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3.5.1.2. Prolegomena zu einer Ästhetik

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Husserls Phänomenologie übt bis heute eine breite und vielfältige Wirkung auf kunstphilosophische Überlegungen aus, speziell auf diverse Theorien einer Bildphänomenologie. Das beginnt bei der Zurückweisung einer einerseits bloß erkenntnistheoretischen und andererseits einer materialistisch-empiristischen Ausrichtung der Bildtheorie. Positiv gesprochen setzen Sichtungen des Bildes als Fenster, als Teil einer Ästhetik des Erscheinens, als »Nichts«, als »Sehen gemäß« bzw. »sehendes Sehen« etc. an dieser Stelle an. Gemeinsam ist diesen Vorschlägen, dass der Intentionalitätsbegriff als Gegenbegriff gegen bloße Abbildtheorien fruchtbar gemacht und im Geiste der Transzendentalphilosophie konstruktiv aufgerüstet wird.

Husserls selbst hat keine geschlossene ästhetische Theorie vorgelegt. Um eine solche aus seinem Denken herauszulösen, sind Texte zu sichten, die unter den Titeln Phantasie, Bildbewusstsein, Erinnerung (Husserliana XXXIII; 1898–1925), Die Idee der Phänomenologie (Husserliana II), Wahrnehmung und Aufmerksamkeit (Husserliana XXXVIII) publiziert wurden. 1973 erschienen unter dem Titel Ding und Raum weitere Analysen Husserls zur Sache (Husserliana XVI). Diese im engeren Sinn um das Ästhetische kreisenden Texte artikulieren Probleme wie die ästhetische Einstellung, Fragen nach Referenz und Repräsentation beim künstlerischen Bild und nach der Tätigkeit des Künstlers.

X.4.2.1.f.

Kapust 2009, 257f

Waldenfels 1989, 205/213

VIII.9.2.

Waldenfels 1999, 107

Husserl 1901a, 436

Ebd., 399

Bei seinen Überlegungen zum Bild, auf die unter systematischem Gesichtspunkt im nächsten Abschnitt zurückzukommen sein wird, unterschied Husserl zwischen einem Bildträger und einem Bildobjekt. Unter Bildträger war hier in aller Regel nicht, wie inzwischen im Sprachgebrauch üblich, die materielle Grundlage (also Leinwand, Holz, Papier, Celluloid etc.) gemeint (auch wenn er manchmal auf reale Bilder der Kunstgeschichte referiert), sondern abstrakt das, worin man etwas anderes sieht. »Das Bild selbst ist ›unsichtbar‹, da es nur im Bildhaften der Dinge und des Sehens auftaucht.« Phänomenologie beschäftigt sich, wie wir oben mit der Trennung von Noema und Noesis sahen, schon grundsätzlich nicht mit Phänomenen, »auf die man mit Fingern zeigen kann. […] Insofern macht Phänomenologie sichtbar, indem sie das Sichtbarwerden des Gesehenen und seine Sichtbarkeit mit in den Blick bringt.« Übertragen auf das Bild ist zu folgern, dass dieses nicht nur etwas sichtbar macht, »es macht vielmehr die Sichtbarkeit selbst noch sichtbar […].« Die Phänomenologie interessiert sich dafür, dass sich alles, was sich sehen lässt, in bestimmter Weise (und nach diversen Sehordnungen) darstellt – eine Folge dessen, was Husserl Abschattung nannte. Die künstlerische Strategie solchen Tuns entspricht freilich weitgehend der reflektierenden Tätigkeit der Künstler der anhebenden Moderne in ihren kritischen Rückfragen an die alte Illusionskunst. »Das künstlerische Bild zeigt also eine spezifische Form der Selbstbezüglichkeit, eine Art von pikturaler Reflexion, die in einer ›Reflexivität des Sinnlichen‹ (Merleau-Ponty) gründet, diese aber zugleich übersteigt.« Spitzt man das anonym klingende phänomenologische Sich-Zeigen transzendentalphilosophisch zu, bleibt die Rolle des Subjekts unbestritten, um ein Bild überhaupt als solches zu konstituieren: Das Bild zum Bild macht erst die »Fähigkeit eines vorstellenden Ich, sich des Ähnlichen als Bildrepräsentanten für ein Ähnliches zu bedienen« Das Sehen wird zu einem Tun, es ist keineswegs bloße Widerspiegelung. Die Bildlichkeit ist geradezu eine Weise der Intention: »[…] daß mit der Bildlichkeit eine wesentlich neue Weise der Intention Erlebnis wird, glaube ich zweifellos nachweisen zu können.«

