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MEIN BEDÜRFNIS

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Wenn ein Mann 83-jährig in seinem Leben einige Diktaturen überlebt und in ihnen moralische, seelische Grausamkeiten hat über sich ergehen lassen müssen, ist es schon eine seiner Pflichten, diese Erlebnisse seiner Nachwelt zu übermitteln. Schon als Neunjähriger sind mir 1940 die stalinistischen Gewalttätigkeiten während der Aussiedlung nach Deutschland aufgefallen. Als Kind konnte ich nicht verstehen, warum die Frauen und Mädchen aufgeregt davonliefen, wenn sich betrunkene russische Soldaten auf der Straße lautstark bemerkbar machten. Wenn ich von meiner Mutter den Grund dafür erfahren wollte, wurde mir nur ausweichend geantwortet. Aus dem Verhalten der Erwachsenen und einigen Gesprächsfetzen konnte ich mir früher oder später einen Reim daraus machen. Auf jeden Fall sah ich darin einen unfreundlichen Akt, der den Dorfbewohnern Angst und Schrecken einjagte. Schließlich hatten meine Vorfahren aus Baden-Württemberg 1813 als Kolonisten das Steppenland Bessarabien urbar gemacht. Sie lebten in ihrem Dorf Klöstitz 150 Jahre glücklich und zufrieden auf ihrem eigenen Besitz.

Auch mein Leben begann hier und es war mir ein Bedürfnis, in Klöstitz weiter zur Schule zu gehen wie meine Vorfahren und Eltern. Wir vier Geschwister waren in der Zeit 1931 bis 1939 auf dem elterlichen Bauernhof geboren. In der Klöstitzer Kirche wurden wir getauft, unsere Eltern, Alfred und Anna Maria Weiß geb. Messinger, waren in ihr auch getraut. Als Ältester war ich, Artur, 1937 in einer Rumänischen Schule eingeschult worden. Zu dieser Zeit gehörte Bessarabien zu Rumänien, musste aber durch ein Ultimatum Stalins kurzfristig von den Rumänen geräumt werden. Somit übte Russland wieder Macht über Teile der Ukraine und Moldawien aus. Die politische Entwicklung 1940 führte dazu, dass ein Nichtangriffspakt zwischen Hitler und Stalin geschlossen wurde. Dieser beinhaltete unter anderem die Aussiedlung der Bessarabien-Deutschen in das Deutsche Reich. Das Eigentum der Bessarabier musste bis auf persönliche Dinge zurückgelassen werden, das bedeutete nicht nur das tote, sondern auch alles lebende Inventar. Alle Dorfbewohner waren schlagartig mittellos, mich traf es als Kind besonders hart, weil ich mich von meinem bulgarischen Hirtenhund Tschornig trennen musste. Nicht nur unsere Eltern, sondern auch wir Kinder hatten das Lachen verlernt und unsere Augen glänzten nicht mehr.


So verließen die Klöstitzer Bauern, somit auch mein Vater, ihre Heimat.

Am Morgen des 30. September 1940 begann für die Klöstitzer der Abschied von ihrem Dorf. Mit Pferd und Wagen ging es zum Donauhafen Galatz. Die Männer machten mit ihren Wagen den Anfang der Umsiedlung nach Deutschland. Es folgten die Frauen mit ihren Kindern in Bussen und auf LKW. Es ereigneten sich herzzerreißende Abschiedsszenen am Wegesrand, bis sich dann die Fahrzeuge in Gang setzten. Ich hatte ein großes Problem mit meinem bulgarischen Hirtenhund Tschornig, der unserem Bus nachlief, bis ihn der aufgewirbelte Steppenstaub verschlang. Es tat mir in der Seele weh und meine Tränen konnte ich nicht zurückhalten. Es war eine Tragödie zu sehen, wie das freigelassene Vieh umherirrte. Da wünschten sich sicherlich alle, in unserem Dorf Klöstitz zu bleiben. Noch hörten wir den Glockenklang der Klöstitzer Kirche, bis ihn das Motorengeräusch des Busses übertönte. Die Weiterfahrt nach Galatz, wo uns die Donauschiffe erwarteten, wurde mit Klagen und Weinen der Frauen und Kinder begleitet.


Pastor Immanuel Baumann verabschiedet die letzten Klöstitzer.

Am späten Nachmittag erreichten Busse und LKW den Donauhafen Galatz, wo die Umsiedler in bereitliegenden Schiffen an Bord gingen. Es herrschte drangvolle Enge an Bord, zumal noch die Väter der Familien hinzukamen. Kurzfristig kam Freude auf, waren doch die Familien wieder vereint. In die Freude des Zusammenseins hinein ertönten die Schiffssirenen und ein Schiff nach dem anderen nahm donauaufwärts Fahrt auf. Diese endete nach zwei Nächten und einem Tag in Serbien bei Belgrad. Nach einer Woche Lagerleben ging es mit der Eisenbahn in das Deutsche Reich, wieder in ein Lager. Das Lagerleben in Mülhausen Thüringen dauerte bis 1941. Dann siedelte das NS-Regime die bessarabischen Bauern im besetzten Polen an.


Heute beleben moderne Schiffe die Donau


Dampfschiffe brachten 93.000 Bessarabiendeutsche 1940 nach Semlin (Serbien)

Das Leben im besetzten Polen endete wegen des Krieges gegen Russland im Januar 1945. Als Familie ohne unseren Vater mussten wir uns mit Pferd und Wagen am 04. 01. 1945 auf die Flucht nach Deutschland begeben. So verloren wir zum zweiten Mal innerhalb von fünf Jahren unsere Heimat. Vater war Soldat an der Ostfront, wo er an einem verlorenen Krieg teilnehmen musste. Nach einer 14tägigen Flucht war Mutter mit uns vier Geschwistern per Eisenbahn am 21. 01. 1945 in Belzig, Mark Brandenburg, angekommen. Hier hat man uns warme Mahlzeiten verabreicht und unsere erfrorenen Gliedmaßen behandelt. Das Dorf Mörz bei der Kreisstadt Belzig wurde unsere dritte Heimat.

Der Krieg erreichte uns noch einmal im Mai 1945 mit voller Wucht und wieder gab es viele Tote und einige Bauerngehöfte im Dorf brannten nieder.

Begegnungen im DDR-Knast

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