Читать книгу Alles beginnt und endet im Kentucky Club - Benjamin Alire Saenz - Страница 12

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»¿Tienes hambre? Ich könnte etwas kochen.«

»Irgendwie wusste ich, dass du gern kochst.«

»Gehört das zu den Dingen, die du dir ausgedacht hast?«

»Nein, aber in deinen Büchern wird immer viel gekocht.«

»Tja, alle müssen essen. Sogar die Leute in Romanen.« Er lachte. »Ich mag die Leute in deinen Romanen.«

»Die meisten von denen sind am Arsch.«

»Gerade das mag ich an ihnen.« Er schaute auf seine Uhr.

»Eine schöne Uhr.«

»Sie hat meinem Vater gehört.«

»Musst du los?«

Er nickte. »Zurück zu meinem Onkel. Wir essen jeden Sonntag zusammen.«

»Gehst du mit ihm essen?«

»Die Zeiten sind vorbei. Dabei ist er immer gern ausgegangen. Hat viel gelacht und mir erzählt, wie das Leben früher für ihn war. Jetzt bleibt er zu Hause. Weil er Angst hat. Früher hatte er vor nichts Angst, nur vor meiner Tante. Jetzt ist er wie ein kleiner Junge. Er jammert. Er liest Zeitung. Er glaubt, er sei in Juárez. Ich erkläre ihm, dass wir in El Paso sind, dass er in Sicherheit ist. Aber er glaubt mir nicht. Er hat Angst, das Haus zu verlassen. Nos matan, sagt er. Ich versuche ihm zu erklären, dass niemand uns etwas antun wird – aber es ist sinnlos. Jedes Mal, wenn ich fortgehe, sagt er mir, ich soll aufpassen.«

»Und das tust du?«

»Ich habe keine Angst, umgebracht zu werden. Du etwa?«

»Ich lebe nicht in Juárez.«

»Morde gibt’s in jeder Stadt.«

Ich wollte mich nicht streiten. Nicht über so etwas. Was brachte das schon? Und er kannte Juárez besser als ich. »Du hast recht«, sagte ich.

»Gerade hab ich noch etwas über dich gelernt.«

»Was denn?«

»Du lügst nicht besonders gut.«

»Das war mal anders.« Ich fragte mich, was von meinem Gesicht abzulesen war. »Ich an deiner Stelle hätte Angst, glaube ich.«

»Was nützt es, Angst zu haben, Carlos?«

»Überhaupt nichts«, sagte ich. Er sah mich prüfend an.

Ich hatte Lust, ihn noch einmal zu küssen. Vielleicht würde er den Kuss erwidern. Vielleicht würde ich mir auch nur wie ein totaler Idiot vorkommen. Ich konnte so etwas einfach nicht. Hatte es noch nie gekonnt. Manche Männer ließen sich mit Anmut auf die Liebe ein. Ich war zaghaft und unbeholfen.

»Was ist?« Er sah mich an.

»Gar nichts.«

»Du hast mich schon wieder beobachtet.«

»Ja.«

»Es macht mir nichts aus. Mir gefällt es, wie du mich ansiehst.«

»Ich könnte dich immer so ansehen«, sagte ich.

»Du kannst mich noch mal küssen«, sagte er.

Er neigte den Kopf und blickte zu Boden. Er war schüchtern, vielleicht auch nur bescheiden. Das war das Einzige an ihm, was ich mir nicht ausdenken konnte – dass er bescheiden war. Dass er freundlich war. Dass er anständig war. Gutaussehende Männer hatten selten diese Eigenschaften.

Ich küsste ihn noch einmal.

Er flüsterte meinen Namen. Ich fragte mich, wie sich mein Name auf seiner Zunge anfühlte.

»Javier«, flüsterte ich zurück. »Weißt du, wie lange es her ist, dass ich jemanden geküsst habe?«

Er blickte zu mir hoch. »Spielt das denn eine Rolle?«

»Küssen ist eine ernste Sache.«

Er küsste mich wieder. »Das hat sich aber nicht so ernst angefühlt, oder?«

»Doch«, sagte ich. »Oh doch.« Wir schwiegen eine ganze Weile.

»Ich muss gehen«, flüsterte er. »Er wartet auf mich.«

»Kochst du für ihn?«

»Ja.«

»Ich gebe zu, ich bin eifersüchtig auf deinen Onkel.«

»Du bist kein eifersüchtiger Typ«, sagte er.

»Vielleicht doch.«

»Nein.«

Er war sich so sicher, mich zu kennen. Ich wollte nicht, dass er ging. Er trat näher. Ich war im Begriff, etwas zu sagen, aber er legte mir einen Finger auf die Lippen. Ich wusste selbst nicht so genau, was ich sagen wollte. Und manchmal spielt es ohnehin keine Rolle, was man sagt. Es spielt einfach keine Rolle. Er wollte nicht, dass ich ihn hinfuhr. »Mein Onkel wohnt nicht weit von hier – ich gehe lieber zu Fuß.«

Vielleicht brauchte er etwas Zeit zum Nachdenken. Über mich. Vielleicht. Ich wollte aufhören. Ich wollte aufhören, darüber zu schreiben, wer er war und was er dachte. Diese Geschichte fing an, mir aus den Fingern zu gleiten.

Als er ging, lauschte ich seinen Schritten auf der Treppe. Dann rannte ich auf den Balkon und sah zu, wie er die Straße entlang lief. Als er an der Ecke ankam, drehte er sich um. Er winkte. »Ich wusste, dass du da stehen würdest«, schrie er.

Ich antwortete nichts.

Ich stand einfach nur da, über das Balkongeländer gebeugt. Und sah zu, wie er am Horizont mit der Stadt verschmolz.

Alles beginnt und endet im Kentucky Club

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