Kapust 2009, 258/257

3.9.4./X.3.5.1.1.

Das »Sich-Hineinschauen, Sich-Einleben und Sich-Heineinphantasieren bildet den Grundakt der Husserlschen Ästhetik.« Das bedeutet, dass Bildlichkeit dann entsteht, »wenn ein Bildding als ein Bild aufgefaßt wird und auf diese Weise im Bild ein Bildsujet zu sehen ist.« Aus der Spannung von Neues sehen und auf neuartige Weise sehen geht es um dieses sehende Sehen, das das Sehen selbst sichtbar macht. Was phänomenologisch als Vergegenwärtigung fruchtbar gemacht wird, führt bei Richard Wollheim, der irgendwie zwischen Phänomenologie und analytischer Philosophie einzuordnen ist, zu einer Unterscheidung von materiellem und ästhetischem Objekt, was unter ontologischem Gesichtspunkt freilich eine schwierige Konstruktion ist.

Waldenfels 1999, 114f

Ein Bild in diesem Verständnis ist kein Zeichen und hat schon gar nichts mit Materialität zu tun. Vielmehr ist es in gewisser Weise »transzendent« im Sinne von »draußen«. Entsprechend irritiert reagieren Vertreter einer solchen Sich angesichts der Tendenz zur Materialität in der zeitgenössischen Kunst. »So nähert sich das Bild dem Ding, einem Bild-Ding eigentümlicher Art, in dem das Bild selbst dinghafte Züge annimmt. […] Umgekehrt nähert sich das Ding dem Bild, einem Ding-Bild, das bildhafte Züge gewinnt. […] Mit dem Schwinden dieser pikturalen Differenz verschwände das Bild selbst; es ginge auf in einer Allbildlichkeit. Zurück bliebe höchstens eine subjektive Bildauffassung, eine Art von privater Bildsprache, die sich nicht eigentlich realisieren und materialisieren ließe.«

Husserl, Hua XXIII, 79

Ebd., 110

Ebd., 110f

Ebd., 115

Husserl will von Bildlichkeit nur da sprechen, wo wirklich ein Bild erscheint, das seinerseits für ein Abgebildetes als repräsentierendes Objekt fungiert. Beim Phantasiebild funktioniert das nicht so einfach und wir brauchen eine andere Terminologie: »[…] bei der gemeinen Bildauffassung, dient ein in der Weise der Wahrnehmung Erscheinendes, also ein phänomenal Gegenwärtiges […] als Repräsentant eines anderen. […] Bei der Phantasie haben wir kein ›Gegenwärtiges‹ und in diesem Sinn kein Bildobjekt.« Reine Phantasieobjekte stehen nach Husserl einem »Nichts« gegenüber. Solches gilt auch für die repräsentierenden Objekte im Fall einer Fotografie. Die Existenz solcher Entitäten wird erst durch das Bewusstsein erzeugt. »Der auffassende Akt fügt nicht etwa neue sinnliche Inhalte hinzu […], sondern er bringt die ›Bewusstseinsweise‹ hinzu, die den Inhalt deutet, ihm gegenständliche Beziehung unterlegt. […] Also im Erlebnis existiert in der Tat und eigentlich gesprochen weder das photographische Bild (unterschieden vom photographierten Gegenstand und von der Photographie als Ding) noch das Phantasiebild.« Die Folge ist, dass es ein Irrglaube ist, wenn man meint, dass ein Gegenstand »in sich selbst ein Bild oder ein Zeichen« sei. Vielmehr »erhält also auch in der Phantasievorstellung das präsentierte Objekt durch das ›Bewusstsein‹ der bildlichen Repräsentation seinen Bildcharakter.«

