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Muslimische und jüdische Philosophen

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Der christliche Eriugena war ein wesentlich weniger wichtiger Vorläufer der abendländischen Philosophie des Mittelalters als eine Reihe von muslimischen Denkern in den Ländern des heutigen Iran und Irak. Diese Muslime stellten, obwohl sie auch selbst bedeutsame Denker waren, den Umweg dar, auf dem ein großer Teil griechischer Gelehrsamkeit schließlich in das lateinische Abendland gelangte.

Im vierten Jahrhundert gab es in Edessa16 in Mesopotamien eine Schule syrischer Christen, die sich ernsthaft dem Studium der griechischen Philosophie und Medizin widmete. Sie akzeptierte die Verwerfung von Nestorius auf dem Konzil von Ephesos im Jahre 431 nicht, und das Konzil von Chalcedon im Jahre 451 brachte für sie keine Aussöhnung, weshalb ihre Schule von Kaiser Zeno im Jahre 489 geschlossen wurde. Die Gelehrten zogen nach Persien, wo sie die in Edessa begonnene Arbeit an der Übersetzung der Werke des Aristoteles vom Griechischen ins Syrische fortsetzten.


Der Schutzpatron der lateinischen Philosophie war die heilige Katharina von Alexandria, die der Legende nach in einem Streitgespräch vor dem Kaiser Maxentius fünfzig heidnische Philosophen widerlegt haben soll. In diesem Fresko zeigt Pintoricchio, dass sie obendrein auch noch gegen zwei islamische Philosophen Recht behält.

Nach der muslimischen Eroberung von Persien und Syrien wurden Gelehrte dieser Schule in der Zeit der aufgeklärten Kalifen, die in den Geschichten aus Tausendundeiner Nacht erwähnt werden, an den Hof von Bagdad eingeladen. In der Zeit von 750 bis 900 übersetzten diese Syrer einen Großteil der Werke des Aristoteles sowie Platons Politeia und Nomoi ins Arabische. Außerdem machten sie der muslimischen Welt die wissenschaftlichen und medizinischen Werke von Euklid, Archimedes, Hippokrates und Galen zugänglich. Zur selben Zeit wurden mathematische und astronomische Werke aus indischen Quellen übersetzt. Die von uns heute verwendeten „arabischen“ Zahlen, mit denen sich arithmetische Aufgaben wesentlich leichter bearbeiten lassen als mit den römischen oder byzantinischen Zahlsymbolen, die sie abgelöst haben, wurden im selben Zeitraum aus Indien eingeführt.

Die Einführung von griechischer und insbesondere aristotelischer Philosophie hatte einen beträchtlichen Einfluss auf das muslimische Denken. Die islamische Theologie (kalam) hatte bereits eine rudimentäre philosophische Terminologie entwickelt und stand diesem System fremder Ideen (falsafa) anfänglich – und auch später noch – feindlich gegenüber. Die als Mutakallimun bezeichneten Denker des kalam verwendeten eine Reihe von Beweisen, um zu zeigen, dass die Welt einen zeitlichen Anfang hatte. Die neuen Philosophen führten aristotelische Argumente an, um zu beweisen, dass es sie schon immer gegeben hatte.17 Während für abendländische Denker wie Augustinus das vulgäre Latein der Bibelübersetzung anfänglich Grund für seine Abneigung gegen das Christentum gewesen war, stand für die kalam-Gelehrten des Koran das gebrochene Arabisch der Übersetzungen der aristotelischen Schriften ihrer Annahme der Philosophie im Wege. Eine Zeit lang widersetzten sie sich der Vorstellung, dass die Logik universal gültig ist, und behandelten sie stattdessen als einen obskuren Teil der griechischen Grammatik.

