Читать книгу Alles beginnt und endet im Kentucky Club - Benjamin Alire Saenz - Страница 18

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Javier und ich richteten uns in einer Art Routine ein. Er kam jeden Freitagabend nach der Arbeit zu mir. Wir gingen aus, schauten einen Film, hielten Händchen im dunklen Kinosaal, wir gingen essen, und wenn wir nach Hause kamen, liebten wir uns. Nach und nach fanden wir in den gemächlichen, gefühlvollen Rhythmus eines beinahe normalen Lebens. Samstags werkelten wir am Haus seines Onkels herum. Er hatte es geerbt, ohne Einwände von seinen Cousins – die weder das Geld brauchten noch irgendeinen Wert auf die Hinterlassenschaften ihres Vaters legten. Wir arbeiteten beide gern mit unseren Händen. Beide gehörten wir zu dieser Sorte Mann.

Sonntagvormittag nahm ich mir Zeit zum Schreiben, während er las. Nachmittags lasen wir uns abwechselnd die Lieblingspassagen aus unseren Lieblingsbüchern vor. Javiers Ansichten waren immer sehr durchdacht, aber er brachte sie mit solcher Heftigkeit vor, dass ich regelmäßig lächeln musste. Mit der Zeit begriff er, was mein Lächeln bedeutete, obwohl er anfangs geglaubt hatte, ich sei einfach gönnerhaft.

»Was bedeutet dieses Lächeln?«

»Nichts. Ich lächle. Ich höre dir zu und lächle.«

»Weil meine Gedanken nicht intelligent genug sind? Weil du sie amüsant findest?« Seine Stimme klang gereizt.

»Das bedeutet mein Lächeln nun gerade nicht.«

»Dann erklär es mir.«

»Nein.«

Aus irgendeinem Grund akzeptierte er das. Wir versuchten, etwas übereinander zu lernen, ohne zu viel zu erklären.

Einer wurde des anderen Lieblingsbuch. Beide waren wir verrückt danach, den anderen zu lesen.

Der Winter verzog sich, allerdings nicht kampflos. Er schien bleiben zu wollen, ergab sich aber schließlich dem Unabänderlichen. Veränderungen gehen mit Widerständen einher, sogar bei Jahreszeiten. Im Frühling wurde ich allmählich besessen von dem Roman, an dem ich arbeitete. Javier bekam zu lesen, was ich geschrieben hatte. Es gab nur eine Regel: keine Diskussion über den Roman.

Eines Sonntagabends im Juli, mitten in der heißesten Zeit, waren wir beide beim Lesen. Ich las Bolaño, er Kurzgeschichten von J. G. Ballard. Ich saß in meinem Lesesessel, Javier lag auf der Couch.

Ich legte mein Buch hin.

»Willst du nicht hierher ziehen, Javier?«

»Hierher?«

»Zu mir.«

»Willst du damit sagen, wir leben nicht zusammen?«

»Du lebst in Juárez. Komm hierher.«

»Ich habe keine Papiere. Das weißt du.«

»Wir können doch den Antrag stellen. Ein Visum hast du ja schon.«

»Nur zu Besuchszwecken. Dein Land möchte nicht, dass ich bleibe.«

»Werd nicht spitzfindig. Und was spielt es schon für eine Rolle, was dieses Land möchte?«

»Länder sind bedeutender als Menschen.«

»Scheiß auf die Länder. Ich hasse sie alle. Du bist das einzige Land, das ich will.«

Er antwortete nicht. Aber dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. »Du hast heute Morgen Zeitung gelesen, oder, Carlos?«

»Es wird immer schlimmer mit den Morden.«

»Ich bin in Sicherheit.«

»In Sicherheit?«

»Für mich reicht sie.«

»Zieh hierher.«

Er richtete sich auf und legte sein Buch beiseite. »Ich kann nicht weg aus Juárez.«

»Warum denn nicht?«

»Du weißt warum.«

»Nein, das weiß ich nicht.«

»Was würde passieren, wenn alle gehen?«

»Dann würde die Stadt sterben.«

»Genau, Carlos.«

»Aber wenn du stirbst?«

»Du solltest aufhören, Zeitung zu lesen.«

»Das kann ich nicht, Javier.«

»Mir passiert schon nichts. Wir können ewig so weiterleben.«

»Dann ziehe ich nach Juárez.«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Du gehörst hierher.«

»Ich gehöre zu dir.«

Er lächelte. »Das hast du noch nie gesagt.«

»Ich kann dir jeden Tag sagen, dass ich dich liebe. Jeden Tag meines Lebens. Und es ist wahr.«

»Du musst mir nichts sagen, was ich sowieso schon weiß.«

»Dann ziehe ich nach Juárez.«

»Nein.«

»Warum nicht?«

»Was ist, wenn dir irgendwas passiert?«

»Was soll denn passieren?«

»Du weißt, wovon ich rede.«

»Und du weißt, wovon ich rede.«

Zu guter Letzt brüllten wir uns an. Er hatte mich noch nie angebrüllt. Ich ihn auch nicht. Das einzige Mittel, diesen Streit zu beenden, war Sex. Hinterher im Bett flüsterte er: »Ich kann nicht über meinen Schatten springen, Carlos. Ich bin nun mal so.«

Ich war nicht seine einzige Liebe und würde es auch nie sein. Vielleicht liebte er Juárez mehr als mich. Aber in Bezug auf mich hatte er recht gehabt. Ich war kein eifersüchtiger Typ. Er konnte sein Juárez lieben. Und er konnte auch mich lieben. So würde es sein.

»Wir können ewig so leben«, sagte ich. Dabei hatte ich so viel Glück gar nicht verdient.

Alles beginnt und endet im Kentucky Club

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