Ebd., 120

Damit lässt sich als Propädeutikum einer Bildphilosophie festhalten: Bei der physischen Bildvorstellung können drei Ebenen unterschieden werden. (1) Es gibt das materielle Ding (Bild), dann (2) das auf dem Bild Dargestellte (»das so und so erscheinende Bildobjekt«), und schließlich (3) jenes physische Objekt, welches im Bild dargestellt ist (man kann von einem Referenten sprechen). Der Übergang von einer zur anderen Version heißt nach Husserl »Wechsel in der meinenden Beziehung«. Die Verhältnisse zwischen diesen drei Ebenen können philosophisch in beliebiger Breite traktiert werden. Auf dieses von Kunstphilosophen eifrig betriebene Geschäft soll in X.4.2.1.ff. ein Blick geworfen werden.

Ebd., 121

Waldenfels 1999, 122

Waldenfels 2004, 224/216

Husserl, Hua XXIII, 441

X.1.4.1./X.2.5./X.4.2.1.

Boehm 1994, 19

Interessant ist, dass Husserl bei der bildphilosophischen Betrachtung die gesamte Umgebung einbezieht. »Das Bild springt, sagen wir, aus dem Rahmen, bzw. wir blicken durch ihn, gleichsam durch ein Fenster, in den Raum seiner Objekte hinein. u. dgl.« Das mag einer von mehreren Auslösern gewesen sein, bei der Bildbetrachtung und Architekturwahrnehmung auf die unhintergehbare Leiblichkeit zu verweisen und diese breit zu entfalten. Kunst bleibt »welt- und lebenshaltig, selbst wenn sie sich auf die Prüfung elementarer Sehbedingungen zurückzieht.« Es geht um die Basis eines leiblichen Selbst, das »medial, szenisch und pathisch verfaßt ist.« Bildner und Gebilde gehen »verändert aus dem Prozeß des Bildens« hervor. Bei einer ästhetischen Betrachtung geht es nicht um die Frage nach der Wirklichkeit: »Die Wirklichkeitssetzung fällt ausserhalb des ästhetischen Rahmens: wo es auf die bloss sinnliche Schönheit, Schönheit der Erscheinung ankommt.« Das hat Konsequenzen für die ästhetische Wahrnehmung, für Selbstreferentialität und für die Bildphilosophie. »Das Sehen verliert seine konstruktive Statik und technische Abstraktheit, – gewinnt die ihm eigentümliche Prozessualität zurück, seine Einbindung in den Körper, dessen Augen sehen.«

Husserls eher vage bleibenden Vorstellungen vom Bild führten Schüler wie Roman Ingarden, der den Begriff des »ästhetischen Gegenstandes« prägt, Eugen Fink und Maurice Merleau-Ponty weiter. Bei Merleau-Ponty erhielt das Sehen dann allerdings eine Komponente der Tätigkeit.

Ingarden 1969, 21

Seubert 2015, 330

Ingarden bestimmt den ästhetischen Gegenstand als »das konkrete wertbehaftete Angesicht, unter dem das Kunstwerk zur Erscheinung gelangt […].« Wir reden von eines Erscheinung im ästhetischen Erleben, nicht von irgendeiner Form der Realität. Die Frage, wie sich das Ästhetische vom Erleben eines x-beliebigen Gegenstandes unterscheidet, bleibt offen und die Fragestellung wird manchmal direkt von Ingarden von analytischen Philosophen aufgenommen. »Daraus resultiert, dass jedes Kunstwerk eine Partitur für verschiedene Realisierungen ist. Es wird von verschiedenen Betrachtern in unterschiedlicher Weise realisiert werden müssen.«

Kunstphilosophie und Ästhetik

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