Der Denker, den man traditionellerweise als Vater der muslimischen Philosophie ansieht, ist al-Kindi (ca. 801–66). Er war ein Zeitgenosse von Eriugena und bewegte sich zwischen kalam und falsafa. Er verfasste eine Abhandlung mit dem Titel Die Kunst Sorgen zu vertreiben, die Ähnlichkeiten mit Boethius’ Trost der Philosophie aufwies. Wichtiger ist seine Abhandlung über die Erste Philosophie, die auf höchst formale Weise das kalam-Argument für die zeitliche Endlichkeit der Welt entwickelt.18 Man erinnert sich auch wegen seiner Schriften über den menschlichen Verstand an ihn. In einer von ihnen behauptet er, dass unser Intellekt durch eine einzige kosmische Intelligenz in Aktion versetzt wird, die man vielleicht dem Geist gleichsetzen kann, der die zweite Stelle in der neuplatonischen Trinität aus dem Einem, Geist und Seele einnimmt. Diese Idee wurde von dem späteren Philosophen al-Farabi aufgegriffen, der zur Schule von Bagdad gehörte und im Jahre 950 starb. Er erklärte mit ihr die rätselhafte Passage in Aristoteles’ De Anima, in der er von zwei Formen des Geistes spricht: einem Geist, der Dinge hervorbringt, und einem, der zu den Dingen wird.19

Al-Farabi traf eine klare Unterscheidung zwischen Grammatik und Logik, die er als Propädeutik für die Philosophie ansah. Die eigentliche Philosophie bestand für ihn aus drei Teilen: aus Physik, Metaphysik und Ethik. Die Psychologie war Teil der Physik und die Theologie war eine recht eigenständige Disziplin, die die Eigenschaften Gottes als Belohnenden und Strafenden studierte. Allerdings war es möglich, die Existenz Gottes als ersten Beweger und notwendiges Wesen mit philosophischen Argumenten zu beweisen. Al-Farabi gehörte der mystischen Sekte der Sufis an und betonte, dass es die Aufgabe der Menschen sei, Erleuchtung von Gott zu suchen und zu ihm zurückzukehren, aus dem wir ursprünglich hervorgegangen seien.

Ein Zeitgenosse von al-Farabi war Saadiah Gaon (882–942), der erste jüdische Philosoph des Mittelalters. Er wurde in Ägypten geboren und ging nach Babylon, wo er Leiter der Schule für biblische Studien wurde. Er übersetzte die Bibel ins Arabische und schrieb zahlreiche Texte über jüdische Liturgie und Tradition. Er bemühte sich darum, die biblische Lehre mit rationaler Philosophie zu vereinbaren, denn er sah beide als zwei Zweige am selben Ast. Hierzu stützte er sich auf neuplatonische Quellen und auf Material, das er dem kalam entlehnte. Sein einflussreichstes Buch hatte den Titel Das Buch der Lehren und Überzeugungen.

Menschliche Gewissheiten hatten nach Saadiah drei Quellen: die Sinne, Vernunft und Tradition. Die Vernunft hat zwei Formen: rationale Anschauung, die die Wahrheiten der Logik und das Wissen über gut und böse liefert, und rationale Schlussfolgerung, die Wahrheiten durch Argumente aus den Prämissen ableitet, die durch die Sinne und die Anschauung bereitgestellt werden. Durch rationale Schlussfolgerung wissen wir, dass der Mensch eine Seele und das Universum eine Ursache hat. Die Tradition des jüdischen Volkes, deren wichtigstes Element die Bibel ist, ist eine weitere Quelle des Wissens, dessen Gültigkeit durch die Wundertätigkeit der Propheten bestätigt wird. Dies ist zwar eine unabhängige Wissensquelle, doch muss sie vorsichtig im Lichte des den anderen Quellen verdankten Wissens interpretiert werden.

Nach Saadiah können uns die Sinne nicht sagen, ob die Welt einen Anfang hatte oder ob es sie schon immer gegeben hat. Wir müssen uns daher der Vernunft zuwenden. Er bietet vier Beweise dafür an, dass die Welt in der Zeit geschaffen worden sei. (1) Alles im Universum hat eine endliche Größe, sodass die Kraft, die es zusammenhält, endlich sein muss und nicht seit Ewigkeiten existiert haben kann. (2) Die Elemente des Kosmos sind komplex, doch passen sie bewundernswert zusammen und müssen daher das Werk eines kunstvollen Schöpfers sein. (3) Alle Substanzen in der natürlichen Welt sind kontingent und benötigen daher einen notwendigen Schöpfer. (4) Eine unendliche Reihe kann nicht erfasst oder durchlaufen werden, weshalb die Zeit endlich sein muss. Einige dieser Argumente gehen bis auf Philoponos zurück, und andere sollten noch eine lange Zukunft vor sich haben (PMA 344ff.).

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