit den Tieren, der für diese schon immer natürlich gewesen war. Nach dem Sündenfall wurde der Tod zum Schicksal aller Menschen, doch würden einige durch die Gnade Gottes nach dem Tode dadurch belohnt, dass sie in die Gemeinschaft der guten Engel aufgenommen werden, während andere, zusammen mit den bösen Engeln, durch Verdammung gestraft wurden – was einem zweiten Tod entsprach, der noch schlimmer war als der erste (DCD XIII. 12, XIV. 1).

Als Platon im Timaios den Ursprung des Kosmos beschrieb, schrieb er die Erschaffung der Menschen nicht dem höchsten Wesen zu, das die Welt geschaffen hatte, sondern geringeren Göttern, selbst Geschöpfe des höchsten Wesens und seine Gehilfen (Tim. 41c). Augustinus bestreitet die Existenz solch erhabener göttlicher Diener nicht, sondern er betrachtet Platons Wort „Götter“ einfach als eine unzutreffende Bezeichnung für die Engel. Doch er wendet sich resolut gegen die Vorstellung, dass solche höhere Beauftragte Schöpfer genannt zu werden verdienen. Dinge aus dem Nichts ins Dasein zu rufen, ist das Vorrecht des einen wahren Gottes, und welchen Dienst ein Engel Gott bei der Entwicklung niedrigerer Kreaturen auch immer leisten mag: Er ist ebenso wenig ein Schöpfer, wie ein Gärtner oder Bauer es ist, der Früchte oder Getreide wachsen lässt (DCD XII. 26).

Der Gegensatz zwischen der biblischen und platonischen Auffassung des menschlichen Geschöpfes wird besonders deutlich, wenn wir die Frage stellen: Ist der Tod – die Trennung von Körper und Seele – etwas Gutes oder etwas Schlechtes? Für die Schöpfungsgeschichte der Bibel ist der Tod ein Übel: Er ist eine Strafe für die Sünde. In einer Welt ohne Sünde blieben Körper und Seele ewig vereint (DCD XIII. 6). Für viele Platoniker und in einigen seiner Schriften für Platon selbst ist die Seele nur glücklich, wenn sie den Körper abgestreift hat und nackt vor Gott steht (DCD XIII. 16 und 19; vgl. Phaidon 108c; Phaidros 248c). Gleichfalls ist es ein beliebtes Thema Platons, dass die Seele nach dem Tod als Strafe für Sünden in ihrem vorigen Leben gezwungen werden kann, in einen Körper zurückzukehren (vielleicht einen anderen menschlichen Körper oder sogar in den Körper eines Tieres). Nach den Propheten des Alten und Neuen Testaments werden die Seelen der tugendhaften Menschen am Ende in ihre eigenen Leiber zurückkehren, und diese Wiedervereinigung von Körper und Seele wird die Quelle ewiger Glückseligkeit sein (DCD XIII. 17 und 22, XXII. 19).

Augustinus bestreitet nicht, sondern betont im Gegenteil, dass körperliches Begehren und Leidenschaften die spirituelle Entwicklung behindern können. Er zitiert das Buch der Weisheit: „Der verderbliche Körper zieht die Seele nach unten.“ Doch dies trifft nur auf den Körper gefallener Menschen in ihrem sterblichen Leben zu. Im Paradies hatte der Körper des Menschen keine aufwühlenden Emotionen und wilde Begierden. Adam und Eva lebten ohne Schmerzen oder Angst, denn sie erfreuten sich vollkommener Gesundheit und waren nie körperlichen Gefahren ausgesetzt. Ihre Körper waren unverletzlich, und ohne den Sündenfall wäre der Geburtsvorgang schmerzfrei gewesen. Sie aßen nur, was zur Erhaltung ihres Körpers notwendig war, und ihre Geschlechtsorgane unterlagen vollständig der Kontrolle der kühlen Vernunft. Sie dienten allein der Fortpflanzung (DCD XIII. 23, XIV. 26). Doch obwohl sie frei von Leidenschaften lebten, waren sie nicht ohne Liebe. „Liebe herrschte, unerschütterte Liebe zu Gott und zwischen den Gatten, die in treuer und aufrichtiger Gemeinschaft lebten, und aus dieser Liebe floß gewaltige Freude, da der Gegenstand der Liebe zugleich unaufhörlich Gegenstand des Genusses war.“ (DCD XIV. 10)

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